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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

drei Richter für die endgiltige Entscheidung der Thatfrage nicht ausreichend
seien. Sowohl im Interesse des Richterstandes als anch im Interesse einer
guten Rechtspflege ist es dringend erforderlich, daß die jetzige Besetzung der
S L. A. trafkammern mit fünf Richtern baldigst beseitigt werde.




Vibelrevision und Bibelübersetzung

as große Werk der Vibelrevisivn, an dem so viele Gelehrte fast
dreißig Jahre lang gearbeitet haben, ist jetzt vollendet; der erste
Abdruck der "im Auftrage der deutschen evangelischen Kirchen¬
konferenz durchgesehenen Ausgabe" ist im vorigen Jahre im
Verlage der Cansteinschen Bibelanstalt in Halle a. S. erschienen.

Das Bedürfnis nach einer gründlichen Revision der Lutherbibel war schon
lange vorhanden. Luthers Bibelübersetzung ist ja über alles Lob erhaben.
Man kann es nicht genug bewundern, was Luther mit den unzureichenden
Mitteln seiner Zeit zustande gebracht hat, und es läßt sich nicht sagen, welcher
Segen von diesem Werke ausgegangen ist. Aber gerade weil uns unsre Luther¬
bibel so lieb und teuer geworden ist, müssen wir wünschen, daß sie uns als
das, was sie sein will und soll, erhalten bleibe, als eine deutsche Bibel, deren
Sprache unser Volk versteht, und auf deren Wort es sich verlassen kann. Beides
ist scholl längst nicht mehr so der Fall, wie es zu wünschen wäre.

Daß eine Übersetzung, die im sechzehnten Jahrhundert entstanden ist, jetzt
bedeutende Mängel hat, versteht sich von selbst. Von einer kritischen Behand¬
lung des überlieferten Grnndtextes hatte man damals noch leine Ahnung.
Der Übersetzung des Neuen Testaments legte Luther die zweite Ausgabe des
Erasmus vom Jahre 1519 zu Grnnde. Das war ein Unglück. Dieser Text
beruht auf Handschriften von sehr geringem Werte, wie sie der Zufall dem
Erasmus darbot. Den Text der Apokalypse z. V. entnahm er einer von
Reuchlin entlehnten Handschrift, die Vers für Vers den Kommentar des Andreas
dazu enthielt, sodaß bisweilen Grundtext und Auslegung verwechselt wurden.
Den Schluß der Apokalypse, der im Loäsx ^.vuvblini fehlte, hat Erasmus
aus der Vulgata ins Griechische zurückübersetzt! Es war, wie ein bedeutender
Kenner urteilt, "mehr ein Kaufmannsgeschäft, als ein wissenschaftliches Unter¬
nehmen." Ist beim Neuen Testament besonders der Maugel eines kritisch
untersuchte" Textes fühlbar, so beim Alten Testament der Mangel gründlicher


Bibelrevision und Bibelübersetzung

drei Richter für die endgiltige Entscheidung der Thatfrage nicht ausreichend
seien. Sowohl im Interesse des Richterstandes als anch im Interesse einer
guten Rechtspflege ist es dringend erforderlich, daß die jetzige Besetzung der
S L. A. trafkammern mit fünf Richtern baldigst beseitigt werde.




Vibelrevision und Bibelübersetzung

as große Werk der Vibelrevisivn, an dem so viele Gelehrte fast
dreißig Jahre lang gearbeitet haben, ist jetzt vollendet; der erste
Abdruck der „im Auftrage der deutschen evangelischen Kirchen¬
konferenz durchgesehenen Ausgabe" ist im vorigen Jahre im
Verlage der Cansteinschen Bibelanstalt in Halle a. S. erschienen.

Das Bedürfnis nach einer gründlichen Revision der Lutherbibel war schon
lange vorhanden. Luthers Bibelübersetzung ist ja über alles Lob erhaben.
Man kann es nicht genug bewundern, was Luther mit den unzureichenden
Mitteln seiner Zeit zustande gebracht hat, und es läßt sich nicht sagen, welcher
Segen von diesem Werke ausgegangen ist. Aber gerade weil uns unsre Luther¬
bibel so lieb und teuer geworden ist, müssen wir wünschen, daß sie uns als
das, was sie sein will und soll, erhalten bleibe, als eine deutsche Bibel, deren
Sprache unser Volk versteht, und auf deren Wort es sich verlassen kann. Beides
ist scholl längst nicht mehr so der Fall, wie es zu wünschen wäre.

Daß eine Übersetzung, die im sechzehnten Jahrhundert entstanden ist, jetzt
bedeutende Mängel hat, versteht sich von selbst. Von einer kritischen Behand¬
lung des überlieferten Grnndtextes hatte man damals noch leine Ahnung.
Der Übersetzung des Neuen Testaments legte Luther die zweite Ausgabe des
Erasmus vom Jahre 1519 zu Grnnde. Das war ein Unglück. Dieser Text
beruht auf Handschriften von sehr geringem Werte, wie sie der Zufall dem
Erasmus darbot. Den Text der Apokalypse z. V. entnahm er einer von
Reuchlin entlehnten Handschrift, die Vers für Vers den Kommentar des Andreas
dazu enthielt, sodaß bisweilen Grundtext und Auslegung verwechselt wurden.
Den Schluß der Apokalypse, der im Loäsx ^.vuvblini fehlte, hat Erasmus
aus der Vulgata ins Griechische zurückübersetzt! Es war, wie ein bedeutender
Kenner urteilt, „mehr ein Kaufmannsgeschäft, als ein wissenschaftliches Unter¬
nehmen." Ist beim Neuen Testament besonders der Maugel eines kritisch
untersuchte« Textes fühlbar, so beim Alten Testament der Mangel gründlicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/287>, abgerufen am 27.04.2024.