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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Reformen auf dein Gebiete der Interessenvertretungen

daß sie auf ein hervorragendes Interesse, aber auch auf eine gewissenhafte
Kritik Anspruch zu machen berechtigt sind.


4. Landwirtschaftskammern.

Das Interesse der Landwirtschaft an einer
gesetzlich geordneten Interessenvertretung ist insofern, wenigstens in den Kreisen
des Großgrundbesitzes, nur gering, als die landwirtschaftlichen Zentralvereiue
bereits mit staatlichen Rechten und Pflichten ausgestattet siud. Gleichwohl wird
das so wichtige Besteuerungsrecht vielfach vermißt, und dies hat Veranlassung
gegeben, daß einzelne Landesteile den Antrag ans eine staatliche Organisation
gestellt haben. Da aber andrerseits die Zentralvereine ihr Bestehen nicht ge¬
fährdet zu sehn wünschen und dein Gedanken der Landwirtschaftskammern in
der großen Mehrheit widerstreben, so wird die Staatsregierung von der all¬
gemeinen Einführung staatlicher Vertretungen von selbst Abstand nehmen können
und nur dort, wo ein dringliches Interesse geltend gemacht wird, auch die
gesetzliche Möglichkeit schaffen, es zu befriedigen. Ungleich wichtiger als für
den Großgrundbesitz ist die Frage für den bäuerlichen Kleinbesitz. Diesem
endlich einmal die ihm so notwendige Vertretung seiner Interessen von Staats¬
wegen zu schaffen, halten wir unter allen Fragen der Interessenvertretung
unter den heutigen Zeitumständen für die staatswirtschaftlich dringendste und
wichtigste Aufgabe.

Daß natürlich mit der Reform der Interessenvertretung auf deu untern
Stufen allein noch nicht der volle Gewinn erzielt wird, daß vielmehr eine
Verbindung zwischen den einzelnen Interessenvertretungen einerseits und zwischen
diesen und der Reichs- und Landesverwaltung andrerseits geschaffen werden
muß, kann wohl kaum übersehen werden. Wir stimmen hierin den seit Jahren
auf diesem Gebiete rührigen Bestrebungen der Handelskammer in Osnabrück
vollständig bei, wenn wir uns auch im Gegensatz zu der von ihr vertretenen
Auffassung ein wirkliches Zusammenarbeiten der großen Erwerbsgruppen nur
denken können, wenn es sich auf die selbständige gewissenhafte Vorarbeit der
einzelnen Berufszweige stützt. Wir vermeide!? es hierbei absichtlich, uns auf
das Gebiet staatsrechtlicher und politischer Erörterungen zu begeben und
namentlich dem Schreckrufe zu begegnen, daß durch die planmäßige Förderung
und Stärkung der Interessenvertretungen und durch die gegenwärtig auffallend
gesteigerte Neigung zu Jnteressenverbindnngen die Vertretung der allgemeinen
Interessen in den Parlamenten eine Abschwächung erfahren müsse. Diese, wie
wir keineswegs verkennen, nach verschiednen Richtungen hin unser politisches
Leben berührende Frage erfordert eine tiefer gehende Beantwortung, als ihr
hier zu teil werden kann. Wir halten es, wie gesagt, nicht für gerecht¬
fertigt, dem Großgrundbesitz eine staatliche Organisation und damit öffent¬
liche Rechte zu gewähren, auf die er zur Zeit offenbar selbst nur geringen
Wert legt. Es wird sich hier nur um freiwillige Einrichtungen handeln
können. Dennoch haben wir die Landwirtschaftskammern in den nachstehenden


Grenzboten IV 1892 "
Reformen auf dein Gebiete der Interessenvertretungen

daß sie auf ein hervorragendes Interesse, aber auch auf eine gewissenhafte
Kritik Anspruch zu machen berechtigt sind.


4. Landwirtschaftskammern.

Das Interesse der Landwirtschaft an einer
gesetzlich geordneten Interessenvertretung ist insofern, wenigstens in den Kreisen
des Großgrundbesitzes, nur gering, als die landwirtschaftlichen Zentralvereiue
bereits mit staatlichen Rechten und Pflichten ausgestattet siud. Gleichwohl wird
das so wichtige Besteuerungsrecht vielfach vermißt, und dies hat Veranlassung
gegeben, daß einzelne Landesteile den Antrag ans eine staatliche Organisation
gestellt haben. Da aber andrerseits die Zentralvereine ihr Bestehen nicht ge¬
fährdet zu sehn wünschen und dein Gedanken der Landwirtschaftskammern in
der großen Mehrheit widerstreben, so wird die Staatsregierung von der all¬
gemeinen Einführung staatlicher Vertretungen von selbst Abstand nehmen können
und nur dort, wo ein dringliches Interesse geltend gemacht wird, auch die
gesetzliche Möglichkeit schaffen, es zu befriedigen. Ungleich wichtiger als für
den Großgrundbesitz ist die Frage für den bäuerlichen Kleinbesitz. Diesem
endlich einmal die ihm so notwendige Vertretung seiner Interessen von Staats¬
wegen zu schaffen, halten wir unter allen Fragen der Interessenvertretung
unter den heutigen Zeitumständen für die staatswirtschaftlich dringendste und
wichtigste Aufgabe.

Daß natürlich mit der Reform der Interessenvertretung auf deu untern
Stufen allein noch nicht der volle Gewinn erzielt wird, daß vielmehr eine
Verbindung zwischen den einzelnen Interessenvertretungen einerseits und zwischen
diesen und der Reichs- und Landesverwaltung andrerseits geschaffen werden
muß, kann wohl kaum übersehen werden. Wir stimmen hierin den seit Jahren
auf diesem Gebiete rührigen Bestrebungen der Handelskammer in Osnabrück
vollständig bei, wenn wir uns auch im Gegensatz zu der von ihr vertretenen
Auffassung ein wirkliches Zusammenarbeiten der großen Erwerbsgruppen nur
denken können, wenn es sich auf die selbständige gewissenhafte Vorarbeit der
einzelnen Berufszweige stützt. Wir vermeide!? es hierbei absichtlich, uns auf
das Gebiet staatsrechtlicher und politischer Erörterungen zu begeben und
namentlich dem Schreckrufe zu begegnen, daß durch die planmäßige Förderung
und Stärkung der Interessenvertretungen und durch die gegenwärtig auffallend
gesteigerte Neigung zu Jnteressenverbindnngen die Vertretung der allgemeinen
Interessen in den Parlamenten eine Abschwächung erfahren müsse. Diese, wie
wir keineswegs verkennen, nach verschiednen Richtungen hin unser politisches
Leben berührende Frage erfordert eine tiefer gehende Beantwortung, als ihr
hier zu teil werden kann. Wir halten es, wie gesagt, nicht für gerecht¬
fertigt, dem Großgrundbesitz eine staatliche Organisation und damit öffent¬
liche Rechte zu gewähren, auf die er zur Zeit offenbar selbst nur geringen
Wert legt. Es wird sich hier nur um freiwillige Einrichtungen handeln
können. Dennoch haben wir die Landwirtschaftskammern in den nachstehenden


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[0065] Reformen auf dein Gebiete der Interessenvertretungen daß sie auf ein hervorragendes Interesse, aber auch auf eine gewissenhafte Kritik Anspruch zu machen berechtigt sind. 4. Landwirtschaftskammern. Das Interesse der Landwirtschaft an einer gesetzlich geordneten Interessenvertretung ist insofern, wenigstens in den Kreisen des Großgrundbesitzes, nur gering, als die landwirtschaftlichen Zentralvereiue bereits mit staatlichen Rechten und Pflichten ausgestattet siud. Gleichwohl wird das so wichtige Besteuerungsrecht vielfach vermißt, und dies hat Veranlassung gegeben, daß einzelne Landesteile den Antrag ans eine staatliche Organisation gestellt haben. Da aber andrerseits die Zentralvereine ihr Bestehen nicht ge¬ fährdet zu sehn wünschen und dein Gedanken der Landwirtschaftskammern in der großen Mehrheit widerstreben, so wird die Staatsregierung von der all¬ gemeinen Einführung staatlicher Vertretungen von selbst Abstand nehmen können und nur dort, wo ein dringliches Interesse geltend gemacht wird, auch die gesetzliche Möglichkeit schaffen, es zu befriedigen. Ungleich wichtiger als für den Großgrundbesitz ist die Frage für den bäuerlichen Kleinbesitz. Diesem endlich einmal die ihm so notwendige Vertretung seiner Interessen von Staats¬ wegen zu schaffen, halten wir unter allen Fragen der Interessenvertretung unter den heutigen Zeitumständen für die staatswirtschaftlich dringendste und wichtigste Aufgabe. Daß natürlich mit der Reform der Interessenvertretung auf deu untern Stufen allein noch nicht der volle Gewinn erzielt wird, daß vielmehr eine Verbindung zwischen den einzelnen Interessenvertretungen einerseits und zwischen diesen und der Reichs- und Landesverwaltung andrerseits geschaffen werden muß, kann wohl kaum übersehen werden. Wir stimmen hierin den seit Jahren auf diesem Gebiete rührigen Bestrebungen der Handelskammer in Osnabrück vollständig bei, wenn wir uns auch im Gegensatz zu der von ihr vertretenen Auffassung ein wirkliches Zusammenarbeiten der großen Erwerbsgruppen nur denken können, wenn es sich auf die selbständige gewissenhafte Vorarbeit der einzelnen Berufszweige stützt. Wir vermeide!? es hierbei absichtlich, uns auf das Gebiet staatsrechtlicher und politischer Erörterungen zu begeben und namentlich dem Schreckrufe zu begegnen, daß durch die planmäßige Förderung und Stärkung der Interessenvertretungen und durch die gegenwärtig auffallend gesteigerte Neigung zu Jnteressenverbindnngen die Vertretung der allgemeinen Interessen in den Parlamenten eine Abschwächung erfahren müsse. Diese, wie wir keineswegs verkennen, nach verschiednen Richtungen hin unser politisches Leben berührende Frage erfordert eine tiefer gehende Beantwortung, als ihr hier zu teil werden kann. Wir halten es, wie gesagt, nicht für gerecht¬ fertigt, dem Großgrundbesitz eine staatliche Organisation und damit öffent¬ liche Rechte zu gewähren, auf die er zur Zeit offenbar selbst nur geringen Wert legt. Es wird sich hier nur um freiwillige Einrichtungen handeln können. Dennoch haben wir die Landwirtschaftskammern in den nachstehenden Grenzboten IV 1892 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/65>, abgerufen am 27.04.2024.