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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

und sehr ausgiebig beweisen, daß unsre wirtschaftliche Kraft durchaus hinreiche,
um das Zehn- und Zwanzigfache der jetzt geforderten Mehrbelastung zu tragen.
Aus dem verarmten und verkleinerten Preußen, einem Mittelstaate von kaum
fünf Millionen Einwohnern, hat Napoleon der Erste in den Jahren
1806 bis 1813 nachweislich über eine Milliarde Franks herausgepreßt. Für
das jetzige deutsche Reich würde das, bloß "ach der Einwohnerzahl, nicht
nach dem Wohlstande berechnet, etwa das Zehnfache, also mindestens zehn
Milliarden Franks, das Doppelte der französischen Kriegsentschädigung
von 1871, betragen, und die blutsaugerische moderne Börsenwirtschaft würde
in diesem Falle schon dafür zu sorgen wissen, uns planmüßig den letzten
Tropfen Lebenskraft auszupressen. Von den Abgeordneten aller Parteien aber
hat das Volk zu fordern, daß sie sich weder durch alte Lieblingswünsche
noch durch Winke von oben bestimmen lassen, anders zu entscheiden als rein
sachlich und mit dein vollen Bewußtsein der schwersten Verantwortung nach
beiden Seiten hin. LlM" rsipublivak 8upr<zum Isx vsto!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Gründerzeit.
"

Während in der wirtschaftlichen Welt die Klagen über die
chronische "Krisis oder "Depression," über den schlechten Geschäftsgang und über
das Elend der Arbeitslosigkeit kein Ende nehmen, ist in der geistigen Welt nichts
von einem Niedergange und von einem Mangel an Unternehmungslust zu spüren.
Im Gegenteil, wenn man sich auf gewisse äußere Anzeichen verlassen kann, sind
wir in eine Blüteperiode des "Geistes" eingetreten, wie sie seit der Begründung
des neuen Reichs noch nicht dagewesen ist. Welches werden die Früchte sein,
wenn die Zeit der Reife und der Ernte gekommen ist? Hoffentlich wird nicht vor
der Ernte ein unvorhergesehues Wetter niedergehn und alles niederreißen oder weg¬
schwemmen, wils nicht sicher verwahrt und nicht recht widerstandsfähig gemacht
worden ist.

Als den Anfangspunkt dieser Blüteperiode muß man wohl die Entlassung des
Fürsten Bismarck und die Aufhebung des Sozialistengesetzes oder auch das "welt¬
geschichtliche" Datum der letzten Reichstagswahl, den 20. Februar 1390. betrachten.
Wer kann alle die Neugrüuonngen und alle die Namen nennen, die seitdem aus
dem Dunkel des Nichts empvrgetcmcht sind und entweder nichts geblieben oder
etwas oder viel geworden sind!

Nach verschiednen Richtungen lassen sich die Anzeichen der Gründerzeit auf
geistigem Gebiete verfolgen. Da sind zunächst die "Gesellschaften," um nicht zu
sagen die Aktiengesellschaften. Sie Pflegen besonders zweierlei "Spezialitäten,"
mit denen sich gut Reklame machen läßt, sie widmen sich der Erfindung oder Ver-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

und sehr ausgiebig beweisen, daß unsre wirtschaftliche Kraft durchaus hinreiche,
um das Zehn- und Zwanzigfache der jetzt geforderten Mehrbelastung zu tragen.
Aus dem verarmten und verkleinerten Preußen, einem Mittelstaate von kaum
fünf Millionen Einwohnern, hat Napoleon der Erste in den Jahren
1806 bis 1813 nachweislich über eine Milliarde Franks herausgepreßt. Für
das jetzige deutsche Reich würde das, bloß »ach der Einwohnerzahl, nicht
nach dem Wohlstande berechnet, etwa das Zehnfache, also mindestens zehn
Milliarden Franks, das Doppelte der französischen Kriegsentschädigung
von 1871, betragen, und die blutsaugerische moderne Börsenwirtschaft würde
in diesem Falle schon dafür zu sorgen wissen, uns planmüßig den letzten
Tropfen Lebenskraft auszupressen. Von den Abgeordneten aller Parteien aber
hat das Volk zu fordern, daß sie sich weder durch alte Lieblingswünsche
noch durch Winke von oben bestimmen lassen, anders zu entscheiden als rein
sachlich und mit dein vollen Bewußtsein der schwersten Verantwortung nach
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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Gründerzeit.
"

Während in der wirtschaftlichen Welt die Klagen über die
chronische „Krisis oder „Depression," über den schlechten Geschäftsgang und über
das Elend der Arbeitslosigkeit kein Ende nehmen, ist in der geistigen Welt nichts
von einem Niedergange und von einem Mangel an Unternehmungslust zu spüren.
Im Gegenteil, wenn man sich auf gewisse äußere Anzeichen verlassen kann, sind
wir in eine Blüteperiode des „Geistes" eingetreten, wie sie seit der Begründung
des neuen Reichs noch nicht dagewesen ist. Welches werden die Früchte sein,
wenn die Zeit der Reife und der Ernte gekommen ist? Hoffentlich wird nicht vor
der Ernte ein unvorhergesehues Wetter niedergehn und alles niederreißen oder weg¬
schwemmen, wils nicht sicher verwahrt und nicht recht widerstandsfähig gemacht
worden ist.

Als den Anfangspunkt dieser Blüteperiode muß man wohl die Entlassung des
Fürsten Bismarck und die Aufhebung des Sozialistengesetzes oder auch das „welt¬
geschichtliche" Datum der letzten Reichstagswahl, den 20. Februar 1390. betrachten.
Wer kann alle die Neugrüuonngen und alle die Namen nennen, die seitdem aus
dem Dunkel des Nichts empvrgetcmcht sind und entweder nichts geblieben oder
etwas oder viel geworden sind!

Nach verschiednen Richtungen lassen sich die Anzeichen der Gründerzeit auf
geistigem Gebiete verfolgen. Da sind zunächst die „Gesellschaften," um nicht zu
sagen die Aktiengesellschaften. Sie Pflegen besonders zweierlei „Spezialitäten,"
mit denen sich gut Reklame machen läßt, sie widmen sich der Erfindung oder Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/202>, abgerufen am 28.04.2024.