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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die alte Geschichte von der alten Geschichte

in Erlaß des preußischen Kultusministers, der vor wenigen
Tagen den Proviuzialschultvllegien zugegangen ist, berührt nicht
nur das sehnlicher, sondern greift auch tief in ein Gebiet der
nationalen Erziehung ein. Der Minister sieht sich genötigt,
der kürzlich in Kraft getretner Ordnung der Reifeprüfungen
für höhere Schulen ihr gutes Recht gegenüber dem Stnrrsiuu der Uuterrichts-
orthodoxie durch diesen Erlaß zu wahren. Der Sachverhalt ist folgender.
Die neue Verordnung bestimmt ausdrücklich, daß die geschichtliche Prüfung
die Geschichte Deutschlands und des preußischen Staats zum Gegenstande
haben solle. Nun hört der Minister "zu seinem großen Vesremden," daß "an
einem Ghmnnsium die für die bezeichneten Vorschriften maßgebend gewesenen
Absichten vereitelt werden." Der betreffende Geschichtslehrer hat "eine schwere
Bedrückung der Prüslinge" ausgeübt, indem er ihnen erklärte, daß er sich für
das über Entbindung von der mündlichen Prüfung entscheidende Prädikat
nur auf Grund einer ein Vierteljahr früher, also gegen Weihnachten statt¬
findenden Prüfung entscheiden könne. Er hat überdies von den Prüfungen
Wiederholungen der alten Geschichte verlangt, da diese "im Anschluß an die
Übersetzung der Klassiker zur Prüfung herangezogen werden würde." Nun
bestimmt aber die neueste Verordnung ausdrücklich, daß in der alten Geschichte
nicht geprüft werden soll. Der Minister ist also mit Recht über diese "zum
Ärgernis gewordne Gewohnheit" erzürnt und droht den Lehrern bei weitern
Widersetzlichkeiten gegen die amtliche Vorschrift mit "ernster disziplinarischer
Ahndung."

Nur vou einem Ghnmasium ist solche Gesetzwidrigkeit dem Minister zu
Ohren gekommen, aber auch an andern wird sie vermutlich gerade jetzt in der
Weihnachtszeit vorkommen. Daher ist es erfreulich, daß der oberste Unterrichts¬
beamte den Schülern diese Trübung der Weihnachtsfreude fernhalten will, und
daß er die Pflicht des prüfenden Geschichtslehrers energisch betont. Sein
Erlaß deckt eine Wunde am Lehrkörper auf. Noch immer besteht die bis zur
Gesetzesverletzung treibende Neigung gewisser Vertreter des Unterrichts, die
Geschichte einerseits in äußerlicher Weise als Memorirstoff aufzufassen, andrer-




Die alte Geschichte von der alten Geschichte

in Erlaß des preußischen Kultusministers, der vor wenigen
Tagen den Proviuzialschultvllegien zugegangen ist, berührt nicht
nur das sehnlicher, sondern greift auch tief in ein Gebiet der
nationalen Erziehung ein. Der Minister sieht sich genötigt,
der kürzlich in Kraft getretner Ordnung der Reifeprüfungen
für höhere Schulen ihr gutes Recht gegenüber dem Stnrrsiuu der Uuterrichts-
orthodoxie durch diesen Erlaß zu wahren. Der Sachverhalt ist folgender.
Die neue Verordnung bestimmt ausdrücklich, daß die geschichtliche Prüfung
die Geschichte Deutschlands und des preußischen Staats zum Gegenstande
haben solle. Nun hört der Minister „zu seinem großen Vesremden," daß „an
einem Ghmnnsium die für die bezeichneten Vorschriften maßgebend gewesenen
Absichten vereitelt werden." Der betreffende Geschichtslehrer hat „eine schwere
Bedrückung der Prüslinge" ausgeübt, indem er ihnen erklärte, daß er sich für
das über Entbindung von der mündlichen Prüfung entscheidende Prädikat
nur auf Grund einer ein Vierteljahr früher, also gegen Weihnachten statt¬
findenden Prüfung entscheiden könne. Er hat überdies von den Prüfungen
Wiederholungen der alten Geschichte verlangt, da diese „im Anschluß an die
Übersetzung der Klassiker zur Prüfung herangezogen werden würde." Nun
bestimmt aber die neueste Verordnung ausdrücklich, daß in der alten Geschichte
nicht geprüft werden soll. Der Minister ist also mit Recht über diese „zum
Ärgernis gewordne Gewohnheit" erzürnt und droht den Lehrern bei weitern
Widersetzlichkeiten gegen die amtliche Vorschrift mit „ernster disziplinarischer
Ahndung."

Nur vou einem Ghnmasium ist solche Gesetzwidrigkeit dem Minister zu
Ohren gekommen, aber auch an andern wird sie vermutlich gerade jetzt in der
Weihnachtszeit vorkommen. Daher ist es erfreulich, daß der oberste Unterrichts¬
beamte den Schülern diese Trübung der Weihnachtsfreude fernhalten will, und
daß er die Pflicht des prüfenden Geschichtslehrers energisch betont. Sein
Erlaß deckt eine Wunde am Lehrkörper auf. Noch immer besteht die bis zur
Gesetzesverletzung treibende Neigung gewisser Vertreter des Unterrichts, die
Geschichte einerseits in äußerlicher Weise als Memorirstoff aufzufassen, andrer-


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[0642] [Abbildung] Die alte Geschichte von der alten Geschichte in Erlaß des preußischen Kultusministers, der vor wenigen Tagen den Proviuzialschultvllegien zugegangen ist, berührt nicht nur das sehnlicher, sondern greift auch tief in ein Gebiet der nationalen Erziehung ein. Der Minister sieht sich genötigt, der kürzlich in Kraft getretner Ordnung der Reifeprüfungen für höhere Schulen ihr gutes Recht gegenüber dem Stnrrsiuu der Uuterrichts- orthodoxie durch diesen Erlaß zu wahren. Der Sachverhalt ist folgender. Die neue Verordnung bestimmt ausdrücklich, daß die geschichtliche Prüfung die Geschichte Deutschlands und des preußischen Staats zum Gegenstande haben solle. Nun hört der Minister „zu seinem großen Vesremden," daß „an einem Ghmnnsium die für die bezeichneten Vorschriften maßgebend gewesenen Absichten vereitelt werden." Der betreffende Geschichtslehrer hat „eine schwere Bedrückung der Prüslinge" ausgeübt, indem er ihnen erklärte, daß er sich für das über Entbindung von der mündlichen Prüfung entscheidende Prädikat nur auf Grund einer ein Vierteljahr früher, also gegen Weihnachten statt¬ findenden Prüfung entscheiden könne. Er hat überdies von den Prüfungen Wiederholungen der alten Geschichte verlangt, da diese „im Anschluß an die Übersetzung der Klassiker zur Prüfung herangezogen werden würde." Nun bestimmt aber die neueste Verordnung ausdrücklich, daß in der alten Geschichte nicht geprüft werden soll. Der Minister ist also mit Recht über diese „zum Ärgernis gewordne Gewohnheit" erzürnt und droht den Lehrern bei weitern Widersetzlichkeiten gegen die amtliche Vorschrift mit „ernster disziplinarischer Ahndung." Nur vou einem Ghnmasium ist solche Gesetzwidrigkeit dem Minister zu Ohren gekommen, aber auch an andern wird sie vermutlich gerade jetzt in der Weihnachtszeit vorkommen. Daher ist es erfreulich, daß der oberste Unterrichts¬ beamte den Schülern diese Trübung der Weihnachtsfreude fernhalten will, und daß er die Pflicht des prüfenden Geschichtslehrers energisch betont. Sein Erlaß deckt eine Wunde am Lehrkörper auf. Noch immer besteht die bis zur Gesetzesverletzung treibende Neigung gewisser Vertreter des Unterrichts, die Geschichte einerseits in äußerlicher Weise als Memorirstoff aufzufassen, andrer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/642>, abgerufen am 27.04.2024.