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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Tod, von den Herzog. Deal wenn er das Geld nahm, so that er es man
bloß aus pure Unbedachtsamkeit und nich, weil er jemand verraten wollt.
Soviel is gewiß: ich sprech da oben mal über allens und sag geradeaus meine
Meinung, wenn es auch unbescheiden is. Abers ich hab doch von den Fluch
auch ein Stück abgekriegt, das kann ich deutlich merken, und daher is mich das
so greulich, wenn der Mond scheint und ich an all die alten Geschichtens
denken muß. Ich hab denn auch in mein Testament geschrieben, daß ich mein
Grab auf deu dunkelsten Platz von Kirchhof haben will, denn sonsten kann
ich nich ruhig in die Erde liegen, das weiß ich genan. Nu abers müssen
Sie warhaftigeu Gott nach Hause gehn!

Das that ich denn anch, während der alte Mann ein Stück schweigend
neben mir herging und nur manchmal tief aufseufzte oder mit seinem Hunde
sprach. Später habe ich Detlev Markham uoch ein paar mal wieder gesehn;
aber er war nie wieder so mitteilsam, sondern sprach nur von seinem Tode.
Nun liegt er schon lange auf dem dunkelsten Platz des Kirchhofs, und alle
Irrtümer des langweiligen Kammerherrn sind hoffentlich aufgeklärt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Ahlwardtsche Prozeß.

Aller Wahrscheinlichkeit nach oder vielmehr ganz
unzweifelhaft bedeutet der soeben beendete Prozeß gegen Ahlwardt einen glänzenden
Sieg des Antisemitismus, obwohl der Angeklagte zu einer übrigens verhältnis¬
mäßig niedrigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Und warum? Weil die ein¬
fache Empfindung des gemeinen Mannes, wie sie in der Haltung der Zuschauer
hervortrat, sich sagt: Mag Ahlwardt noch soviel übertriebne oder manche ganz un¬
begründete Beschuldigungen ausgesprochen haben, er hat den Mut, dein großmäch¬
tigen Judeutume zu trotzen, und er hat in gutem Glauben gehandelt. Auch dürfte
seiue Vaterlandsliebe mit dem Patriotismus der Firma Löwe u. Co. wohl den
Vergleich aushalten.

Auch dieser Prozeß ist wie der Buschoffsche wahrhaftig kein Ruhm für die deutsche
Rechtsprechung. Das Vvlksgewissen muß irre werden und fragen: Ist Israel bei uns
schon allmächtig? Genügt es, Jude zu sein, um von vornherein für unschuldig zu
gelten, und Christ, um gegen einen Juden Unrecht zu behalten? Es ist ja thörichtes
Geschwätz, zu behaupten, daß die Wahl in Arnswnlde "gemacht" worden sei durch
demagogische Verhetzung und durch die Parteinahme des Landrath, über die nie¬
mand mehr geschrien hat, als die nationalliberalen Blätter, die doch sonst so ge¬
neigt sind, die Freiheit der Überzeugung, auch des Beamten, zu verteidigen. Wenn
nur die Wahl, gleichviel durch welche Mittel, für die Freisinnigen ausgefallen
wäre, wie würde ihre ganze Presse frohlocken, daß hier die "Stimme des Volks"


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Tod, von den Herzog. Deal wenn er das Geld nahm, so that er es man
bloß aus pure Unbedachtsamkeit und nich, weil er jemand verraten wollt.
Soviel is gewiß: ich sprech da oben mal über allens und sag geradeaus meine
Meinung, wenn es auch unbescheiden is. Abers ich hab doch von den Fluch
auch ein Stück abgekriegt, das kann ich deutlich merken, und daher is mich das
so greulich, wenn der Mond scheint und ich an all die alten Geschichtens
denken muß. Ich hab denn auch in mein Testament geschrieben, daß ich mein
Grab auf deu dunkelsten Platz von Kirchhof haben will, denn sonsten kann
ich nich ruhig in die Erde liegen, das weiß ich genan. Nu abers müssen
Sie warhaftigeu Gott nach Hause gehn!

Das that ich denn anch, während der alte Mann ein Stück schweigend
neben mir herging und nur manchmal tief aufseufzte oder mit seinem Hunde
sprach. Später habe ich Detlev Markham uoch ein paar mal wieder gesehn;
aber er war nie wieder so mitteilsam, sondern sprach nur von seinem Tode.
Nun liegt er schon lange auf dem dunkelsten Platz des Kirchhofs, und alle
Irrtümer des langweiligen Kammerherrn sind hoffentlich aufgeklärt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Ahlwardtsche Prozeß.

Aller Wahrscheinlichkeit nach oder vielmehr ganz
unzweifelhaft bedeutet der soeben beendete Prozeß gegen Ahlwardt einen glänzenden
Sieg des Antisemitismus, obwohl der Angeklagte zu einer übrigens verhältnis¬
mäßig niedrigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Und warum? Weil die ein¬
fache Empfindung des gemeinen Mannes, wie sie in der Haltung der Zuschauer
hervortrat, sich sagt: Mag Ahlwardt noch soviel übertriebne oder manche ganz un¬
begründete Beschuldigungen ausgesprochen haben, er hat den Mut, dein großmäch¬
tigen Judeutume zu trotzen, und er hat in gutem Glauben gehandelt. Auch dürfte
seiue Vaterlandsliebe mit dem Patriotismus der Firma Löwe u. Co. wohl den
Vergleich aushalten.

Auch dieser Prozeß ist wie der Buschoffsche wahrhaftig kein Ruhm für die deutsche
Rechtsprechung. Das Vvlksgewissen muß irre werden und fragen: Ist Israel bei uns
schon allmächtig? Genügt es, Jude zu sein, um von vornherein für unschuldig zu
gelten, und Christ, um gegen einen Juden Unrecht zu behalten? Es ist ja thörichtes
Geschwätz, zu behaupten, daß die Wahl in Arnswnlde „gemacht" worden sei durch
demagogische Verhetzung und durch die Parteinahme des Landrath, über die nie¬
mand mehr geschrien hat, als die nationalliberalen Blätter, die doch sonst so ge¬
neigt sind, die Freiheit der Überzeugung, auch des Beamten, zu verteidigen. Wenn
nur die Wahl, gleichviel durch welche Mittel, für die Freisinnigen ausgefallen
wäre, wie würde ihre ganze Presse frohlocken, daß hier die „Stimme des Volks"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/606>, abgerufen am 27.04.2024.