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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Alkyonische Tage

tüchtiger Kunstverleger einstellen wird. Heute aber danken wir Herrn Schmidt
in Florenz dafür, daß er uns diese schöne Gabe gebracht, und den trefflichen
Meistern Knöfler, deren Hand sie geschaffen hat.




Alkyonische Tage
von llonrad rvernicke

er knospende Frühling, der blütenrciche Sommer, der früchte¬
schwere Herbst sind vorüber. Kürzer und kürzer wird der Bogen,
den der Sonnenwagen am Himmelsgewölbe zieht, die Natur
stirbt ab, Stürme brausen durch das Land, und der Mensch
zieht sich in seine Klause zurück und läßt den Winter draußen
toben. Auch das Meer, das den ganzen Sommer hindurch den Schiffern
freundlich gewesen ist, das ans seinem breiten Rücken die Waren hinaus¬
getragen hat in die Ferne und reiche Schätze wieder heimgebracht, es brandet
finster gegen das Ufer. Die Wogenrosse schütteln wild ihre Mähnen, und
Aiolos hat alle Winde losgelassen; die tummeln sich ungeberdig und wühlen
die purpurne Tiefe ans, und selbst die gnädigen Dioskuren, zu denen der
Schiffer in der Not um Rettung fleht, sie haben ihre Macht, die Wogen zu
glätten, verloren.

In solchen Zeiten zieht der Seefahrer sein Schiff auf den Strand und
sitzt ungeduldig daheim, bald nach dem Himmel spähend, bald nach dem Wasser.
Denn wenn auch die Adria, die sizilischen Gewässer und das ägeische Meer
nicht zufrieren, wie es im fernen Norden an den Küsten der Hyperboreer ge¬
schehen soll, so wäre es doch Tollkühnheit, sich jetzt hinauszuwagen.

Da plötzlich -- es ist schon um die Wintersonnenwende -- legt sich der
Sturm, die Wogen glätten sich, am wolkenlosen Himmel strahlt die Sonne,
und Alkyon, der wohlbekannte Meereisvogcl, baut sich ein Nest am Klippen-
Hang, legt Eier und brütet sie aus, von Sturm und Wellen ungestört. Auch
die Schiffahrt wird aufs neue eröffnet, und fröhliches Leben herrscht überall.
Eine Reihe von Tagen dauert diese Ruhepause der Winterstürme; aber nicht
lange, dann ist es wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Wieder rollen die
Wogen donnernd gegen die Klippen, wieder sausen die Winde auf schnellen
Fittichen übers Meer, und der Seemann rastet bei Weib und Kind, denn nun
weiß er, daß erst der neue Sommer wieder sichere Fahrt bringt.

Und wie er so bei der heimatlichen Kohlenpfanne sitzt, geht ihm wohl
manches durch den Kopf, was er gesehen und erlebt hat, und seine Phantasie


Alkyonische Tage

tüchtiger Kunstverleger einstellen wird. Heute aber danken wir Herrn Schmidt
in Florenz dafür, daß er uns diese schöne Gabe gebracht, und den trefflichen
Meistern Knöfler, deren Hand sie geschaffen hat.




Alkyonische Tage
von llonrad rvernicke

er knospende Frühling, der blütenrciche Sommer, der früchte¬
schwere Herbst sind vorüber. Kürzer und kürzer wird der Bogen,
den der Sonnenwagen am Himmelsgewölbe zieht, die Natur
stirbt ab, Stürme brausen durch das Land, und der Mensch
zieht sich in seine Klause zurück und läßt den Winter draußen
toben. Auch das Meer, das den ganzen Sommer hindurch den Schiffern
freundlich gewesen ist, das ans seinem breiten Rücken die Waren hinaus¬
getragen hat in die Ferne und reiche Schätze wieder heimgebracht, es brandet
finster gegen das Ufer. Die Wogenrosse schütteln wild ihre Mähnen, und
Aiolos hat alle Winde losgelassen; die tummeln sich ungeberdig und wühlen
die purpurne Tiefe ans, und selbst die gnädigen Dioskuren, zu denen der
Schiffer in der Not um Rettung fleht, sie haben ihre Macht, die Wogen zu
glätten, verloren.

In solchen Zeiten zieht der Seefahrer sein Schiff auf den Strand und
sitzt ungeduldig daheim, bald nach dem Himmel spähend, bald nach dem Wasser.
Denn wenn auch die Adria, die sizilischen Gewässer und das ägeische Meer
nicht zufrieren, wie es im fernen Norden an den Küsten der Hyperboreer ge¬
schehen soll, so wäre es doch Tollkühnheit, sich jetzt hinauszuwagen.

Da plötzlich — es ist schon um die Wintersonnenwende — legt sich der
Sturm, die Wogen glätten sich, am wolkenlosen Himmel strahlt die Sonne,
und Alkyon, der wohlbekannte Meereisvogcl, baut sich ein Nest am Klippen-
Hang, legt Eier und brütet sie aus, von Sturm und Wellen ungestört. Auch
die Schiffahrt wird aufs neue eröffnet, und fröhliches Leben herrscht überall.
Eine Reihe von Tagen dauert diese Ruhepause der Winterstürme; aber nicht
lange, dann ist es wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Wieder rollen die
Wogen donnernd gegen die Klippen, wieder sausen die Winde auf schnellen
Fittichen übers Meer, und der Seemann rastet bei Weib und Kind, denn nun
weiß er, daß erst der neue Sommer wieder sichere Fahrt bringt.

Und wie er so bei der heimatlichen Kohlenpfanne sitzt, geht ihm wohl
manches durch den Kopf, was er gesehen und erlebt hat, und seine Phantasie


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[0488] Alkyonische Tage tüchtiger Kunstverleger einstellen wird. Heute aber danken wir Herrn Schmidt in Florenz dafür, daß er uns diese schöne Gabe gebracht, und den trefflichen Meistern Knöfler, deren Hand sie geschaffen hat. Alkyonische Tage von llonrad rvernicke er knospende Frühling, der blütenrciche Sommer, der früchte¬ schwere Herbst sind vorüber. Kürzer und kürzer wird der Bogen, den der Sonnenwagen am Himmelsgewölbe zieht, die Natur stirbt ab, Stürme brausen durch das Land, und der Mensch zieht sich in seine Klause zurück und läßt den Winter draußen toben. Auch das Meer, das den ganzen Sommer hindurch den Schiffern freundlich gewesen ist, das ans seinem breiten Rücken die Waren hinaus¬ getragen hat in die Ferne und reiche Schätze wieder heimgebracht, es brandet finster gegen das Ufer. Die Wogenrosse schütteln wild ihre Mähnen, und Aiolos hat alle Winde losgelassen; die tummeln sich ungeberdig und wühlen die purpurne Tiefe ans, und selbst die gnädigen Dioskuren, zu denen der Schiffer in der Not um Rettung fleht, sie haben ihre Macht, die Wogen zu glätten, verloren. In solchen Zeiten zieht der Seefahrer sein Schiff auf den Strand und sitzt ungeduldig daheim, bald nach dem Himmel spähend, bald nach dem Wasser. Denn wenn auch die Adria, die sizilischen Gewässer und das ägeische Meer nicht zufrieren, wie es im fernen Norden an den Küsten der Hyperboreer ge¬ schehen soll, so wäre es doch Tollkühnheit, sich jetzt hinauszuwagen. Da plötzlich — es ist schon um die Wintersonnenwende — legt sich der Sturm, die Wogen glätten sich, am wolkenlosen Himmel strahlt die Sonne, und Alkyon, der wohlbekannte Meereisvogcl, baut sich ein Nest am Klippen- Hang, legt Eier und brütet sie aus, von Sturm und Wellen ungestört. Auch die Schiffahrt wird aufs neue eröffnet, und fröhliches Leben herrscht überall. Eine Reihe von Tagen dauert diese Ruhepause der Winterstürme; aber nicht lange, dann ist es wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Wieder rollen die Wogen donnernd gegen die Klippen, wieder sausen die Winde auf schnellen Fittichen übers Meer, und der Seemann rastet bei Weib und Kind, denn nun weiß er, daß erst der neue Sommer wieder sichere Fahrt bringt. Und wie er so bei der heimatlichen Kohlenpfanne sitzt, geht ihm wohl manches durch den Kopf, was er gesehen und erlebt hat, und seine Phantasie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/488>, abgerufen am 27.04.2024.