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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Militarismus der Sozialdemokratie

nsre Zeit ist Krieg, Europa starrt in Wnffeu- Ein sinnreicher
Kopf hat das einmal sehr hübsch durch eine große farbige Zeich¬
nung verdeutlicht, die eine Zeitlang in den Schaufenstern der
Buchhandlungen zu sehen war. Sie zeigte die reich gegliederten
Umrisse des guten alten Europas, wie es keck aus der plumpen
Masse des asiatischen Kontinents hervorspringt und sich nach allen Richtungen
reckt und spreizt, enthielt aber keine geographischen Angaben, sondern zur
Rechten, auf dem weiten russischen Gebiete, die drohende Gestalt eines Bären,
in der Mitte, im Herzen das von der nationalen Pickelhaube überragte ehr¬
würdige Gesicht Kaiser Wilhelms des Siegreichen, zur Linke", im Westen der
Grenze Elsaß-Lothringens, den krähenden gallischen Hahn n. s. f.; im übrigen
war der ganze Raum, vom Ozean bis an die Ostsee und das Mittelmeer, von
Paris bis Moskau und von Berlin bis Konstantinopel mit lauter Soldaten
angefüllt, nur Soldaten, in den verschiednen Uniformen ihrer Länder, Mann
an Mann in dichten Gliedern nufmnrfchirt. Mancher Erwachsene und mancher
Junge blieben vor dem bunten Bilde stehen, der eine besah es und ging dann
nachdenklich seines Wegs, der Junge gaffte und freute sich; vielleicht dachte
er: O welche Lust, Soldat zu sein!

Seitdem ist wieder eine Reihe von Jahren vergangen, aber das Aussehen
Europas ist immer kriegerischer geworden, die Jungen von damals sind
nnn auch schon wirkliche Soldaten gewesen, und die Masse der Menschen, die
auf das Geheiß ihrer obersten Kriegsherren bereit sind, mit den Waffen in
der Hand aufeinander loszustürmen, ist fort und fort gewachsen. Ein Reichs-
tagsabgeordneter, der vortrefflich mit großen Zahlen zu rechnen versteht, hat
einen Aussatz über die "deutsche Kriegsmacht" geschriebell, worin er berechnet,


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Der Militarismus der Sozialdemokratie

nsre Zeit ist Krieg, Europa starrt in Wnffeu- Ein sinnreicher
Kopf hat das einmal sehr hübsch durch eine große farbige Zeich¬
nung verdeutlicht, die eine Zeitlang in den Schaufenstern der
Buchhandlungen zu sehen war. Sie zeigte die reich gegliederten
Umrisse des guten alten Europas, wie es keck aus der plumpen
Masse des asiatischen Kontinents hervorspringt und sich nach allen Richtungen
reckt und spreizt, enthielt aber keine geographischen Angaben, sondern zur
Rechten, auf dem weiten russischen Gebiete, die drohende Gestalt eines Bären,
in der Mitte, im Herzen das von der nationalen Pickelhaube überragte ehr¬
würdige Gesicht Kaiser Wilhelms des Siegreichen, zur Linke», im Westen der
Grenze Elsaß-Lothringens, den krähenden gallischen Hahn n. s. f.; im übrigen
war der ganze Raum, vom Ozean bis an die Ostsee und das Mittelmeer, von
Paris bis Moskau und von Berlin bis Konstantinopel mit lauter Soldaten
angefüllt, nur Soldaten, in den verschiednen Uniformen ihrer Länder, Mann
an Mann in dichten Gliedern nufmnrfchirt. Mancher Erwachsene und mancher
Junge blieben vor dem bunten Bilde stehen, der eine besah es und ging dann
nachdenklich seines Wegs, der Junge gaffte und freute sich; vielleicht dachte
er: O welche Lust, Soldat zu sein!

Seitdem ist wieder eine Reihe von Jahren vergangen, aber das Aussehen
Europas ist immer kriegerischer geworden, die Jungen von damals sind
nnn auch schon wirkliche Soldaten gewesen, und die Masse der Menschen, die
auf das Geheiß ihrer obersten Kriegsherren bereit sind, mit den Waffen in
der Hand aufeinander loszustürmen, ist fort und fort gewachsen. Ein Reichs-
tagsabgeordneter, der vortrefflich mit großen Zahlen zu rechnen versteht, hat
einen Aussatz über die „deutsche Kriegsmacht" geschriebell, worin er berechnet,


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[0401] [Abbildung] Der Militarismus der Sozialdemokratie nsre Zeit ist Krieg, Europa starrt in Wnffeu- Ein sinnreicher Kopf hat das einmal sehr hübsch durch eine große farbige Zeich¬ nung verdeutlicht, die eine Zeitlang in den Schaufenstern der Buchhandlungen zu sehen war. Sie zeigte die reich gegliederten Umrisse des guten alten Europas, wie es keck aus der plumpen Masse des asiatischen Kontinents hervorspringt und sich nach allen Richtungen reckt und spreizt, enthielt aber keine geographischen Angaben, sondern zur Rechten, auf dem weiten russischen Gebiete, die drohende Gestalt eines Bären, in der Mitte, im Herzen das von der nationalen Pickelhaube überragte ehr¬ würdige Gesicht Kaiser Wilhelms des Siegreichen, zur Linke», im Westen der Grenze Elsaß-Lothringens, den krähenden gallischen Hahn n. s. f.; im übrigen war der ganze Raum, vom Ozean bis an die Ostsee und das Mittelmeer, von Paris bis Moskau und von Berlin bis Konstantinopel mit lauter Soldaten angefüllt, nur Soldaten, in den verschiednen Uniformen ihrer Länder, Mann an Mann in dichten Gliedern nufmnrfchirt. Mancher Erwachsene und mancher Junge blieben vor dem bunten Bilde stehen, der eine besah es und ging dann nachdenklich seines Wegs, der Junge gaffte und freute sich; vielleicht dachte er: O welche Lust, Soldat zu sein! Seitdem ist wieder eine Reihe von Jahren vergangen, aber das Aussehen Europas ist immer kriegerischer geworden, die Jungen von damals sind nnn auch schon wirkliche Soldaten gewesen, und die Masse der Menschen, die auf das Geheiß ihrer obersten Kriegsherren bereit sind, mit den Waffen in der Hand aufeinander loszustürmen, ist fort und fort gewachsen. Ein Reichs- tagsabgeordneter, der vortrefflich mit großen Zahlen zu rechnen versteht, hat einen Aussatz über die „deutsche Kriegsmacht" geschriebell, worin er berechnet, Gttuzbvten IV I.89L A>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/401>, abgerufen am 27.04.2024.