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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Griuuerungeu an Lothar Bucher

muß sich des Gegenstandes energisch mit bemächtigen, um den Wunsch, den
Drang zu Reformer, nicht wieder einschlummern zu lassen, um jeden Anstoß
dazu zu verstärken. Damit die öffentliche Meinung dabei einen etwas nähern
Einblick habe und nicht, wie bisher fast immer, aus jeder Neformrede oder
Mahnbrvschüre nur ein paar weitere schiefe Ansichten und nichtsnutzige Anek¬
doten schöpfe, die ihr Mißtrauen oder ihre Unkenntnis nur noch vermehren,
deswegen haben wir unsern auf die Zukunft gerichteten Betrachtungen eine weit¬
greifende und so weit es dein einzelnen bei ehrlichem Bemühen möglich ist,
vorurteilslose Darlegung der gegenwärtigen studentischen Verhältnisse voraus¬
geschickt. Nun möge man der Sache einmal von allen Seiten, ohne Mißmut,
ohne Überhebung, ohne Empfindlichkeit, auch ohne Witzeleien, mit nüchternem
Blick und gutem Willen zu Leibe gehn.

Und branches noch eines Alarmrufs? Man denke nur einmal zurück an
all die herrlichen, mannhaften Lieder, die man als Student voll Mut und
Kraft gesungen hat, lind die noch bellte überall auf den Kneipen erschallen,
man vergleiche, ob die heutigen Zustände in ihrer breiten Fläche noch solcher
Lieder wert sind, ob der Gott, der Eisen wachsen ließ, solche Jugend hat
wollen können, man wird verstummen oder lant rufein Nein und abermals
nein! Dennoch ist sie im Innersten immer noch tüchtig und gesund, unsre Stu¬
dentenschaft, nur vielfach von anßen angekränkelt, noch vermag ans ihren
Wangen die Röte der Scham oder des Zornes zu glühen. Diese Gesunden
weckt auf, und dann mit ihnen herzhaft voran! Burschen heraus!




(Erinnerungen an Lothar Bucher
Von Bruno Buchor 2

l5 sich den durch den Revolutionssturm an fremde Küsten ver¬
schlagnen Deutschen die Heimat wieder öffnete, fanden sie diese,
ungleich den französischen Emigranten um 1"l4, wenig ver¬
ändert, vielmehr wurde vielen von ihnen förmlich ein Vor-
wurf daraus gemacht, daß sie in der Ferne manches gelernt
und manches vergessen hatte". Namentlich die ans England oder Amerika
zurückkehrenden brachten andre politische Anschauungen mit, hatten mehr oder
weniger von dem gesunden nationalen Egoismus angezogen und begegneten
nur wieder dem alten Kosmopolitismus, der gutmütigen Schwärmerei , den
alten Schlagwörtern. Man verstand sich gegenseitig nicht mehr. Auch Bucher
empfand bitter, mit welcher Oberflächlichkeit und Unbildung oft über Fragen


Griuuerungeu an Lothar Bucher

muß sich des Gegenstandes energisch mit bemächtigen, um den Wunsch, den
Drang zu Reformer, nicht wieder einschlummern zu lassen, um jeden Anstoß
dazu zu verstärken. Damit die öffentliche Meinung dabei einen etwas nähern
Einblick habe und nicht, wie bisher fast immer, aus jeder Neformrede oder
Mahnbrvschüre nur ein paar weitere schiefe Ansichten und nichtsnutzige Anek¬
doten schöpfe, die ihr Mißtrauen oder ihre Unkenntnis nur noch vermehren,
deswegen haben wir unsern auf die Zukunft gerichteten Betrachtungen eine weit¬
greifende und so weit es dein einzelnen bei ehrlichem Bemühen möglich ist,
vorurteilslose Darlegung der gegenwärtigen studentischen Verhältnisse voraus¬
geschickt. Nun möge man der Sache einmal von allen Seiten, ohne Mißmut,
ohne Überhebung, ohne Empfindlichkeit, auch ohne Witzeleien, mit nüchternem
Blick und gutem Willen zu Leibe gehn.

Und branches noch eines Alarmrufs? Man denke nur einmal zurück an
all die herrlichen, mannhaften Lieder, die man als Student voll Mut und
Kraft gesungen hat, lind die noch bellte überall auf den Kneipen erschallen,
man vergleiche, ob die heutigen Zustände in ihrer breiten Fläche noch solcher
Lieder wert sind, ob der Gott, der Eisen wachsen ließ, solche Jugend hat
wollen können, man wird verstummen oder lant rufein Nein und abermals
nein! Dennoch ist sie im Innersten immer noch tüchtig und gesund, unsre Stu¬
dentenschaft, nur vielfach von anßen angekränkelt, noch vermag ans ihren
Wangen die Röte der Scham oder des Zornes zu glühen. Diese Gesunden
weckt auf, und dann mit ihnen herzhaft voran! Burschen heraus!




(Erinnerungen an Lothar Bucher
Von Bruno Buchor 2

l5 sich den durch den Revolutionssturm an fremde Küsten ver¬
schlagnen Deutschen die Heimat wieder öffnete, fanden sie diese,
ungleich den französischen Emigranten um 1«l4, wenig ver¬
ändert, vielmehr wurde vielen von ihnen förmlich ein Vor-
wurf daraus gemacht, daß sie in der Ferne manches gelernt
und manches vergessen hatte». Namentlich die ans England oder Amerika
zurückkehrenden brachten andre politische Anschauungen mit, hatten mehr oder
weniger von dem gesunden nationalen Egoismus angezogen und begegneten
nur wieder dem alten Kosmopolitismus, der gutmütigen Schwärmerei , den
alten Schlagwörtern. Man verstand sich gegenseitig nicht mehr. Auch Bucher
empfand bitter, mit welcher Oberflächlichkeit und Unbildung oft über Fragen


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[0477] Griuuerungeu an Lothar Bucher muß sich des Gegenstandes energisch mit bemächtigen, um den Wunsch, den Drang zu Reformer, nicht wieder einschlummern zu lassen, um jeden Anstoß dazu zu verstärken. Damit die öffentliche Meinung dabei einen etwas nähern Einblick habe und nicht, wie bisher fast immer, aus jeder Neformrede oder Mahnbrvschüre nur ein paar weitere schiefe Ansichten und nichtsnutzige Anek¬ doten schöpfe, die ihr Mißtrauen oder ihre Unkenntnis nur noch vermehren, deswegen haben wir unsern auf die Zukunft gerichteten Betrachtungen eine weit¬ greifende und so weit es dein einzelnen bei ehrlichem Bemühen möglich ist, vorurteilslose Darlegung der gegenwärtigen studentischen Verhältnisse voraus¬ geschickt. Nun möge man der Sache einmal von allen Seiten, ohne Mißmut, ohne Überhebung, ohne Empfindlichkeit, auch ohne Witzeleien, mit nüchternem Blick und gutem Willen zu Leibe gehn. Und branches noch eines Alarmrufs? Man denke nur einmal zurück an all die herrlichen, mannhaften Lieder, die man als Student voll Mut und Kraft gesungen hat, lind die noch bellte überall auf den Kneipen erschallen, man vergleiche, ob die heutigen Zustände in ihrer breiten Fläche noch solcher Lieder wert sind, ob der Gott, der Eisen wachsen ließ, solche Jugend hat wollen können, man wird verstummen oder lant rufein Nein und abermals nein! Dennoch ist sie im Innersten immer noch tüchtig und gesund, unsre Stu¬ dentenschaft, nur vielfach von anßen angekränkelt, noch vermag ans ihren Wangen die Röte der Scham oder des Zornes zu glühen. Diese Gesunden weckt auf, und dann mit ihnen herzhaft voran! Burschen heraus! (Erinnerungen an Lothar Bucher Von Bruno Buchor 2 l5 sich den durch den Revolutionssturm an fremde Küsten ver¬ schlagnen Deutschen die Heimat wieder öffnete, fanden sie diese, ungleich den französischen Emigranten um 1«l4, wenig ver¬ ändert, vielmehr wurde vielen von ihnen förmlich ein Vor- wurf daraus gemacht, daß sie in der Ferne manches gelernt und manches vergessen hatte». Namentlich die ans England oder Amerika zurückkehrenden brachten andre politische Anschauungen mit, hatten mehr oder weniger von dem gesunden nationalen Egoismus angezogen und begegneten nur wieder dem alten Kosmopolitismus, der gutmütigen Schwärmerei , den alten Schlagwörtern. Man verstand sich gegenseitig nicht mehr. Auch Bucher empfand bitter, mit welcher Oberflächlichkeit und Unbildung oft über Fragen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/477>, abgerufen am 27.04.2024.