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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der langweilige !<cimmerherr

das Meer. So war der Frevel beider gesühnt, und die versöhnte Gottheit ließ
nun die Gucide walten: beide wurden in Vogel verwandelt. Als aber die
Brutzeit für Alkyone kam, da war es schon mitten im Winter; nicht mehr
friedlich rollten die Wellen auf den Strand wie zur Sommerzeit, sondern sie
bäumten sich, spritzten empor an den Klippen und zerschlugen die Eier des
Eisvogels. Und der Vogel flatterte ruhelos umher und jammerte. Da er¬
barmten sich die Götter oben und unten des Geängsteten, Zeus hieß die Winde
schweigen, und die Nereiden besänftigten das Meer. Und so sind nun all¬
jährlich um die Zeit der Wintersonnenwende, wenn der Eisvogel nistet und
brütet, zwei Wochen frei von Sturm und Winterwetter, damit das Geschlecht
der Eisvogel fort und fort blühe.




Der langweilige Kammerherr
von Lharlotte Niese

er kleine Bauernhof, von dem ich erzählen will, lag ziemlich ab¬
seits. Man mußte ein ganzes Stück von der Landstraße ab¬
biegen, wenn man zu ihm gelangen wollte, und daher kamen
nur wenig Menschen hin, Spaziergänger, die nicht immer den
glatten, wohlgepflasterteu Fahrweg wandeln wollten. Auf diese
Weise war auch ich nach einer langen, mühevollen Wanderung über sumpfige
Wiesen und umgepflügte Felder bei dem Baueruhäuschen gestrandet. Plötzlich
stand ich in seinem Garten, einem ungepflegten Fleck Erde, und weil ich müde
war, setzte ich mich ohne weiteres auf eine verfallene Bank, die dicht am
Hause stand.

Ich war nicht lange allein. Zuerst kam ein gelber Hund, der mich einen
Augenblick beschnüffelte und dann an mir aufsprang und sich streicheln ließ.
Er war nämlich noch jung, und sein Gemüt schien von bösen Menschen nichts
zu wissen. Nach ihm erschien langsam und bedächtig ein Mann; der war
aber ganz alt und hatte natürlich schon deswegen ein großes Mißtrauen gegen
alle Fremden. Er betrachtete mich eine ganze Weile aus tiefliegenden, rot¬
geränderten Augen, dann sagte er guten Abend, aber in einem Tone, der mich
deutlich merken ließ, daß er mir eigentlich keinen guten Abend wünschte.

Dazu war es noch gar nicht Abend, denn die Sonne stand hoch, und
die kleine blasse Mondsichel am Himmel hatte gar nichts zu bedeuten. Bei
uns im Norden ist es im Sommer bekanntlich lange Tag, und wenn ich
mich auch über eine Stunde weit vom Hanse befand, so konnte ich doch vor


Der langweilige !<cimmerherr

das Meer. So war der Frevel beider gesühnt, und die versöhnte Gottheit ließ
nun die Gucide walten: beide wurden in Vogel verwandelt. Als aber die
Brutzeit für Alkyone kam, da war es schon mitten im Winter; nicht mehr
friedlich rollten die Wellen auf den Strand wie zur Sommerzeit, sondern sie
bäumten sich, spritzten empor an den Klippen und zerschlugen die Eier des
Eisvogels. Und der Vogel flatterte ruhelos umher und jammerte. Da er¬
barmten sich die Götter oben und unten des Geängsteten, Zeus hieß die Winde
schweigen, und die Nereiden besänftigten das Meer. Und so sind nun all¬
jährlich um die Zeit der Wintersonnenwende, wenn der Eisvogel nistet und
brütet, zwei Wochen frei von Sturm und Winterwetter, damit das Geschlecht
der Eisvogel fort und fort blühe.




Der langweilige Kammerherr
von Lharlotte Niese

er kleine Bauernhof, von dem ich erzählen will, lag ziemlich ab¬
seits. Man mußte ein ganzes Stück von der Landstraße ab¬
biegen, wenn man zu ihm gelangen wollte, und daher kamen
nur wenig Menschen hin, Spaziergänger, die nicht immer den
glatten, wohlgepflasterteu Fahrweg wandeln wollten. Auf diese
Weise war auch ich nach einer langen, mühevollen Wanderung über sumpfige
Wiesen und umgepflügte Felder bei dem Baueruhäuschen gestrandet. Plötzlich
stand ich in seinem Garten, einem ungepflegten Fleck Erde, und weil ich müde
war, setzte ich mich ohne weiteres auf eine verfallene Bank, die dicht am
Hause stand.

Ich war nicht lange allein. Zuerst kam ein gelber Hund, der mich einen
Augenblick beschnüffelte und dann an mir aufsprang und sich streicheln ließ.
Er war nämlich noch jung, und sein Gemüt schien von bösen Menschen nichts
zu wissen. Nach ihm erschien langsam und bedächtig ein Mann; der war
aber ganz alt und hatte natürlich schon deswegen ein großes Mißtrauen gegen
alle Fremden. Er betrachtete mich eine ganze Weile aus tiefliegenden, rot¬
geränderten Augen, dann sagte er guten Abend, aber in einem Tone, der mich
deutlich merken ließ, daß er mir eigentlich keinen guten Abend wünschte.

Dazu war es noch gar nicht Abend, denn die Sonne stand hoch, und
die kleine blasse Mondsichel am Himmel hatte gar nichts zu bedeuten. Bei
uns im Norden ist es im Sommer bekanntlich lange Tag, und wenn ich
mich auch über eine Stunde weit vom Hanse befand, so konnte ich doch vor


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[0492] Der langweilige !<cimmerherr das Meer. So war der Frevel beider gesühnt, und die versöhnte Gottheit ließ nun die Gucide walten: beide wurden in Vogel verwandelt. Als aber die Brutzeit für Alkyone kam, da war es schon mitten im Winter; nicht mehr friedlich rollten die Wellen auf den Strand wie zur Sommerzeit, sondern sie bäumten sich, spritzten empor an den Klippen und zerschlugen die Eier des Eisvogels. Und der Vogel flatterte ruhelos umher und jammerte. Da er¬ barmten sich die Götter oben und unten des Geängsteten, Zeus hieß die Winde schweigen, und die Nereiden besänftigten das Meer. Und so sind nun all¬ jährlich um die Zeit der Wintersonnenwende, wenn der Eisvogel nistet und brütet, zwei Wochen frei von Sturm und Winterwetter, damit das Geschlecht der Eisvogel fort und fort blühe. Der langweilige Kammerherr von Lharlotte Niese er kleine Bauernhof, von dem ich erzählen will, lag ziemlich ab¬ seits. Man mußte ein ganzes Stück von der Landstraße ab¬ biegen, wenn man zu ihm gelangen wollte, und daher kamen nur wenig Menschen hin, Spaziergänger, die nicht immer den glatten, wohlgepflasterteu Fahrweg wandeln wollten. Auf diese Weise war auch ich nach einer langen, mühevollen Wanderung über sumpfige Wiesen und umgepflügte Felder bei dem Baueruhäuschen gestrandet. Plötzlich stand ich in seinem Garten, einem ungepflegten Fleck Erde, und weil ich müde war, setzte ich mich ohne weiteres auf eine verfallene Bank, die dicht am Hause stand. Ich war nicht lange allein. Zuerst kam ein gelber Hund, der mich einen Augenblick beschnüffelte und dann an mir aufsprang und sich streicheln ließ. Er war nämlich noch jung, und sein Gemüt schien von bösen Menschen nichts zu wissen. Nach ihm erschien langsam und bedächtig ein Mann; der war aber ganz alt und hatte natürlich schon deswegen ein großes Mißtrauen gegen alle Fremden. Er betrachtete mich eine ganze Weile aus tiefliegenden, rot¬ geränderten Augen, dann sagte er guten Abend, aber in einem Tone, der mich deutlich merken ließ, daß er mir eigentlich keinen guten Abend wünschte. Dazu war es noch gar nicht Abend, denn die Sonne stand hoch, und die kleine blasse Mondsichel am Himmel hatte gar nichts zu bedeuten. Bei uns im Norden ist es im Sommer bekanntlich lange Tag, und wenn ich mich auch über eine Stunde weit vom Hanse befand, so konnte ich doch vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/492>, abgerufen am 27.04.2024.