Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

das ist die ganze Anhängerschaft des Staatssozialismus, eine kleine Schar von
Offizieren ohne Soldaten. Nicht das liberale, mit den "Richtcrschen Irrlehren"
bewaffnete "Bürgertum in Stadt und Land," nicht der "Zusammenschluß
aller staatserhaltenden Parteien," nicht die antisemitische Bewegung, die den
Kernpunkt der sozialen Frage nicht berührt und äußere Anzeichen des Leidens
für das Leiden selbst hält, macht der Sozialdemokratie Sorge". Nur den
Staatssozialismus fürchtet sie, und zwar fürchtet sie ihn so sehr, daß sie es
schon, ehe er auch nnr wirklich lebendig geworden ist, für erforderlich hält,
sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Wird die äußerste Rechte der konservativen Partei hieraus die richtige
Lehre ziehen und der sozialdemokratischen Bewegung endlich die sozialkonser¬
vative entgegensetzen? oder wird sie fortfahren, sich von einer kompromißsüch¬
tigen, schwächlichen, schein-konservativen Parteileitung gängeln zu lassen und
es auch fernerhin zulassen, daß der große und staatserhaltende Gedanke des
Sozialismus von Demagogen gefälscht und geschändet werde, die dem Volke
einreden, der Sozialismus sei möglich ohne eine starke und monarchische
Staatsgewalt?




Gin neuer Buchhändlerprozeß
on"i B. Lat,r

an wird sich erinnern, daß vor nicht langer Zeit in diesen Blät¬
tern ein Buchhändlerprvzeß von uns besprochen wurde, dessen
Entscheidung in den Kreisen des Buchhandels großes Aufsehen
erregt hatte, und der auch nach unsrer Ansicht vom Reichsgericht
nicht sacheutsprecheud entschieden worden war. Jetzt hat aber¬
mals das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Gerichtsentscheidungen
mitgeteilt, die über ein bnchhändlerisches Verhältnis ergangen sind, und die
nicht minder in Bnchhändlerkreisen Erstaunen erregt haben. In wiederholten
Besprechungen von Kunst- und von Buchhändler", die das Börsenblatt ge¬
bracht hat, ist dies zum lebhaften Ausdruck gekommen. Diesmal ist es nicht
ein Zivilprozeß, der zu diesem befremdenden Ergebnis geführt hat, sondern ein
Strafprozeß, der freilich dnrch Zuerkennung einer Buße zugleich eine zivil-
rechtliche Entscheidung in sich schließt. Auch ist es diesmal nicht eine Ent¬
scheidung des Reichsgerichts, gegen die man einen Vorwurf erheben könnte;
vielmehr ist das Schicksal des Prozesses dnrch die Entscheidung der ersten


das ist die ganze Anhängerschaft des Staatssozialismus, eine kleine Schar von
Offizieren ohne Soldaten. Nicht das liberale, mit den „Richtcrschen Irrlehren"
bewaffnete „Bürgertum in Stadt und Land," nicht der „Zusammenschluß
aller staatserhaltenden Parteien," nicht die antisemitische Bewegung, die den
Kernpunkt der sozialen Frage nicht berührt und äußere Anzeichen des Leidens
für das Leiden selbst hält, macht der Sozialdemokratie Sorge». Nur den
Staatssozialismus fürchtet sie, und zwar fürchtet sie ihn so sehr, daß sie es
schon, ehe er auch nnr wirklich lebendig geworden ist, für erforderlich hält,
sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Wird die äußerste Rechte der konservativen Partei hieraus die richtige
Lehre ziehen und der sozialdemokratischen Bewegung endlich die sozialkonser¬
vative entgegensetzen? oder wird sie fortfahren, sich von einer kompromißsüch¬
tigen, schwächlichen, schein-konservativen Parteileitung gängeln zu lassen und
es auch fernerhin zulassen, daß der große und staatserhaltende Gedanke des
Sozialismus von Demagogen gefälscht und geschändet werde, die dem Volke
einreden, der Sozialismus sei möglich ohne eine starke und monarchische
Staatsgewalt?




Gin neuer Buchhändlerprozeß
on»i B. Lat,r

an wird sich erinnern, daß vor nicht langer Zeit in diesen Blät¬
tern ein Buchhändlerprvzeß von uns besprochen wurde, dessen
Entscheidung in den Kreisen des Buchhandels großes Aufsehen
erregt hatte, und der auch nach unsrer Ansicht vom Reichsgericht
nicht sacheutsprecheud entschieden worden war. Jetzt hat aber¬
mals das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Gerichtsentscheidungen
mitgeteilt, die über ein bnchhändlerisches Verhältnis ergangen sind, und die
nicht minder in Bnchhändlerkreisen Erstaunen erregt haben. In wiederholten
Besprechungen von Kunst- und von Buchhändler», die das Börsenblatt ge¬
bracht hat, ist dies zum lebhaften Ausdruck gekommen. Diesmal ist es nicht
ein Zivilprozeß, der zu diesem befremdenden Ergebnis geführt hat, sondern ein
Strafprozeß, der freilich dnrch Zuerkennung einer Buße zugleich eine zivil-
rechtliche Entscheidung in sich schließt. Auch ist es diesmal nicht eine Ent¬
scheidung des Reichsgerichts, gegen die man einen Vorwurf erheben könnte;
vielmehr ist das Schicksal des Prozesses dnrch die Entscheidung der ersten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213624"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1566" prev="#ID_1565"> das ist die ganze Anhängerschaft des Staatssozialismus, eine kleine Schar von<lb/>
Offizieren ohne Soldaten. Nicht das liberale, mit den &#x201E;Richtcrschen Irrlehren"<lb/>
bewaffnete &#x201E;Bürgertum in Stadt und Land," nicht der &#x201E;Zusammenschluß<lb/>
aller staatserhaltenden Parteien," nicht die antisemitische Bewegung, die den<lb/>
Kernpunkt der sozialen Frage nicht berührt und äußere Anzeichen des Leidens<lb/>
für das Leiden selbst hält, macht der Sozialdemokratie Sorge». Nur den<lb/>
Staatssozialismus fürchtet sie, und zwar fürchtet sie ihn so sehr, daß sie es<lb/>
schon, ehe er auch nnr wirklich lebendig geworden ist, für erforderlich hält,<lb/>
sich mit ihm auseinanderzusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1567"> Wird die äußerste Rechte der konservativen Partei hieraus die richtige<lb/>
Lehre ziehen und der sozialdemokratischen Bewegung endlich die sozialkonser¬<lb/>
vative entgegensetzen? oder wird sie fortfahren, sich von einer kompromißsüch¬<lb/>
tigen, schwächlichen, schein-konservativen Parteileitung gängeln zu lassen und<lb/>
es auch fernerhin zulassen, daß der große und staatserhaltende Gedanke des<lb/>
Sozialismus von Demagogen gefälscht und geschändet werde, die dem Volke<lb/>
einreden, der Sozialismus sei möglich ohne eine starke und monarchische<lb/>
Staatsgewalt?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gin neuer Buchhändlerprozeß<lb/><note type="byline"> on»i B. Lat,r</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1568" next="#ID_1569"> an wird sich erinnern, daß vor nicht langer Zeit in diesen Blät¬<lb/>
tern ein Buchhändlerprvzeß von uns besprochen wurde, dessen<lb/>
Entscheidung in den Kreisen des Buchhandels großes Aufsehen<lb/>
erregt hatte, und der auch nach unsrer Ansicht vom Reichsgericht<lb/>
nicht sacheutsprecheud entschieden worden war. Jetzt hat aber¬<lb/>
mals das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Gerichtsentscheidungen<lb/>
mitgeteilt, die über ein bnchhändlerisches Verhältnis ergangen sind, und die<lb/>
nicht minder in Bnchhändlerkreisen Erstaunen erregt haben. In wiederholten<lb/>
Besprechungen von Kunst- und von Buchhändler», die das Börsenblatt ge¬<lb/>
bracht hat, ist dies zum lebhaften Ausdruck gekommen. Diesmal ist es nicht<lb/>
ein Zivilprozeß, der zu diesem befremdenden Ergebnis geführt hat, sondern ein<lb/>
Strafprozeß, der freilich dnrch Zuerkennung einer Buße zugleich eine zivil-<lb/>
rechtliche Entscheidung in sich schließt. Auch ist es diesmal nicht eine Ent¬<lb/>
scheidung des Reichsgerichts, gegen die man einen Vorwurf erheben könnte;<lb/>
vielmehr ist das Schicksal des Prozesses dnrch die Entscheidung der ersten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] das ist die ganze Anhängerschaft des Staatssozialismus, eine kleine Schar von Offizieren ohne Soldaten. Nicht das liberale, mit den „Richtcrschen Irrlehren" bewaffnete „Bürgertum in Stadt und Land," nicht der „Zusammenschluß aller staatserhaltenden Parteien," nicht die antisemitische Bewegung, die den Kernpunkt der sozialen Frage nicht berührt und äußere Anzeichen des Leidens für das Leiden selbst hält, macht der Sozialdemokratie Sorge». Nur den Staatssozialismus fürchtet sie, und zwar fürchtet sie ihn so sehr, daß sie es schon, ehe er auch nnr wirklich lebendig geworden ist, für erforderlich hält, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Wird die äußerste Rechte der konservativen Partei hieraus die richtige Lehre ziehen und der sozialdemokratischen Bewegung endlich die sozialkonser¬ vative entgegensetzen? oder wird sie fortfahren, sich von einer kompromißsüch¬ tigen, schwächlichen, schein-konservativen Parteileitung gängeln zu lassen und es auch fernerhin zulassen, daß der große und staatserhaltende Gedanke des Sozialismus von Demagogen gefälscht und geschändet werde, die dem Volke einreden, der Sozialismus sei möglich ohne eine starke und monarchische Staatsgewalt? Gin neuer Buchhändlerprozeß on»i B. Lat,r an wird sich erinnern, daß vor nicht langer Zeit in diesen Blät¬ tern ein Buchhändlerprvzeß von uns besprochen wurde, dessen Entscheidung in den Kreisen des Buchhandels großes Aufsehen erregt hatte, und der auch nach unsrer Ansicht vom Reichsgericht nicht sacheutsprecheud entschieden worden war. Jetzt hat aber¬ mals das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Gerichtsentscheidungen mitgeteilt, die über ein bnchhändlerisches Verhältnis ergangen sind, und die nicht minder in Bnchhändlerkreisen Erstaunen erregt haben. In wiederholten Besprechungen von Kunst- und von Buchhändler», die das Börsenblatt ge¬ bracht hat, ist dies zum lebhaften Ausdruck gekommen. Diesmal ist es nicht ein Zivilprozeß, der zu diesem befremdenden Ergebnis geführt hat, sondern ein Strafprozeß, der freilich dnrch Zuerkennung einer Buße zugleich eine zivil- rechtliche Entscheidung in sich schließt. Auch ist es diesmal nicht eine Ent¬ scheidung des Reichsgerichts, gegen die man einen Vorwurf erheben könnte; vielmehr ist das Schicksal des Prozesses dnrch die Entscheidung der ersten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/510>, abgerufen am 27.04.2024.