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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Mozarts Bild nach hundert Jahren
Arnold von Senfft von (Schluß)

er Leser wird es entschuldigen, dnß ich bei der Betrachtung der
einen unter Mozarts Opern, die ihn zuerst von alleu seinen
Vorgängern kenntlich scheidet, verhältnismäßig lange verweilt
habe. Er wird sich erinnern, daß wir darauf ausgegangen sind,
uns Mozarts Eigentümlichkeit zu vergegenwärtigen. Es ist klar,
daß sie sich an der Stelle, wo sich der Weg des Künstlers von den vor ihm be¬
tretenen Bahnen trennt, auf dem Hintergrunde, den die abgeschlossenen Werke
der Vorgänger bilden, besonders deutlich abhebt.

Wenn erst die Stufe der Meisterschaft erreicht ist, Pflegen sich die Früchte
des Schaffens rasch zu solgen. Selten aber findet sichs, daß sie trotzdem im
Vergleich mit einander noch eine eben so starke Weiterentwicklung erkennen
lassen wie die mehr oder weniger mühsamen Errungenschaften der Lehr- und
Wanderjahre. Über Mozart hat einer seiner Biographen die schöne Bemerkung
gemacht, man empfange von der Neifeperivde seines Schaffens den Eindruck,
als hätte der frühe Abschluß seines Lebens den sonst ans Jahrzehnte ver¬
teilten Inhalt einer Künstlerlaufbahn in wenige Jahre zusammengedrängt.
So entstand auch die Musik zum Don Juan ungefähr ein Jahr nach der
Komposition zu Figaros Hochzeit; und dennoch ist die Verschiedenheit beider
Werke, von denen jedes für sich seineu eignen, die einzelnen Stücke durch¬
dringenden und zusammenhaltenden Charakter trägt, ganz auffallend, ohne daß
übrigens dieser Verschiedenheit im Charakter der Musik ein gleicher Abstand
in ihrem Werte entspräche. Immerhin: wie der Gehalt der Handlung tiefer,
so ist auch der Wurf der musikalischen Erfindung im Don Juan großer als in
Figaros Hochzeit. Den Inhalt bildet, kurz gesagt, die menschliche Leidenschaft.
Die Kraft, mit der sie dargestellt wird, erreicht den höchsten Grad, der mit
dem obersten Gesetze der Kunst, dem Gesetze des Ebenmaßes, vereinbar ist.
Spätere haben sich über diese Grenze mit Bewußtsein hinweggesetzt und in
der Behandlung der Leidenschaft mit nichtmusikalischen Mitteln stärkere, wenn
auch ebenfalls nichtmusikalische Wirkungen hervorgebracht -- nicht zum Schaden




Mozarts Bild nach hundert Jahren
Arnold von Senfft von (Schluß)

er Leser wird es entschuldigen, dnß ich bei der Betrachtung der
einen unter Mozarts Opern, die ihn zuerst von alleu seinen
Vorgängern kenntlich scheidet, verhältnismäßig lange verweilt
habe. Er wird sich erinnern, daß wir darauf ausgegangen sind,
uns Mozarts Eigentümlichkeit zu vergegenwärtigen. Es ist klar,
daß sie sich an der Stelle, wo sich der Weg des Künstlers von den vor ihm be¬
tretenen Bahnen trennt, auf dem Hintergrunde, den die abgeschlossenen Werke
der Vorgänger bilden, besonders deutlich abhebt.

Wenn erst die Stufe der Meisterschaft erreicht ist, Pflegen sich die Früchte
des Schaffens rasch zu solgen. Selten aber findet sichs, daß sie trotzdem im
Vergleich mit einander noch eine eben so starke Weiterentwicklung erkennen
lassen wie die mehr oder weniger mühsamen Errungenschaften der Lehr- und
Wanderjahre. Über Mozart hat einer seiner Biographen die schöne Bemerkung
gemacht, man empfange von der Neifeperivde seines Schaffens den Eindruck,
als hätte der frühe Abschluß seines Lebens den sonst ans Jahrzehnte ver¬
teilten Inhalt einer Künstlerlaufbahn in wenige Jahre zusammengedrängt.
So entstand auch die Musik zum Don Juan ungefähr ein Jahr nach der
Komposition zu Figaros Hochzeit; und dennoch ist die Verschiedenheit beider
Werke, von denen jedes für sich seineu eignen, die einzelnen Stücke durch¬
dringenden und zusammenhaltenden Charakter trägt, ganz auffallend, ohne daß
übrigens dieser Verschiedenheit im Charakter der Musik ein gleicher Abstand
in ihrem Werte entspräche. Immerhin: wie der Gehalt der Handlung tiefer,
so ist auch der Wurf der musikalischen Erfindung im Don Juan großer als in
Figaros Hochzeit. Den Inhalt bildet, kurz gesagt, die menschliche Leidenschaft.
Die Kraft, mit der sie dargestellt wird, erreicht den höchsten Grad, der mit
dem obersten Gesetze der Kunst, dem Gesetze des Ebenmaßes, vereinbar ist.
Spätere haben sich über diese Grenze mit Bewußtsein hinweggesetzt und in
der Behandlung der Leidenschaft mit nichtmusikalischen Mitteln stärkere, wenn
auch ebenfalls nichtmusikalische Wirkungen hervorgebracht — nicht zum Schaden


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[0340] [Abbildung] Mozarts Bild nach hundert Jahren Arnold von Senfft von (Schluß) er Leser wird es entschuldigen, dnß ich bei der Betrachtung der einen unter Mozarts Opern, die ihn zuerst von alleu seinen Vorgängern kenntlich scheidet, verhältnismäßig lange verweilt habe. Er wird sich erinnern, daß wir darauf ausgegangen sind, uns Mozarts Eigentümlichkeit zu vergegenwärtigen. Es ist klar, daß sie sich an der Stelle, wo sich der Weg des Künstlers von den vor ihm be¬ tretenen Bahnen trennt, auf dem Hintergrunde, den die abgeschlossenen Werke der Vorgänger bilden, besonders deutlich abhebt. Wenn erst die Stufe der Meisterschaft erreicht ist, Pflegen sich die Früchte des Schaffens rasch zu solgen. Selten aber findet sichs, daß sie trotzdem im Vergleich mit einander noch eine eben so starke Weiterentwicklung erkennen lassen wie die mehr oder weniger mühsamen Errungenschaften der Lehr- und Wanderjahre. Über Mozart hat einer seiner Biographen die schöne Bemerkung gemacht, man empfange von der Neifeperivde seines Schaffens den Eindruck, als hätte der frühe Abschluß seines Lebens den sonst ans Jahrzehnte ver¬ teilten Inhalt einer Künstlerlaufbahn in wenige Jahre zusammengedrängt. So entstand auch die Musik zum Don Juan ungefähr ein Jahr nach der Komposition zu Figaros Hochzeit; und dennoch ist die Verschiedenheit beider Werke, von denen jedes für sich seineu eignen, die einzelnen Stücke durch¬ dringenden und zusammenhaltenden Charakter trägt, ganz auffallend, ohne daß übrigens dieser Verschiedenheit im Charakter der Musik ein gleicher Abstand in ihrem Werte entspräche. Immerhin: wie der Gehalt der Handlung tiefer, so ist auch der Wurf der musikalischen Erfindung im Don Juan großer als in Figaros Hochzeit. Den Inhalt bildet, kurz gesagt, die menschliche Leidenschaft. Die Kraft, mit der sie dargestellt wird, erreicht den höchsten Grad, der mit dem obersten Gesetze der Kunst, dem Gesetze des Ebenmaßes, vereinbar ist. Spätere haben sich über diese Grenze mit Bewußtsein hinweggesetzt und in der Behandlung der Leidenschaft mit nichtmusikalischen Mitteln stärkere, wenn auch ebenfalls nichtmusikalische Wirkungen hervorgebracht — nicht zum Schaden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/340>, abgerufen am 27.04.2024.