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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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!ver das schönste Weihnachtsfest feierte

ist es schwer verständlich, daß ein Schriftsteller, der sich ein wenig im Leben
getummelt und die Augen offen gehalten hat, im Übermaß ästhetischer Bil¬
dung eine Krankheit unsrer Zeit erkennen will, die eher an ästhetischem Sinn
bittern Mangel leidet, und es ist sicher, daß die Grundanschauung, zu der sich
Pfarrer Krauß und sein Tochtermann Martin Gugelhopf bekennen: "Die
Schönheit ist nicht das höchste Ideal, sondern die Pflicht ist es oder vielmehr
ihre Selbstbefreiung in der werkthätigen Liebe. Das Gebot "Liebet eure
Brüder" ist herrlicher als alle Harmonien und größer als alle Dichterwerke
der Welt" eine andre Bethätigung fordert, als diese beiden Trefflicher im
Verlauf der Erzählung erweisen. Doch das sind alles Bemerkungen, die nicht
schwer ins Gewicht fallen, sobald wir es in "Glück und Glas" mit dem un¬
fertigen aber talentvollen Werke eines Werdenden lind Aufstrebenden zu thun
haben. An sich ist es eine gute Grundlage poetischer Anschauung, wenn Bertz
der Kraft des einfach Tüchtigen vertraut, auf "den "gestählten" Charakter, der
sich gegen die Welt festigt," vertraut. Zur rechten Zeit wird ihn das Leben
lehren, daß wir in eine Welt und Zeit geworfen sind, in der nicht bloß
"Glas," souderu im schlimmern Fall mich der festeste Stahl zerbricht, und diese
Erkenntnis wird seiner poetischen Darstellung die Züge verleihen, die ihr zur
Stunde noch fehlen.




Wer das schönste Weihnachtsfest feierte
von Butte*) Line weihnachtsgcschichte
1. Wie Jakob Nero fand

a waren zweie, die in demselben Dorfe wohnten und täglich
Gelegenheit hatten, einander zu sehn. Der eine benutzte diese
Gelegenheit, der andre nicht, denn sie gehörten nicht demselben
Stand und Rang an. Der eine guckte dem andern sehnsuchts¬
voll nach, und der andre blickte vornehm an dem einen vorbei.
Das kann zweien in großen wie in kleinen Städten begegnen;
diesen beiden begegnete es in einem kleinen Dorfe.

Der andre, um mit dem Vornehmern den Anfang zu machen, war der



Übersetzt von Mathilde Manu. -- Es ist eine Kindergeschichte, aber warum sollen
wir zum Weihnnchtsfeste nicht einmal Kinder sein? Wir bitten übrigens den dänischen nicht
mit dem im letzten Hefte besprochnen deutschen Butte zu verwechseln. Treffliche Erzähler
sind sie beide.
!ver das schönste Weihnachtsfest feierte

ist es schwer verständlich, daß ein Schriftsteller, der sich ein wenig im Leben
getummelt und die Augen offen gehalten hat, im Übermaß ästhetischer Bil¬
dung eine Krankheit unsrer Zeit erkennen will, die eher an ästhetischem Sinn
bittern Mangel leidet, und es ist sicher, daß die Grundanschauung, zu der sich
Pfarrer Krauß und sein Tochtermann Martin Gugelhopf bekennen: „Die
Schönheit ist nicht das höchste Ideal, sondern die Pflicht ist es oder vielmehr
ihre Selbstbefreiung in der werkthätigen Liebe. Das Gebot »Liebet eure
Brüder« ist herrlicher als alle Harmonien und größer als alle Dichterwerke
der Welt" eine andre Bethätigung fordert, als diese beiden Trefflicher im
Verlauf der Erzählung erweisen. Doch das sind alles Bemerkungen, die nicht
schwer ins Gewicht fallen, sobald wir es in „Glück und Glas" mit dem un¬
fertigen aber talentvollen Werke eines Werdenden lind Aufstrebenden zu thun
haben. An sich ist es eine gute Grundlage poetischer Anschauung, wenn Bertz
der Kraft des einfach Tüchtigen vertraut, auf „den »gestählten« Charakter, der
sich gegen die Welt festigt," vertraut. Zur rechten Zeit wird ihn das Leben
lehren, daß wir in eine Welt und Zeit geworfen sind, in der nicht bloß
„Glas," souderu im schlimmern Fall mich der festeste Stahl zerbricht, und diese
Erkenntnis wird seiner poetischen Darstellung die Züge verleihen, die ihr zur
Stunde noch fehlen.




Wer das schönste Weihnachtsfest feierte
von Butte*) Line weihnachtsgcschichte
1. Wie Jakob Nero fand

a waren zweie, die in demselben Dorfe wohnten und täglich
Gelegenheit hatten, einander zu sehn. Der eine benutzte diese
Gelegenheit, der andre nicht, denn sie gehörten nicht demselben
Stand und Rang an. Der eine guckte dem andern sehnsuchts¬
voll nach, und der andre blickte vornehm an dem einen vorbei.
Das kann zweien in großen wie in kleinen Städten begegnen;
diesen beiden begegnete es in einem kleinen Dorfe.

Der andre, um mit dem Vornehmern den Anfang zu machen, war der



Übersetzt von Mathilde Manu. — Es ist eine Kindergeschichte, aber warum sollen
wir zum Weihnnchtsfeste nicht einmal Kinder sein? Wir bitten übrigens den dänischen nicht
mit dem im letzten Hefte besprochnen deutschen Butte zu verwechseln. Treffliche Erzähler
sind sie beide.
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[0652] !ver das schönste Weihnachtsfest feierte ist es schwer verständlich, daß ein Schriftsteller, der sich ein wenig im Leben getummelt und die Augen offen gehalten hat, im Übermaß ästhetischer Bil¬ dung eine Krankheit unsrer Zeit erkennen will, die eher an ästhetischem Sinn bittern Mangel leidet, und es ist sicher, daß die Grundanschauung, zu der sich Pfarrer Krauß und sein Tochtermann Martin Gugelhopf bekennen: „Die Schönheit ist nicht das höchste Ideal, sondern die Pflicht ist es oder vielmehr ihre Selbstbefreiung in der werkthätigen Liebe. Das Gebot »Liebet eure Brüder« ist herrlicher als alle Harmonien und größer als alle Dichterwerke der Welt" eine andre Bethätigung fordert, als diese beiden Trefflicher im Verlauf der Erzählung erweisen. Doch das sind alles Bemerkungen, die nicht schwer ins Gewicht fallen, sobald wir es in „Glück und Glas" mit dem un¬ fertigen aber talentvollen Werke eines Werdenden lind Aufstrebenden zu thun haben. An sich ist es eine gute Grundlage poetischer Anschauung, wenn Bertz der Kraft des einfach Tüchtigen vertraut, auf „den »gestählten« Charakter, der sich gegen die Welt festigt," vertraut. Zur rechten Zeit wird ihn das Leben lehren, daß wir in eine Welt und Zeit geworfen sind, in der nicht bloß „Glas," souderu im schlimmern Fall mich der festeste Stahl zerbricht, und diese Erkenntnis wird seiner poetischen Darstellung die Züge verleihen, die ihr zur Stunde noch fehlen. Wer das schönste Weihnachtsfest feierte von Butte*) Line weihnachtsgcschichte 1. Wie Jakob Nero fand a waren zweie, die in demselben Dorfe wohnten und täglich Gelegenheit hatten, einander zu sehn. Der eine benutzte diese Gelegenheit, der andre nicht, denn sie gehörten nicht demselben Stand und Rang an. Der eine guckte dem andern sehnsuchts¬ voll nach, und der andre blickte vornehm an dem einen vorbei. Das kann zweien in großen wie in kleinen Städten begegnen; diesen beiden begegnete es in einem kleinen Dorfe. Der andre, um mit dem Vornehmern den Anfang zu machen, war der Übersetzt von Mathilde Manu. — Es ist eine Kindergeschichte, aber warum sollen wir zum Weihnnchtsfeste nicht einmal Kinder sein? Wir bitten übrigens den dänischen nicht mit dem im letzten Hefte besprochnen deutschen Butte zu verwechseln. Treffliche Erzähler sind sie beide.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/652>, abgerufen am 27.04.2024.