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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie und der Htaatssozialismus

" vu den Beratungen des diesjährigen' sozialdemokratischen Partei¬
tags verdient die Besprechung über Staatssozialismus und revo¬
lutionäre Sozialdemokratie Wohl die meiste Beachtung. Herr
von Vollmar hatte in einem (von der >!> vu" dlsug veröffent¬
lichten) Briefe folgendem Gedanken über den Staatssozialismus
Ausdruck gegeben:

Wenn mein sich ein hinreichendes Urteil über den Staatssozialismus bilden
will, so hat man meines Erachtens wohl zu unterscheiden zwischen dem Gedanken
des Staatssozialismus an sich und der Gestalt, die er augenblicklich gewonnen hat.

Man kann unter Staatssozialismus, ganz allgemein genommen, den Grundsatz
versteh", daß der bestehende Staat nicht bloß eine Organisation zu politischen
Zwecken sei, sondern daß sich seine Sonveränitnt auch ans das wirtschaftliche Ge¬
biet in dessen vollem Umfang erstrecke, svdns; dem Staate nicht nnr die Regelung
des ganzen Verhältnisses zwischen Arbeitern und Unternehmern zustehe, sondern
daß auch die Überführung beliebiger Teile der Gütererzeugung unter die Ober¬
leitung oder selbst in den unmittelbaren Betrieb des Staats in seiner Befugnis
liege. In diesem weitesten Sinne würde sich der Stantssozialismns vom demo¬
kratischen Sozialismus nur durch die Frage trennen, welchen Gebrauch der Staat
von dem ihm grundsätzlich zngestandnen Rechte zu machen habe, d. h. in welchem
Sinne und von wem der Staat zu leiten sei. Diese Frage ist allerdings von
größter Wichtigkeit, was sich schon daraus ergiebt, daß unsre Staatssozialisten poli¬
tisch meist Konservative, die eigentlichen Sozialisten dagegen Demokraten sind. In
welchem Sinne diese Meinungsverschiedenheit aber schließlich entschieden werden
wird, darüber kann wohl für niemand ein Zweifel bestehn, der die Unaufhaltsam¬
keit der fortschreitenden Demvkratisirung der Staatsgewalt erkennt. Deshalb bin
ich auch der Meinung, daß die Sozialdemokratie keinerlei Grund hat, den .Ge¬
danken des Staatssozialismus an sich mit besonderm Eifer zu bekämpfen. Werden
doch im Gegenteil eine Reihe von Maßregeln zur Anbahnung einer bessern Ge-


Greiizboten IV 1892 l>3


Die Sozialdemokratie und der Htaatssozialismus

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tags verdient die Besprechung über Staatssozialismus und revo¬
lutionäre Sozialdemokratie Wohl die meiste Beachtung. Herr
von Vollmar hatte in einem (von der >!> vu» dlsug veröffent¬
lichten) Briefe folgendem Gedanken über den Staatssozialismus
Ausdruck gegeben:

Wenn mein sich ein hinreichendes Urteil über den Staatssozialismus bilden
will, so hat man meines Erachtens wohl zu unterscheiden zwischen dem Gedanken
des Staatssozialismus an sich und der Gestalt, die er augenblicklich gewonnen hat.

Man kann unter Staatssozialismus, ganz allgemein genommen, den Grundsatz
versteh», daß der bestehende Staat nicht bloß eine Organisation zu politischen
Zwecken sei, sondern daß sich seine Sonveränitnt auch ans das wirtschaftliche Ge¬
biet in dessen vollem Umfang erstrecke, svdns; dem Staate nicht nnr die Regelung
des ganzen Verhältnisses zwischen Arbeitern und Unternehmern zustehe, sondern
daß auch die Überführung beliebiger Teile der Gütererzeugung unter die Ober¬
leitung oder selbst in den unmittelbaren Betrieb des Staats in seiner Befugnis
liege. In diesem weitesten Sinne würde sich der Stantssozialismns vom demo¬
kratischen Sozialismus nur durch die Frage trennen, welchen Gebrauch der Staat
von dem ihm grundsätzlich zngestandnen Rechte zu machen habe, d. h. in welchem
Sinne und von wem der Staat zu leiten sei. Diese Frage ist allerdings von
größter Wichtigkeit, was sich schon daraus ergiebt, daß unsre Staatssozialisten poli¬
tisch meist Konservative, die eigentlichen Sozialisten dagegen Demokraten sind. In
welchem Sinne diese Meinungsverschiedenheit aber schließlich entschieden werden
wird, darüber kann wohl für niemand ein Zweifel bestehn, der die Unaufhaltsam¬
keit der fortschreitenden Demvkratisirung der Staatsgewalt erkennt. Deshalb bin
ich auch der Meinung, daß die Sozialdemokratie keinerlei Grund hat, den .Ge¬
danken des Staatssozialismus an sich mit besonderm Eifer zu bekämpfen. Werden
doch im Gegenteil eine Reihe von Maßregeln zur Anbahnung einer bessern Ge-


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[0505] [Abbildung] Die Sozialdemokratie und der Htaatssozialismus » vu den Beratungen des diesjährigen' sozialdemokratischen Partei¬ tags verdient die Besprechung über Staatssozialismus und revo¬ lutionäre Sozialdemokratie Wohl die meiste Beachtung. Herr von Vollmar hatte in einem (von der >!> vu» dlsug veröffent¬ lichten) Briefe folgendem Gedanken über den Staatssozialismus Ausdruck gegeben: Wenn mein sich ein hinreichendes Urteil über den Staatssozialismus bilden will, so hat man meines Erachtens wohl zu unterscheiden zwischen dem Gedanken des Staatssozialismus an sich und der Gestalt, die er augenblicklich gewonnen hat. Man kann unter Staatssozialismus, ganz allgemein genommen, den Grundsatz versteh», daß der bestehende Staat nicht bloß eine Organisation zu politischen Zwecken sei, sondern daß sich seine Sonveränitnt auch ans das wirtschaftliche Ge¬ biet in dessen vollem Umfang erstrecke, svdns; dem Staate nicht nnr die Regelung des ganzen Verhältnisses zwischen Arbeitern und Unternehmern zustehe, sondern daß auch die Überführung beliebiger Teile der Gütererzeugung unter die Ober¬ leitung oder selbst in den unmittelbaren Betrieb des Staats in seiner Befugnis liege. In diesem weitesten Sinne würde sich der Stantssozialismns vom demo¬ kratischen Sozialismus nur durch die Frage trennen, welchen Gebrauch der Staat von dem ihm grundsätzlich zngestandnen Rechte zu machen habe, d. h. in welchem Sinne und von wem der Staat zu leiten sei. Diese Frage ist allerdings von größter Wichtigkeit, was sich schon daraus ergiebt, daß unsre Staatssozialisten poli¬ tisch meist Konservative, die eigentlichen Sozialisten dagegen Demokraten sind. In welchem Sinne diese Meinungsverschiedenheit aber schließlich entschieden werden wird, darüber kann wohl für niemand ein Zweifel bestehn, der die Unaufhaltsam¬ keit der fortschreitenden Demvkratisirung der Staatsgewalt erkennt. Deshalb bin ich auch der Meinung, daß die Sozialdemokratie keinerlei Grund hat, den .Ge¬ danken des Staatssozialismus an sich mit besonderm Eifer zu bekämpfen. Werden doch im Gegenteil eine Reihe von Maßregeln zur Anbahnung einer bessern Ge- Greiizboten IV 1892 l>3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/505>, abgerufen am 27.04.2024.