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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Kellers Nachlaßschriften

schwören, dessen Hauptsatz einer von ihnen ans seinem Blatte nochmals aus¬
drücklich betont:


,,Kiön n'o8t dö-ni ni>is ig VrA: 1s Vrai hört os^ iriw^dio. Knileuu."
Tdorild.

Upsala, 3. September 1787.

Schade nur, daß der Begriff der "Wahrheit" gewechselt hat, nachdem die
Maxime heute wieder zu ungeahnten Ehren und ausschließlicher Herrschaft
gekommen ist-

Wir mustern wohl ein andermal die bunte Reihe der schwedischen Freunde
Lindahls und die Erinnerungen, die sich daran knüpfen. Der vortreffliche Be¬
sitzer des Stammbuchs aber hat nach allen Zeugnissen dem Wahrspruch getreu
gelebt, den ihm unser Arndt als Gastgeschenk zurückließ, als er 1804 in Norr-
köpiug freundliche Aufnahme gefunden hatte:


Suche Wissenschaft, als wärest dn ewig hienieden, Zoroaster. Tugend, als hielte die Zeit dich schon am sträubenden Haar.

Nvrrroping, den 10. August 1604. Zum freundlichen Andenken geschrieben von


Ernst Moritz Nrndt.


Gottfried Kellers Nachlaßschriften

l
e große Gemeinde der Litteratnrsrcunde, die in Gottfried Keller
einen der echten Dichter ehrt, die, allen poesiefeindlichen Strö¬
mungen zum Trotz, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr¬
hunderts gereift sind, ist beim Ausgange des Jahres 1892 mit
einem stattlichen Bande: Nachgelassene Schriften und Dich¬
tungen von Gottfried Keller (Berlin, Wilhelm Hertz) erfreut wordeu.
Der Herausgeber, Jakob Bächtold in Zürich, hat Aufsätze und zwei Novellen,
die in Kellers gesammelten Schriften bis jetzt fehlten, vereinigt und hat ihnen
ein Trauerspielbruchstück "Therese" hinzugesellt, das aus Kellers Berliner
Tagen zwischen 1850 und 1855 stammt, in denen er ernstlich daran dachte,
sich der Reihe der großen deutschen Dramatiker anzuschließen. Das Bruchstück
bildet den zweiten und dritten Akt eines bürgerlichen Trauerspiels, das einen
starken, echt dramatischen Konflikt einschließt, wenn es auch in seinem noch
nicht überarbeiteten und daher nicht überall gleich gedrängten Dialog gewissen
Kritikern Anlaß geben wird, von dem "Vorwiegen des novellistischen Elements"
zu sprechen. Die wenigen poetischen Bestandteile des Bandes werden einer
künftigen zweiten Gesamtausgabe von Kellers Werken (wie lange es anch
immer dauern mag, bis eine solche nötig werden wird!) zur Zierde gereichen
und augenblicklich, ganz abgesehn von dem Trauerspielbrnchstttck, das wohl


Gottfried Kellers Nachlaßschriften

schwören, dessen Hauptsatz einer von ihnen ans seinem Blatte nochmals aus¬
drücklich betont:


,,Kiön n'o8t dö-ni ni>is ig VrA: 1s Vrai hört os^ iriw^dio. Knileuu."
Tdorild.

Upsala, 3. September 1787.

Schade nur, daß der Begriff der „Wahrheit" gewechselt hat, nachdem die
Maxime heute wieder zu ungeahnten Ehren und ausschließlicher Herrschaft
gekommen ist-

Wir mustern wohl ein andermal die bunte Reihe der schwedischen Freunde
Lindahls und die Erinnerungen, die sich daran knüpfen. Der vortreffliche Be¬
sitzer des Stammbuchs aber hat nach allen Zeugnissen dem Wahrspruch getreu
gelebt, den ihm unser Arndt als Gastgeschenk zurückließ, als er 1804 in Norr-
köpiug freundliche Aufnahme gefunden hatte:


Suche Wissenschaft, als wärest dn ewig hienieden, Zoroaster. Tugend, als hielte die Zeit dich schon am sträubenden Haar.

Nvrrroping, den 10. August 1604. Zum freundlichen Andenken geschrieben von


Ernst Moritz Nrndt.


Gottfried Kellers Nachlaßschriften

l
e große Gemeinde der Litteratnrsrcunde, die in Gottfried Keller
einen der echten Dichter ehrt, die, allen poesiefeindlichen Strö¬
mungen zum Trotz, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr¬
hunderts gereift sind, ist beim Ausgange des Jahres 1892 mit
einem stattlichen Bande: Nachgelassene Schriften und Dich¬
tungen von Gottfried Keller (Berlin, Wilhelm Hertz) erfreut wordeu.
Der Herausgeber, Jakob Bächtold in Zürich, hat Aufsätze und zwei Novellen,
die in Kellers gesammelten Schriften bis jetzt fehlten, vereinigt und hat ihnen
ein Trauerspielbruchstück „Therese" hinzugesellt, das aus Kellers Berliner
Tagen zwischen 1850 und 1855 stammt, in denen er ernstlich daran dachte,
sich der Reihe der großen deutschen Dramatiker anzuschließen. Das Bruchstück
bildet den zweiten und dritten Akt eines bürgerlichen Trauerspiels, das einen
starken, echt dramatischen Konflikt einschließt, wenn es auch in seinem noch
nicht überarbeiteten und daher nicht überall gleich gedrängten Dialog gewissen
Kritikern Anlaß geben wird, von dem „Vorwiegen des novellistischen Elements"
zu sprechen. Die wenigen poetischen Bestandteile des Bandes werden einer
künftigen zweiten Gesamtausgabe von Kellers Werken (wie lange es anch
immer dauern mag, bis eine solche nötig werden wird!) zur Zierde gereichen
und augenblicklich, ganz abgesehn von dem Trauerspielbrnchstttck, das wohl


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[0052] Gottfried Kellers Nachlaßschriften schwören, dessen Hauptsatz einer von ihnen ans seinem Blatte nochmals aus¬ drücklich betont: ,,Kiön n'o8t dö-ni ni>is ig VrA: 1s Vrai hört os^ iriw^dio. Knileuu." Tdorild. Upsala, 3. September 1787. Schade nur, daß der Begriff der „Wahrheit" gewechselt hat, nachdem die Maxime heute wieder zu ungeahnten Ehren und ausschließlicher Herrschaft gekommen ist- Wir mustern wohl ein andermal die bunte Reihe der schwedischen Freunde Lindahls und die Erinnerungen, die sich daran knüpfen. Der vortreffliche Be¬ sitzer des Stammbuchs aber hat nach allen Zeugnissen dem Wahrspruch getreu gelebt, den ihm unser Arndt als Gastgeschenk zurückließ, als er 1804 in Norr- köpiug freundliche Aufnahme gefunden hatte: Suche Wissenschaft, als wärest dn ewig hienieden, Zoroaster. Tugend, als hielte die Zeit dich schon am sträubenden Haar. Nvrrroping, den 10. August 1604. Zum freundlichen Andenken geschrieben von Ernst Moritz Nrndt. Gottfried Kellers Nachlaßschriften l e große Gemeinde der Litteratnrsrcunde, die in Gottfried Keller einen der echten Dichter ehrt, die, allen poesiefeindlichen Strö¬ mungen zum Trotz, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr¬ hunderts gereift sind, ist beim Ausgange des Jahres 1892 mit einem stattlichen Bande: Nachgelassene Schriften und Dich¬ tungen von Gottfried Keller (Berlin, Wilhelm Hertz) erfreut wordeu. Der Herausgeber, Jakob Bächtold in Zürich, hat Aufsätze und zwei Novellen, die in Kellers gesammelten Schriften bis jetzt fehlten, vereinigt und hat ihnen ein Trauerspielbruchstück „Therese" hinzugesellt, das aus Kellers Berliner Tagen zwischen 1850 und 1855 stammt, in denen er ernstlich daran dachte, sich der Reihe der großen deutschen Dramatiker anzuschließen. Das Bruchstück bildet den zweiten und dritten Akt eines bürgerlichen Trauerspiels, das einen starken, echt dramatischen Konflikt einschließt, wenn es auch in seinem noch nicht überarbeiteten und daher nicht überall gleich gedrängten Dialog gewissen Kritikern Anlaß geben wird, von dem „Vorwiegen des novellistischen Elements" zu sprechen. Die wenigen poetischen Bestandteile des Bandes werden einer künftigen zweiten Gesamtausgabe von Kellers Werken (wie lange es anch immer dauern mag, bis eine solche nötig werden wird!) zur Zierde gereichen und augenblicklich, ganz abgesehn von dem Trauerspielbrnchstttck, das wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/52>, abgerufen am 27.04.2024.