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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Zeitungen aber lassen sich nicht lange bitten, sie sind ja gern bereit, ihren Lesern
das Neueste mitzuteilen. Es genügt, an einige der bedeutendsten Blätter fleißig
Postkarten zu schreiben und zuweilen Depeschen zu richten, die übrigen Zeitungen
drucken die Neuigkeit schon von selber nach. Übrigens ist es dabei von großem
Wert, einen wohlklingenden Vor- und Familiennamen zu haben, der sich dem Ge¬
dächtnis der Mitwelt leicht einprägt. Wenn man also zum Exempel ein Nordpvl-
sucher oder Weltrciseuder oder Afrikaforscher ist, so ist es völlig ausreichend, ein¬
mal vergeblich den Pol gesucht zu haben oder fast um die Welt gereist zu sein
oder eine Spritztonr in Afrika zur rechten Zeit beendigt zu haben, um zeitlebens
eilt berühmter Mann zu sein. Man muß allerdings hinterher die Zeitungen von
seiner werten Person "auf dem Laufenden erhalten," sodaß sie bald ein Privat¬
telegramm, ein wirkliches Telegramm, bringen können, etwa des Inhalts: "Leopold
N. ist in Berlin oder Wien eingetroffen," bald ans der ersten Seite von einer
Audienz (man verschweigt natürlich, daß und wie man sie sich .erbeten hat) zu
berichten wissen (dergleichen ist immer interessant), bald unter dem "Vermischten"
von irgend einem kleinen spaßigen Vorfall erzählen können. Wenn man krank ist,
läßt man sich von einem allbekannten Arzt, Professor soundso, vielleicht einem
,,Leibarzt," behandeln, oder mau "konsultirt" ihn wenigstens, mau kommt in einem
Coups erster Klasse mit dem größten Mangel an Inkognito in Bädern ersten
Ranges an und steigt, wenn auch nur vorübergehend, in Wohnungen ersten Ranges
ab, u. s. f. Der Name macht ans diese Weise in gewissen Zwischenräumen die
Runde durch das ganze Reich, und die Erinnerung um den berühmten Träger
wird immer wieder aufgefrischt. Schließlich sagts schon ein Reisender unterwegs
dein, andern, oder es sagts ihnen der Zugführer: "Kennen Sie den nicht? Das
ist ja der bekannte, berühmte N.!" Ja, mau muß nur unsre Zeit der Reklame
versteh" und an ihrer schwachen Seite zu nehmen wissen, dann ist es gar nicht
so schwer, berühmt zu werden und berühmt zu bleiben.




Litteratur

Alis und über England von Karl Hillebrand. Zweite, verbesserte und vermehrte
Auflage. Straszburg, Karl I. Trübner, 1892

Die siedelt Bände seiner Aufsätze, die Karl Hillebrand unter dem Titel "Zeiten,
Volker und Menschen" gesammelt hat, bilden ein interessantes und wertvolles Ver¬
mächtnis eines außerordentlich belesenen und weltknndigen, dabei geistvollen und
selbständig urteilenden Schriftstellers, deu ein wunderliches Lebensgeschick in Frank¬
reich, England und Italien beinahe ebenso heimisch gemacht hatte wie in Deutsch¬
land. Aus der Fülle seiner lebendigen Anschauung wie seiner Litteraturkenntnis
heraus hat der verstorbne Historiker zahlreiche Abhandlungen und Kritiken geschrieben,
die in der That wert siud, auch nach Jahren noch gelesen zu werden. Das Er¬
scheinen stark vermehrter zweiter und dritter Auflagen, wenigstens der ersten Bände
dieses Sammelwerks, ist denn mich ein gutes Zeichen, daß sie über den allzu


Litteratur

Zeitungen aber lassen sich nicht lange bitten, sie sind ja gern bereit, ihren Lesern
das Neueste mitzuteilen. Es genügt, an einige der bedeutendsten Blätter fleißig
Postkarten zu schreiben und zuweilen Depeschen zu richten, die übrigen Zeitungen
drucken die Neuigkeit schon von selber nach. Übrigens ist es dabei von großem
Wert, einen wohlklingenden Vor- und Familiennamen zu haben, der sich dem Ge¬
dächtnis der Mitwelt leicht einprägt. Wenn man also zum Exempel ein Nordpvl-
sucher oder Weltrciseuder oder Afrikaforscher ist, so ist es völlig ausreichend, ein¬
mal vergeblich den Pol gesucht zu haben oder fast um die Welt gereist zu sein
oder eine Spritztonr in Afrika zur rechten Zeit beendigt zu haben, um zeitlebens
eilt berühmter Mann zu sein. Man muß allerdings hinterher die Zeitungen von
seiner werten Person „auf dem Laufenden erhalten," sodaß sie bald ein Privat¬
telegramm, ein wirkliches Telegramm, bringen können, etwa des Inhalts: „Leopold
N. ist in Berlin oder Wien eingetroffen," bald ans der ersten Seite von einer
Audienz (man verschweigt natürlich, daß und wie man sie sich .erbeten hat) zu
berichten wissen (dergleichen ist immer interessant), bald unter dem „Vermischten"
von irgend einem kleinen spaßigen Vorfall erzählen können. Wenn man krank ist,
läßt man sich von einem allbekannten Arzt, Professor soundso, vielleicht einem
,,Leibarzt," behandeln, oder mau „konsultirt" ihn wenigstens, mau kommt in einem
Coups erster Klasse mit dem größten Mangel an Inkognito in Bädern ersten
Ranges an und steigt, wenn auch nur vorübergehend, in Wohnungen ersten Ranges
ab, u. s. f. Der Name macht ans diese Weise in gewissen Zwischenräumen die
Runde durch das ganze Reich, und die Erinnerung um den berühmten Träger
wird immer wieder aufgefrischt. Schließlich sagts schon ein Reisender unterwegs
dein, andern, oder es sagts ihnen der Zugführer: „Kennen Sie den nicht? Das
ist ja der bekannte, berühmte N.!" Ja, mau muß nur unsre Zeit der Reklame
versteh» und an ihrer schwachen Seite zu nehmen wissen, dann ist es gar nicht
so schwer, berühmt zu werden und berühmt zu bleiben.




Litteratur

Alis und über England von Karl Hillebrand. Zweite, verbesserte und vermehrte
Auflage. Straszburg, Karl I. Trübner, 1892

Die siedelt Bände seiner Aufsätze, die Karl Hillebrand unter dem Titel „Zeiten,
Volker und Menschen" gesammelt hat, bilden ein interessantes und wertvolles Ver¬
mächtnis eines außerordentlich belesenen und weltknndigen, dabei geistvollen und
selbständig urteilenden Schriftstellers, deu ein wunderliches Lebensgeschick in Frank¬
reich, England und Italien beinahe ebenso heimisch gemacht hatte wie in Deutsch¬
land. Aus der Fülle seiner lebendigen Anschauung wie seiner Litteraturkenntnis
heraus hat der verstorbne Historiker zahlreiche Abhandlungen und Kritiken geschrieben,
die in der That wert siud, auch nach Jahren noch gelesen zu werden. Das Er¬
scheinen stark vermehrter zweiter und dritter Auflagen, wenigstens der ersten Bände
dieses Sammelwerks, ist denn mich ein gutes Zeichen, daß sie über den allzu


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[0161] Litteratur Zeitungen aber lassen sich nicht lange bitten, sie sind ja gern bereit, ihren Lesern das Neueste mitzuteilen. Es genügt, an einige der bedeutendsten Blätter fleißig Postkarten zu schreiben und zuweilen Depeschen zu richten, die übrigen Zeitungen drucken die Neuigkeit schon von selber nach. Übrigens ist es dabei von großem Wert, einen wohlklingenden Vor- und Familiennamen zu haben, der sich dem Ge¬ dächtnis der Mitwelt leicht einprägt. Wenn man also zum Exempel ein Nordpvl- sucher oder Weltrciseuder oder Afrikaforscher ist, so ist es völlig ausreichend, ein¬ mal vergeblich den Pol gesucht zu haben oder fast um die Welt gereist zu sein oder eine Spritztonr in Afrika zur rechten Zeit beendigt zu haben, um zeitlebens eilt berühmter Mann zu sein. Man muß allerdings hinterher die Zeitungen von seiner werten Person „auf dem Laufenden erhalten," sodaß sie bald ein Privat¬ telegramm, ein wirkliches Telegramm, bringen können, etwa des Inhalts: „Leopold N. ist in Berlin oder Wien eingetroffen," bald ans der ersten Seite von einer Audienz (man verschweigt natürlich, daß und wie man sie sich .erbeten hat) zu berichten wissen (dergleichen ist immer interessant), bald unter dem „Vermischten" von irgend einem kleinen spaßigen Vorfall erzählen können. Wenn man krank ist, läßt man sich von einem allbekannten Arzt, Professor soundso, vielleicht einem ,,Leibarzt," behandeln, oder mau „konsultirt" ihn wenigstens, mau kommt in einem Coups erster Klasse mit dem größten Mangel an Inkognito in Bädern ersten Ranges an und steigt, wenn auch nur vorübergehend, in Wohnungen ersten Ranges ab, u. s. f. Der Name macht ans diese Weise in gewissen Zwischenräumen die Runde durch das ganze Reich, und die Erinnerung um den berühmten Träger wird immer wieder aufgefrischt. Schließlich sagts schon ein Reisender unterwegs dein, andern, oder es sagts ihnen der Zugführer: „Kennen Sie den nicht? Das ist ja der bekannte, berühmte N.!" Ja, mau muß nur unsre Zeit der Reklame versteh» und an ihrer schwachen Seite zu nehmen wissen, dann ist es gar nicht so schwer, berühmt zu werden und berühmt zu bleiben. Litteratur Alis und über England von Karl Hillebrand. Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage. Straszburg, Karl I. Trübner, 1892 Die siedelt Bände seiner Aufsätze, die Karl Hillebrand unter dem Titel „Zeiten, Volker und Menschen" gesammelt hat, bilden ein interessantes und wertvolles Ver¬ mächtnis eines außerordentlich belesenen und weltknndigen, dabei geistvollen und selbständig urteilenden Schriftstellers, deu ein wunderliches Lebensgeschick in Frank¬ reich, England und Italien beinahe ebenso heimisch gemacht hatte wie in Deutsch¬ land. Aus der Fülle seiner lebendigen Anschauung wie seiner Litteraturkenntnis heraus hat der verstorbne Historiker zahlreiche Abhandlungen und Kritiken geschrieben, die in der That wert siud, auch nach Jahren noch gelesen zu werden. Das Er¬ scheinen stark vermehrter zweiter und dritter Auflagen, wenigstens der ersten Bände dieses Sammelwerks, ist denn mich ein gutes Zeichen, daß sie über den allzu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/161>, abgerufen am 27.04.2024.