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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat, ist beendet. Den Angeklagten hat seine Strafe
ereilt. Wenn (!) es nicht Aufgabe eines Politischen Blattes, Wie das unsre ist, (!),
die Prozedur selbst und alle jene eigenartigen Stimmnugsmomente (!) zu beleuchten,
welche in bunter Effektfülle (!) im Monbiter Gerichtssaale aufblitzten, so heben
sich (!) doch eiuzelue Erscheinungen so charakteristisch heraus, daß sie nicht unbe¬
merkt und ohne Beachtung Passiren (!) können." Kurz darauf wird die "Sucht, zu
kritteln und zu mangeln (!), wie (I) sie der sogenannten freien Richtung unsrer
Tage eigen ist," eine "Vorfrucht Ahlwardts" genannt, und das Vorgehen des An¬
geklagten selbst ein "perfide inszeuirter Schmähskaudnl" (!).

Das kann doch unmöglich ein Deutscher geschrieben haben! Es ist ja gar
kein Deutsch mehr! Und solches Zeug schlingen nun unsre gewohnheitsmäßigen
Zeitungsleser Tag für Tag kübelweise hinunter, ohne eine Miene zu verziehen!


Neujahrskarten.

Neujahrskarten gehen jährlich zu vielen tnnsenden in die
Welt, um Freunden und Bekannten einen Gruß und Segenswunsch ins Haus zu
bringen. Von mancher Seite wird die Sitte bekämpft, weil sie als eine lästige
Pflicht, der der sittliche Wert fehle, empfunden wird. Man zahlt lieber eine
Summe an die Verwaltung der Armenkasse, statt noch dieser veralteten Form der
Höflichkeit zu genügen. Es mag das jeder halten, wie er will. Wir möchten
hier auf einen wirklichen Mißstand aufmerksam machen. Es werde" zu Neu¬
jahr nicht nur Karten mit einem einfachen Glückwunsch versandt, sondern auch
Karten mit einem neckenden Inhalt, oft sogar mit ganz gemeinen, verletzenden Bil¬
dern und Versen. Wenn anch solche Karten eigentlich nur von der niedrigen Ge¬
sinnung der Absender zeugen, so werden doch anch oft die Empfänger dnrch den
Inhalt solcher Karten beleidigt, ja in mancher Familie entsteht dadurch Un¬
einigkeit und Zwist. Außerdem aber sind solche Karten in hohem Grade geeignet,
das sittliche Gefühl abzustumpfen und vor allen Dingen zur Verrohung der Jugend
beizutragen. Wenn man kurz vor Neujahr die Läden besucht, wo tausende solcher
Karten mit witzigen oder gemeinem Inhalt ans großen Tafeln zur allgemeinen
Ansicht aufliegen, so kaun man die Wahrnehmung machen, daß die große Masse
der Käufer junge Leute, sogar Kinder sind. Entweder sollte es verboten werden,
daß derartige Karten, zumal solche, deren Äußeres harmlos ist, die aber, sobald
man sie öffnet, unanständige Bilder zeigen, hergestellt werden, oder sie sollten doch
wenigstens nicht zur allgemeinen Ansicht ausgelegt werden dürfen. Wir haben be¬
obachtet, daß dieses Unwesen von Jahr zu Jahr wächst.




Litteratur
Meyers Klassiker-Bibliothek (Verlag des Bibliographischen Instituts),

die durch ihre gute Auswahl und den verhältnismäßig billigen Preis Beifall und
Absatz gefunden hat, ist in der letzten Zeit durch eine Reihe neuer Ausgaben er¬
weitert worden. Bände von Hanfs, Eichendorff, Gellert und Bürger, die in


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öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat, ist beendet. Den Angeklagten hat seine Strafe
ereilt. Wenn (!) es nicht Aufgabe eines Politischen Blattes, Wie das unsre ist, (!),
die Prozedur selbst und alle jene eigenartigen Stimmnugsmomente (!) zu beleuchten,
welche in bunter Effektfülle (!) im Monbiter Gerichtssaale aufblitzten, so heben
sich (!) doch eiuzelue Erscheinungen so charakteristisch heraus, daß sie nicht unbe¬
merkt und ohne Beachtung Passiren (!) können." Kurz darauf wird die „Sucht, zu
kritteln und zu mangeln (!), wie (I) sie der sogenannten freien Richtung unsrer
Tage eigen ist," eine „Vorfrucht Ahlwardts" genannt, und das Vorgehen des An¬
geklagten selbst ein „perfide inszeuirter Schmähskaudnl" (!).

Das kann doch unmöglich ein Deutscher geschrieben haben! Es ist ja gar
kein Deutsch mehr! Und solches Zeug schlingen nun unsre gewohnheitsmäßigen
Zeitungsleser Tag für Tag kübelweise hinunter, ohne eine Miene zu verziehen!


Neujahrskarten.

Neujahrskarten gehen jährlich zu vielen tnnsenden in die
Welt, um Freunden und Bekannten einen Gruß und Segenswunsch ins Haus zu
bringen. Von mancher Seite wird die Sitte bekämpft, weil sie als eine lästige
Pflicht, der der sittliche Wert fehle, empfunden wird. Man zahlt lieber eine
Summe an die Verwaltung der Armenkasse, statt noch dieser veralteten Form der
Höflichkeit zu genügen. Es mag das jeder halten, wie er will. Wir möchten
hier auf einen wirklichen Mißstand aufmerksam machen. Es werde» zu Neu¬
jahr nicht nur Karten mit einem einfachen Glückwunsch versandt, sondern auch
Karten mit einem neckenden Inhalt, oft sogar mit ganz gemeinen, verletzenden Bil¬
dern und Versen. Wenn anch solche Karten eigentlich nur von der niedrigen Ge¬
sinnung der Absender zeugen, so werden doch anch oft die Empfänger dnrch den
Inhalt solcher Karten beleidigt, ja in mancher Familie entsteht dadurch Un¬
einigkeit und Zwist. Außerdem aber sind solche Karten in hohem Grade geeignet,
das sittliche Gefühl abzustumpfen und vor allen Dingen zur Verrohung der Jugend
beizutragen. Wenn man kurz vor Neujahr die Läden besucht, wo tausende solcher
Karten mit witzigen oder gemeinem Inhalt ans großen Tafeln zur allgemeinen
Ansicht aufliegen, so kaun man die Wahrnehmung machen, daß die große Masse
der Käufer junge Leute, sogar Kinder sind. Entweder sollte es verboten werden,
daß derartige Karten, zumal solche, deren Äußeres harmlos ist, die aber, sobald
man sie öffnet, unanständige Bilder zeigen, hergestellt werden, oder sie sollten doch
wenigstens nicht zur allgemeinen Ansicht ausgelegt werden dürfen. Wir haben be¬
obachtet, daß dieses Unwesen von Jahr zu Jahr wächst.




Litteratur
Meyers Klassiker-Bibliothek (Verlag des Bibliographischen Instituts),

die durch ihre gute Auswahl und den verhältnismäßig billigen Preis Beifall und
Absatz gefunden hat, ist in der letzten Zeit durch eine Reihe neuer Ausgaben er¬
weitert worden. Bände von Hanfs, Eichendorff, Gellert und Bürger, die in


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[0207] Litteratur öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat, ist beendet. Den Angeklagten hat seine Strafe ereilt. Wenn (!) es nicht Aufgabe eines Politischen Blattes, Wie das unsre ist, (!), die Prozedur selbst und alle jene eigenartigen Stimmnugsmomente (!) zu beleuchten, welche in bunter Effektfülle (!) im Monbiter Gerichtssaale aufblitzten, so heben sich (!) doch eiuzelue Erscheinungen so charakteristisch heraus, daß sie nicht unbe¬ merkt und ohne Beachtung Passiren (!) können." Kurz darauf wird die „Sucht, zu kritteln und zu mangeln (!), wie (I) sie der sogenannten freien Richtung unsrer Tage eigen ist," eine „Vorfrucht Ahlwardts" genannt, und das Vorgehen des An¬ geklagten selbst ein „perfide inszeuirter Schmähskaudnl" (!). Das kann doch unmöglich ein Deutscher geschrieben haben! Es ist ja gar kein Deutsch mehr! Und solches Zeug schlingen nun unsre gewohnheitsmäßigen Zeitungsleser Tag für Tag kübelweise hinunter, ohne eine Miene zu verziehen! Neujahrskarten. Neujahrskarten gehen jährlich zu vielen tnnsenden in die Welt, um Freunden und Bekannten einen Gruß und Segenswunsch ins Haus zu bringen. Von mancher Seite wird die Sitte bekämpft, weil sie als eine lästige Pflicht, der der sittliche Wert fehle, empfunden wird. Man zahlt lieber eine Summe an die Verwaltung der Armenkasse, statt noch dieser veralteten Form der Höflichkeit zu genügen. Es mag das jeder halten, wie er will. Wir möchten hier auf einen wirklichen Mißstand aufmerksam machen. Es werde» zu Neu¬ jahr nicht nur Karten mit einem einfachen Glückwunsch versandt, sondern auch Karten mit einem neckenden Inhalt, oft sogar mit ganz gemeinen, verletzenden Bil¬ dern und Versen. Wenn anch solche Karten eigentlich nur von der niedrigen Ge¬ sinnung der Absender zeugen, so werden doch anch oft die Empfänger dnrch den Inhalt solcher Karten beleidigt, ja in mancher Familie entsteht dadurch Un¬ einigkeit und Zwist. Außerdem aber sind solche Karten in hohem Grade geeignet, das sittliche Gefühl abzustumpfen und vor allen Dingen zur Verrohung der Jugend beizutragen. Wenn man kurz vor Neujahr die Läden besucht, wo tausende solcher Karten mit witzigen oder gemeinem Inhalt ans großen Tafeln zur allgemeinen Ansicht aufliegen, so kaun man die Wahrnehmung machen, daß die große Masse der Käufer junge Leute, sogar Kinder sind. Entweder sollte es verboten werden, daß derartige Karten, zumal solche, deren Äußeres harmlos ist, die aber, sobald man sie öffnet, unanständige Bilder zeigen, hergestellt werden, oder sie sollten doch wenigstens nicht zur allgemeinen Ansicht ausgelegt werden dürfen. Wir haben be¬ obachtet, daß dieses Unwesen von Jahr zu Jahr wächst. Litteratur Meyers Klassiker-Bibliothek (Verlag des Bibliographischen Instituts), die durch ihre gute Auswahl und den verhältnismäßig billigen Preis Beifall und Absatz gefunden hat, ist in der letzten Zeit durch eine Reihe neuer Ausgaben er¬ weitert worden. Bände von Hanfs, Eichendorff, Gellert und Bürger, die in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/207>, abgerufen am 28.04.2024.