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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Iveder Aominunismus noch Kapitalismus

erscheint das den Deutschösterreicheru mit Recht als halber Hochverrat. Wie
soll sich da das deutsche Reich um alle ihre Hunderttausende und Millionen
von Menschen deutscher Zunge kümmern, die auf dem ganzen Erdballe zer¬
streut leben, und zwar auch dann, wenn sie uicht Reichsaugehörige sind? Das
würde uus in zahllose Händel verwickeln und den Bedrohten wahrscheinlich
eher schaden als nützen. Wir können politisch nicht einmal für die bedrohten
Deutschen in Österreich etwas thun, was sollen wir sür die gewiß beklagens¬
werten baltischen Deutschen in Rußland thun? sollen wir Krieg für sie
führen und sie vom russischen Reiche lostrennen? Das erste würde uns un¬
versöhnlich mit Rußland verfeinden, das zweite würden die Ballen selbst nicht
wollen, weil sie sich wirtschaftlich niemals von ihrem russischen Hinterkante
trennen können; Neval ist jetzt sozusagen der Hafen von Moskau. Gewiß ist
für die wachsende Volkszahl im deutscheu Reiche der Boden zu enge, wir
brauchen eine Erweiterung nach irgend welcher Seite hiu, aber das muß doch
nicht uuter allen Umstünden durch Krieg geschehen. Die größten Eroberungen
im deutschen Mittelalter hat der Pflug gemacht, nicht das Schwert. Jeden¬
falls kann die deutsche Staatslenkung, die mit gegebnen Größen rechnet, ihre
Politik nicht ans einen Krieg zur Erweiterung unsers wirtschaftlichen Spiel¬
raumes zuschneiden. Das hieße der Vorsehung vorgreifen.




U)ever Kommunismus noch Kapitalismus")
6

le vorübergehende Besserung in der Lage der Arbeiter in der
ersten Hülste des vorigen Jahrhunderts war, wie schon bemerkt
wurde, zum Teil der Bereicherung des Landes durch überseeische
Schätze und dem Fortschritt der Industrie zu danken. Die In¬
dustrie steigerte die Nachfrage nach Arbeit und demnach wenig¬
stens anfänglich auch den Lohn. Bis heute noch sind die landwirtschaftlichen
^ohne in deu Jndustriegcgenden am höchsten. Unter den überseeischen Ge¬
schäften des sechzehnten, siebzehnten nud achtzehnten Jahrhunderts nnn darf
">an sich nicht etwa harmlose und ehrbare Kaufmannsgeschäfte vorstellen. Sie



Für unsre neuen Leser bemerken wir, daß dieser Aufsatz der sechste einer Reihe von
'lusjntzen ist, die sich - .zum Teil anknüpfend a" das Buch von I. Wolf: "System der
Sozialpolitik" und dieses Buch bekämpfend -- mit der sozialen Frage beschäftigen. Wir bitten
unsre neuen Leser dringend, diesen Aufsatz nicht zu überschlagen.
Iveder Aominunismus noch Kapitalismus

erscheint das den Deutschösterreicheru mit Recht als halber Hochverrat. Wie
soll sich da das deutsche Reich um alle ihre Hunderttausende und Millionen
von Menschen deutscher Zunge kümmern, die auf dem ganzen Erdballe zer¬
streut leben, und zwar auch dann, wenn sie uicht Reichsaugehörige sind? Das
würde uus in zahllose Händel verwickeln und den Bedrohten wahrscheinlich
eher schaden als nützen. Wir können politisch nicht einmal für die bedrohten
Deutschen in Österreich etwas thun, was sollen wir sür die gewiß beklagens¬
werten baltischen Deutschen in Rußland thun? sollen wir Krieg für sie
führen und sie vom russischen Reiche lostrennen? Das erste würde uns un¬
versöhnlich mit Rußland verfeinden, das zweite würden die Ballen selbst nicht
wollen, weil sie sich wirtschaftlich niemals von ihrem russischen Hinterkante
trennen können; Neval ist jetzt sozusagen der Hafen von Moskau. Gewiß ist
für die wachsende Volkszahl im deutscheu Reiche der Boden zu enge, wir
brauchen eine Erweiterung nach irgend welcher Seite hiu, aber das muß doch
nicht uuter allen Umstünden durch Krieg geschehen. Die größten Eroberungen
im deutschen Mittelalter hat der Pflug gemacht, nicht das Schwert. Jeden¬
falls kann die deutsche Staatslenkung, die mit gegebnen Größen rechnet, ihre
Politik nicht ans einen Krieg zur Erweiterung unsers wirtschaftlichen Spiel¬
raumes zuschneiden. Das hieße der Vorsehung vorgreifen.




U)ever Kommunismus noch Kapitalismus")
6

le vorübergehende Besserung in der Lage der Arbeiter in der
ersten Hülste des vorigen Jahrhunderts war, wie schon bemerkt
wurde, zum Teil der Bereicherung des Landes durch überseeische
Schätze und dem Fortschritt der Industrie zu danken. Die In¬
dustrie steigerte die Nachfrage nach Arbeit und demnach wenig¬
stens anfänglich auch den Lohn. Bis heute noch sind die landwirtschaftlichen
^ohne in deu Jndustriegcgenden am höchsten. Unter den überseeischen Ge¬
schäften des sechzehnten, siebzehnten nud achtzehnten Jahrhunderts nnn darf
">an sich nicht etwa harmlose und ehrbare Kaufmannsgeschäfte vorstellen. Sie



Für unsre neuen Leser bemerken wir, daß dieser Aufsatz der sechste einer Reihe von
'lusjntzen ist, die sich - .zum Teil anknüpfend a» das Buch von I. Wolf: „System der
Sozialpolitik" und dieses Buch bekämpfend — mit der sozialen Frage beschäftigen. Wir bitten
unsre neuen Leser dringend, diesen Aufsatz nicht zu überschlagen.
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[0021] Iveder Aominunismus noch Kapitalismus erscheint das den Deutschösterreicheru mit Recht als halber Hochverrat. Wie soll sich da das deutsche Reich um alle ihre Hunderttausende und Millionen von Menschen deutscher Zunge kümmern, die auf dem ganzen Erdballe zer¬ streut leben, und zwar auch dann, wenn sie uicht Reichsaugehörige sind? Das würde uus in zahllose Händel verwickeln und den Bedrohten wahrscheinlich eher schaden als nützen. Wir können politisch nicht einmal für die bedrohten Deutschen in Österreich etwas thun, was sollen wir sür die gewiß beklagens¬ werten baltischen Deutschen in Rußland thun? sollen wir Krieg für sie führen und sie vom russischen Reiche lostrennen? Das erste würde uns un¬ versöhnlich mit Rußland verfeinden, das zweite würden die Ballen selbst nicht wollen, weil sie sich wirtschaftlich niemals von ihrem russischen Hinterkante trennen können; Neval ist jetzt sozusagen der Hafen von Moskau. Gewiß ist für die wachsende Volkszahl im deutscheu Reiche der Boden zu enge, wir brauchen eine Erweiterung nach irgend welcher Seite hiu, aber das muß doch nicht uuter allen Umstünden durch Krieg geschehen. Die größten Eroberungen im deutschen Mittelalter hat der Pflug gemacht, nicht das Schwert. Jeden¬ falls kann die deutsche Staatslenkung, die mit gegebnen Größen rechnet, ihre Politik nicht ans einen Krieg zur Erweiterung unsers wirtschaftlichen Spiel¬ raumes zuschneiden. Das hieße der Vorsehung vorgreifen. U)ever Kommunismus noch Kapitalismus") 6 le vorübergehende Besserung in der Lage der Arbeiter in der ersten Hülste des vorigen Jahrhunderts war, wie schon bemerkt wurde, zum Teil der Bereicherung des Landes durch überseeische Schätze und dem Fortschritt der Industrie zu danken. Die In¬ dustrie steigerte die Nachfrage nach Arbeit und demnach wenig¬ stens anfänglich auch den Lohn. Bis heute noch sind die landwirtschaftlichen ^ohne in deu Jndustriegcgenden am höchsten. Unter den überseeischen Ge¬ schäften des sechzehnten, siebzehnten nud achtzehnten Jahrhunderts nnn darf ">an sich nicht etwa harmlose und ehrbare Kaufmannsgeschäfte vorstellen. Sie Für unsre neuen Leser bemerken wir, daß dieser Aufsatz der sechste einer Reihe von 'lusjntzen ist, die sich - .zum Teil anknüpfend a» das Buch von I. Wolf: „System der Sozialpolitik" und dieses Buch bekämpfend — mit der sozialen Frage beschäftigen. Wir bitten unsre neuen Leser dringend, diesen Aufsatz nicht zu überschlagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/21>, abgerufen am 28.04.2024.