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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

dauerndere Wirkungen erzielen, als mit Volksvpern, denen nur zu leicht der
Stempel des Unvvllkommnen aufgedrückt sein würde.

Diese Gefahr wird mau nun freilich auch geneigt sein, den künstlerischen
Leistungen der Volksschaubühnc zu prophezeien, ja man befürchtet von ihr
sogar vielfach eine Verrohung der Kunst. Wir glauben, ohne Grund. Die
Gefahr ist vorhanden, aber sie kaun leicht vermieden werden. Leider ist es
eine nicht seltene Erscheinung, daß gegenwärtig volkstümliche Darstellungen
selbst an großen Bühnen auch künstlerisch niedriger stehen, als die üblichen
Darstellungen. Notwendig aber ist das gewiß nicht, und wenn sich die Leiter
einer Volksbühne der hohen Aufgabe, den Geschmack des Volkes zu bilden, mit
Gewissenhaftigkeit unterziehen, werden sie in ihrem Publikum bald ein Kor¬
rektiv für minderwertige Leistungen finden.

Noch weniger Sorge macht uns ein letzter Einwand, der noch erhoben
werden könnte, daß das Volk keinen Sinn und Geschmack für das Theater
habe. Ihm widersprechen die Thatsachen; es kann gar kein Zweifel sein, daß
die Kunst, namentlich die theatralische, kein dankbareres und kein bildsameres
Publikum finden kann, als das weniger bemittelte nud in seinen Ansprüchen
noch nicht überreizte Volk. Öffnet dem Volke nnr erst die Pforten der Kuust-
tempel und haltet diese rein und sauber, es wird bald gern und andächtig zu
ihnen wallfahrten, und es werden sich mit der Zeit auch neue Priester finden,
deren Opfer dem Volke und der Kunst wohlgefällig sind.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die neueste Verleumdung Bismarcks.

Die deutsche Nation ist offenbar
im erfreulichsten Aufschwünge. Eine englische Zeitschrift konnte neulich die Behaup¬
tung ausstellen, es scheine jetzt in Deutschland beinahe für Hochverrat zu gelte",
sich für den Begründer der deutschen Einheit zu begeistern, eine Ansicht, die aller¬
dings durch den glänzenden Triumphzug des Vervehmten durch Sachsen, Süd¬
deutschland und Thüringen ihre seltsame Illustration erhalten hat. Seit einigen
Wochen sind nun ultrvmvntcme, "freisinnige" und sozialdemokratische Blätter, die sich
in solchen Fragen nur noch im Tone einigermaßen unterscheiden, abermals mit einer
frischen und fröhlichen Bismarckhctze beschäftigt. Wie groß muß der Mann doch
sein, daß mau sich so viele und so vergebliche Mühe giebt, ihn auf den eignen
Standpunkt hernnterzuzerren! Bekanntlich hat der Fürst in seiner großartigen,
so oft mißbrauchten Offenheit vor einigen Wochen beiläufig erzählt, er habe die
Depesche, die über die Emser Vorgänge am 13. Juli 1870 berichtete, so umge¬
staltet, daß sie, wie sich Moltke ausdrückte, aus einer Chcimode zu einer Fanfare
geworden sei. Sofort benutzte das die sozialdemokratische Presse zu der Auschul-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

dauerndere Wirkungen erzielen, als mit Volksvpern, denen nur zu leicht der
Stempel des Unvvllkommnen aufgedrückt sein würde.

Diese Gefahr wird mau nun freilich auch geneigt sein, den künstlerischen
Leistungen der Volksschaubühnc zu prophezeien, ja man befürchtet von ihr
sogar vielfach eine Verrohung der Kunst. Wir glauben, ohne Grund. Die
Gefahr ist vorhanden, aber sie kaun leicht vermieden werden. Leider ist es
eine nicht seltene Erscheinung, daß gegenwärtig volkstümliche Darstellungen
selbst an großen Bühnen auch künstlerisch niedriger stehen, als die üblichen
Darstellungen. Notwendig aber ist das gewiß nicht, und wenn sich die Leiter
einer Volksbühne der hohen Aufgabe, den Geschmack des Volkes zu bilden, mit
Gewissenhaftigkeit unterziehen, werden sie in ihrem Publikum bald ein Kor¬
rektiv für minderwertige Leistungen finden.

Noch weniger Sorge macht uns ein letzter Einwand, der noch erhoben
werden könnte, daß das Volk keinen Sinn und Geschmack für das Theater
habe. Ihm widersprechen die Thatsachen; es kann gar kein Zweifel sein, daß
die Kunst, namentlich die theatralische, kein dankbareres und kein bildsameres
Publikum finden kann, als das weniger bemittelte nud in seinen Ansprüchen
noch nicht überreizte Volk. Öffnet dem Volke nnr erst die Pforten der Kuust-
tempel und haltet diese rein und sauber, es wird bald gern und andächtig zu
ihnen wallfahrten, und es werden sich mit der Zeit auch neue Priester finden,
deren Opfer dem Volke und der Kunst wohlgefällig sind.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die neueste Verleumdung Bismarcks.

Die deutsche Nation ist offenbar
im erfreulichsten Aufschwünge. Eine englische Zeitschrift konnte neulich die Behaup¬
tung ausstellen, es scheine jetzt in Deutschland beinahe für Hochverrat zu gelte«,
sich für den Begründer der deutschen Einheit zu begeistern, eine Ansicht, die aller¬
dings durch den glänzenden Triumphzug des Vervehmten durch Sachsen, Süd¬
deutschland und Thüringen ihre seltsame Illustration erhalten hat. Seit einigen
Wochen sind nun ultrvmvntcme, „freisinnige" und sozialdemokratische Blätter, die sich
in solchen Fragen nur noch im Tone einigermaßen unterscheiden, abermals mit einer
frischen und fröhlichen Bismarckhctze beschäftigt. Wie groß muß der Mann doch
sein, daß mau sich so viele und so vergebliche Mühe giebt, ihn auf den eignen
Standpunkt hernnterzuzerren! Bekanntlich hat der Fürst in seiner großartigen,
so oft mißbrauchten Offenheit vor einigen Wochen beiläufig erzählt, er habe die
Depesche, die über die Emser Vorgänge am 13. Juli 1870 berichtete, so umge¬
staltet, daß sie, wie sich Moltke ausdrückte, aus einer Chcimode zu einer Fanfare
geworden sei. Sofort benutzte das die sozialdemokratische Presse zu der Auschul-


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[0450] Maßgebliches und Unmaßgebliches dauerndere Wirkungen erzielen, als mit Volksvpern, denen nur zu leicht der Stempel des Unvvllkommnen aufgedrückt sein würde. Diese Gefahr wird mau nun freilich auch geneigt sein, den künstlerischen Leistungen der Volksschaubühnc zu prophezeien, ja man befürchtet von ihr sogar vielfach eine Verrohung der Kunst. Wir glauben, ohne Grund. Die Gefahr ist vorhanden, aber sie kaun leicht vermieden werden. Leider ist es eine nicht seltene Erscheinung, daß gegenwärtig volkstümliche Darstellungen selbst an großen Bühnen auch künstlerisch niedriger stehen, als die üblichen Darstellungen. Notwendig aber ist das gewiß nicht, und wenn sich die Leiter einer Volksbühne der hohen Aufgabe, den Geschmack des Volkes zu bilden, mit Gewissenhaftigkeit unterziehen, werden sie in ihrem Publikum bald ein Kor¬ rektiv für minderwertige Leistungen finden. Noch weniger Sorge macht uns ein letzter Einwand, der noch erhoben werden könnte, daß das Volk keinen Sinn und Geschmack für das Theater habe. Ihm widersprechen die Thatsachen; es kann gar kein Zweifel sein, daß die Kunst, namentlich die theatralische, kein dankbareres und kein bildsameres Publikum finden kann, als das weniger bemittelte nud in seinen Ansprüchen noch nicht überreizte Volk. Öffnet dem Volke nnr erst die Pforten der Kuust- tempel und haltet diese rein und sauber, es wird bald gern und andächtig zu ihnen wallfahrten, und es werden sich mit der Zeit auch neue Priester finden, deren Opfer dem Volke und der Kunst wohlgefällig sind. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die neueste Verleumdung Bismarcks. Die deutsche Nation ist offenbar im erfreulichsten Aufschwünge. Eine englische Zeitschrift konnte neulich die Behaup¬ tung ausstellen, es scheine jetzt in Deutschland beinahe für Hochverrat zu gelte«, sich für den Begründer der deutschen Einheit zu begeistern, eine Ansicht, die aller¬ dings durch den glänzenden Triumphzug des Vervehmten durch Sachsen, Süd¬ deutschland und Thüringen ihre seltsame Illustration erhalten hat. Seit einigen Wochen sind nun ultrvmvntcme, „freisinnige" und sozialdemokratische Blätter, die sich in solchen Fragen nur noch im Tone einigermaßen unterscheiden, abermals mit einer frischen und fröhlichen Bismarckhctze beschäftigt. Wie groß muß der Mann doch sein, daß mau sich so viele und so vergebliche Mühe giebt, ihn auf den eignen Standpunkt hernnterzuzerren! Bekanntlich hat der Fürst in seiner großartigen, so oft mißbrauchten Offenheit vor einigen Wochen beiläufig erzählt, er habe die Depesche, die über die Emser Vorgänge am 13. Juli 1870 berichtete, so umge¬ staltet, daß sie, wie sich Moltke ausdrückte, aus einer Chcimode zu einer Fanfare geworden sei. Sofort benutzte das die sozialdemokratische Presse zu der Auschul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/450>, abgerufen am 27.04.2024.