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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Lothar Lucher

habe in einer Eingabe nach Peking das heurige Auftreten ungeheurer Heu-
schreckenschwärme damit erklärt, daß sich in diesem Sommer die Krabben am
Strande des Gelben Meeres in Heuschrecken verwandelt hätten!




Erinnerungen an Lothar Bucher
Von Bruno Bucher 3

as öffentliche Wirken Buchers gliedert sich in drei streng ge¬
trennte Perioden. Bekannt wurde er als Parlamentsredner,
dann folgten zwölf Jahre publizistischer Thätigkeit, endlich
"tauchte er unter," wie gesagt worden ist, im Auswärtigen
Amte. Jede Periode hat ihren eignen Stil.

Einen Oppositionsredner aus den Jahren 1848 und 1349 versteht man
nur aus der Geschichte des vorausgegaugueu Jahrzehnts. Von den zwanziger
Jahren an und vollends seit 1830 war der französische Konstitutionalismus
das Ideal der Liberalen in Deutschland. Als Arndt in Deutschland seines
Lebens nicht sicher war, flüchtete er zu den stammverwandten Schweden. Nach
der Julirevolution gingen die Unzufriednen oder Geächteten nach Paris ans
die hohe Schule der Politik, und wer im Lande geblieben war, empfing
wenigstens von dort seine geistige Nahrung. Es gab eine Zeit, wo Börne sozu¬
sagen wie ein Prophet oder Kirchenvater verehrt und der sonst vergötterte Heine
wegen seines Buches über Börne in den Bann gethan wurde. Nach der
Thronbesteigung Friedrich Wilhelms des Vierten übernahm Königsberg eine
Zeit lang die Führung in der politischen Bewegung -- die geistige Haupt¬
stadt Deutschlands nannte es 1843 Friedrich Ludwig Jahr in meiner Gegen¬
wart, fünf Jahre später dachte er anders! Und es ist wohl der Beachtung
wert, daß es neben Börne und Heine nun Männer wie Johann Jacoby und
Ludwig Walesrode waren, aus deren Schriften und Reden sich Stimmung
und Ansichten verbreiteten. Zu der dialektischen Schärfe und dem Witze, mit
dem das bestehende beleuchtet wurde, kam aber noch die rhetorische Poesie und
gab dein unklaren Drange nach neuen großen Dingen Ausdruck. Man thut
den meisten Mitgliedern der verschiednen konstituirenden Versammlungen
schwerlich Unrecht mit der Annahme, daß sie ans solcher Schule vor allem
die Losung mitbrachten: Es muß alles anders werden! Wie? das wird sich
schon finden. So erklärte ein Hanptredner der Paulskirche nach seiner Wahl
in aller Naivität, er könne nun nicht mehr das Präsidium im demokratischen


Erinnerungen an Lothar Lucher

habe in einer Eingabe nach Peking das heurige Auftreten ungeheurer Heu-
schreckenschwärme damit erklärt, daß sich in diesem Sommer die Krabben am
Strande des Gelben Meeres in Heuschrecken verwandelt hätten!




Erinnerungen an Lothar Bucher
Von Bruno Bucher 3

as öffentliche Wirken Buchers gliedert sich in drei streng ge¬
trennte Perioden. Bekannt wurde er als Parlamentsredner,
dann folgten zwölf Jahre publizistischer Thätigkeit, endlich
„tauchte er unter," wie gesagt worden ist, im Auswärtigen
Amte. Jede Periode hat ihren eignen Stil.

Einen Oppositionsredner aus den Jahren 1848 und 1349 versteht man
nur aus der Geschichte des vorausgegaugueu Jahrzehnts. Von den zwanziger
Jahren an und vollends seit 1830 war der französische Konstitutionalismus
das Ideal der Liberalen in Deutschland. Als Arndt in Deutschland seines
Lebens nicht sicher war, flüchtete er zu den stammverwandten Schweden. Nach
der Julirevolution gingen die Unzufriednen oder Geächteten nach Paris ans
die hohe Schule der Politik, und wer im Lande geblieben war, empfing
wenigstens von dort seine geistige Nahrung. Es gab eine Zeit, wo Börne sozu¬
sagen wie ein Prophet oder Kirchenvater verehrt und der sonst vergötterte Heine
wegen seines Buches über Börne in den Bann gethan wurde. Nach der
Thronbesteigung Friedrich Wilhelms des Vierten übernahm Königsberg eine
Zeit lang die Führung in der politischen Bewegung — die geistige Haupt¬
stadt Deutschlands nannte es 1843 Friedrich Ludwig Jahr in meiner Gegen¬
wart, fünf Jahre später dachte er anders! Und es ist wohl der Beachtung
wert, daß es neben Börne und Heine nun Männer wie Johann Jacoby und
Ludwig Walesrode waren, aus deren Schriften und Reden sich Stimmung
und Ansichten verbreiteten. Zu der dialektischen Schärfe und dem Witze, mit
dem das bestehende beleuchtet wurde, kam aber noch die rhetorische Poesie und
gab dein unklaren Drange nach neuen großen Dingen Ausdruck. Man thut
den meisten Mitgliedern der verschiednen konstituirenden Versammlungen
schwerlich Unrecht mit der Annahme, daß sie ans solcher Schule vor allem
die Losung mitbrachten: Es muß alles anders werden! Wie? das wird sich
schon finden. So erklärte ein Hanptredner der Paulskirche nach seiner Wahl
in aller Naivität, er könne nun nicht mehr das Präsidium im demokratischen


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[0580] Erinnerungen an Lothar Lucher habe in einer Eingabe nach Peking das heurige Auftreten ungeheurer Heu- schreckenschwärme damit erklärt, daß sich in diesem Sommer die Krabben am Strande des Gelben Meeres in Heuschrecken verwandelt hätten! Erinnerungen an Lothar Bucher Von Bruno Bucher 3 as öffentliche Wirken Buchers gliedert sich in drei streng ge¬ trennte Perioden. Bekannt wurde er als Parlamentsredner, dann folgten zwölf Jahre publizistischer Thätigkeit, endlich „tauchte er unter," wie gesagt worden ist, im Auswärtigen Amte. Jede Periode hat ihren eignen Stil. Einen Oppositionsredner aus den Jahren 1848 und 1349 versteht man nur aus der Geschichte des vorausgegaugueu Jahrzehnts. Von den zwanziger Jahren an und vollends seit 1830 war der französische Konstitutionalismus das Ideal der Liberalen in Deutschland. Als Arndt in Deutschland seines Lebens nicht sicher war, flüchtete er zu den stammverwandten Schweden. Nach der Julirevolution gingen die Unzufriednen oder Geächteten nach Paris ans die hohe Schule der Politik, und wer im Lande geblieben war, empfing wenigstens von dort seine geistige Nahrung. Es gab eine Zeit, wo Börne sozu¬ sagen wie ein Prophet oder Kirchenvater verehrt und der sonst vergötterte Heine wegen seines Buches über Börne in den Bann gethan wurde. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms des Vierten übernahm Königsberg eine Zeit lang die Führung in der politischen Bewegung — die geistige Haupt¬ stadt Deutschlands nannte es 1843 Friedrich Ludwig Jahr in meiner Gegen¬ wart, fünf Jahre später dachte er anders! Und es ist wohl der Beachtung wert, daß es neben Börne und Heine nun Männer wie Johann Jacoby und Ludwig Walesrode waren, aus deren Schriften und Reden sich Stimmung und Ansichten verbreiteten. Zu der dialektischen Schärfe und dem Witze, mit dem das bestehende beleuchtet wurde, kam aber noch die rhetorische Poesie und gab dein unklaren Drange nach neuen großen Dingen Ausdruck. Man thut den meisten Mitgliedern der verschiednen konstituirenden Versammlungen schwerlich Unrecht mit der Annahme, daß sie ans solcher Schule vor allem die Losung mitbrachten: Es muß alles anders werden! Wie? das wird sich schon finden. So erklärte ein Hanptredner der Paulskirche nach seiner Wahl in aller Naivität, er könne nun nicht mehr das Präsidium im demokratischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/580>, abgerufen am 27.04.2024.