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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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für Hunderttausende nicht satt zu essen? Dank der Zwangsschulbildung kann
der Ärmste rechnen, und die Führer werden nicht versäumen, ihm nachrechnen
und nachdenken zu helfen.

Der neue Kurs giebt sich redliche Mühe, gegen die Steuerzahler gerecht
zu sein; nur böser Wille kann das leugnen. Der alte Kurs war vielleicht
ungerecht, aber geschickter. Fürst Bismcirck widersetzte sich der Deklaration:
sie mußte die ungeheuerliche Verschiebung des Güterbesitzes offenkundig machen.
Die Niesenzifferu müssen den Riesenappetit der besitzlosen Massen wecken. Mit
der Offenlegung tritt die Unhaltbarkeit der Verschiebung zu Tage; ihre Be¬
seitigung kann in einem Lande des allgemeinen Wahlrechts nicht wieder von
der Tagesordnung verschwinden.

Wird der monarchische Staat stark genug sein, den Ausgleich in fried¬
liche Bahnen zu leiten? Die Zeit wirds lehren.


2. Die Aufhebung der Nealsteuern

Der preußische Staat arbeitet mit Unterbilanz. Kein Wunder: der Ver¬
kehr stockt, die Eisenbahnen entwickeln sich ungünstig; Heer, Kirche, Schule,
Beamte sind ewig mehr fordernde Kostgänger. Da muß es hapern. Hätte
der Staat in so kritischer Zeit keine sicher eingehenden Nealsteuern, er müßte
sie erfinden. So könnte der Laie meinen. Der Finanzminister des neuen
Kurses denkt umgekehrt: es ist die beste Zeit, Staatseinkünfte zu verschenken.
Wirklich, eine erstaunliche Reform, die das Stnatsdefizit um hundert Millionen
erhöht! Der nachdenkliche Steuerzahler wird sich sagen: Herr Miquel ist ein
kluger Kopf; er schenkt nicht umsonst. Er fischt mit kleinen Fischen nach den
großen.

Die preußischen Gemeinden haben die Einkommensteuer zum Teil mit
unerträglichen Zuschlägen bepackt. Einzelne sind am Ende des Finanzalphabets.
Der Finanzminister will ihnen helfen und sich auch. Er sagt den Herren
vom Rate: Da habt ihr die Nealsteuern; aber mir laßt die Einkommensteuer!
Die dürft ihr nur mit geringen Zuschlägen belegen, und die Vermögenssteuer,
die ich außerdem haben muß, gar nicht.

Das ist der Kern! Herr Miquel will eine bewegliche Einkommen- und Ver¬
mögenssteuer. An diesen soll die Staatssteuerschraubc befestigt werden. Die
Vermögenssteuer ist für den Anfang so niedrig geplant, daß sie gut das
Dreifache bringen kann.

Der Plan ist geschickt. Nur werden die Realsteuerzahler -- einige ganz
große ausgenommen -- kaum eiuen Nutzen haben. Es kaun ihnen gleich-
giltig sein, ob Staat oder Gemeinde die Steuer einstreicht, wenn sie die Last
nicht los werden.

Bald werden wir also in Preußen den sonderbaren Zustand haben, daß
der Staat Millionen von Steuern -- Grund-, Gebäude- und Gew erbesteuer -


für Hunderttausende nicht satt zu essen? Dank der Zwangsschulbildung kann
der Ärmste rechnen, und die Führer werden nicht versäumen, ihm nachrechnen
und nachdenken zu helfen.

Der neue Kurs giebt sich redliche Mühe, gegen die Steuerzahler gerecht
zu sein; nur böser Wille kann das leugnen. Der alte Kurs war vielleicht
ungerecht, aber geschickter. Fürst Bismcirck widersetzte sich der Deklaration:
sie mußte die ungeheuerliche Verschiebung des Güterbesitzes offenkundig machen.
Die Niesenzifferu müssen den Riesenappetit der besitzlosen Massen wecken. Mit
der Offenlegung tritt die Unhaltbarkeit der Verschiebung zu Tage; ihre Be¬
seitigung kann in einem Lande des allgemeinen Wahlrechts nicht wieder von
der Tagesordnung verschwinden.

Wird der monarchische Staat stark genug sein, den Ausgleich in fried¬
liche Bahnen zu leiten? Die Zeit wirds lehren.


2. Die Aufhebung der Nealsteuern

Der preußische Staat arbeitet mit Unterbilanz. Kein Wunder: der Ver¬
kehr stockt, die Eisenbahnen entwickeln sich ungünstig; Heer, Kirche, Schule,
Beamte sind ewig mehr fordernde Kostgänger. Da muß es hapern. Hätte
der Staat in so kritischer Zeit keine sicher eingehenden Nealsteuern, er müßte
sie erfinden. So könnte der Laie meinen. Der Finanzminister des neuen
Kurses denkt umgekehrt: es ist die beste Zeit, Staatseinkünfte zu verschenken.
Wirklich, eine erstaunliche Reform, die das Stnatsdefizit um hundert Millionen
erhöht! Der nachdenkliche Steuerzahler wird sich sagen: Herr Miquel ist ein
kluger Kopf; er schenkt nicht umsonst. Er fischt mit kleinen Fischen nach den
großen.

Die preußischen Gemeinden haben die Einkommensteuer zum Teil mit
unerträglichen Zuschlägen bepackt. Einzelne sind am Ende des Finanzalphabets.
Der Finanzminister will ihnen helfen und sich auch. Er sagt den Herren
vom Rate: Da habt ihr die Nealsteuern; aber mir laßt die Einkommensteuer!
Die dürft ihr nur mit geringen Zuschlägen belegen, und die Vermögenssteuer,
die ich außerdem haben muß, gar nicht.

Das ist der Kern! Herr Miquel will eine bewegliche Einkommen- und Ver¬
mögenssteuer. An diesen soll die Staatssteuerschraubc befestigt werden. Die
Vermögenssteuer ist für den Anfang so niedrig geplant, daß sie gut das
Dreifache bringen kann.

Der Plan ist geschickt. Nur werden die Realsteuerzahler — einige ganz
große ausgenommen — kaum eiuen Nutzen haben. Es kaun ihnen gleich-
giltig sein, ob Staat oder Gemeinde die Steuer einstreicht, wenn sie die Last
nicht los werden.

Bald werden wir also in Preußen den sonderbaren Zustand haben, daß
der Staat Millionen von Steuern — Grund-, Gebäude- und Gew erbesteuer -


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[0613] für Hunderttausende nicht satt zu essen? Dank der Zwangsschulbildung kann der Ärmste rechnen, und die Führer werden nicht versäumen, ihm nachrechnen und nachdenken zu helfen. Der neue Kurs giebt sich redliche Mühe, gegen die Steuerzahler gerecht zu sein; nur böser Wille kann das leugnen. Der alte Kurs war vielleicht ungerecht, aber geschickter. Fürst Bismcirck widersetzte sich der Deklaration: sie mußte die ungeheuerliche Verschiebung des Güterbesitzes offenkundig machen. Die Niesenzifferu müssen den Riesenappetit der besitzlosen Massen wecken. Mit der Offenlegung tritt die Unhaltbarkeit der Verschiebung zu Tage; ihre Be¬ seitigung kann in einem Lande des allgemeinen Wahlrechts nicht wieder von der Tagesordnung verschwinden. Wird der monarchische Staat stark genug sein, den Ausgleich in fried¬ liche Bahnen zu leiten? Die Zeit wirds lehren. 2. Die Aufhebung der Nealsteuern Der preußische Staat arbeitet mit Unterbilanz. Kein Wunder: der Ver¬ kehr stockt, die Eisenbahnen entwickeln sich ungünstig; Heer, Kirche, Schule, Beamte sind ewig mehr fordernde Kostgänger. Da muß es hapern. Hätte der Staat in so kritischer Zeit keine sicher eingehenden Nealsteuern, er müßte sie erfinden. So könnte der Laie meinen. Der Finanzminister des neuen Kurses denkt umgekehrt: es ist die beste Zeit, Staatseinkünfte zu verschenken. Wirklich, eine erstaunliche Reform, die das Stnatsdefizit um hundert Millionen erhöht! Der nachdenkliche Steuerzahler wird sich sagen: Herr Miquel ist ein kluger Kopf; er schenkt nicht umsonst. Er fischt mit kleinen Fischen nach den großen. Die preußischen Gemeinden haben die Einkommensteuer zum Teil mit unerträglichen Zuschlägen bepackt. Einzelne sind am Ende des Finanzalphabets. Der Finanzminister will ihnen helfen und sich auch. Er sagt den Herren vom Rate: Da habt ihr die Nealsteuern; aber mir laßt die Einkommensteuer! Die dürft ihr nur mit geringen Zuschlägen belegen, und die Vermögenssteuer, die ich außerdem haben muß, gar nicht. Das ist der Kern! Herr Miquel will eine bewegliche Einkommen- und Ver¬ mögenssteuer. An diesen soll die Staatssteuerschraubc befestigt werden. Die Vermögenssteuer ist für den Anfang so niedrig geplant, daß sie gut das Dreifache bringen kann. Der Plan ist geschickt. Nur werden die Realsteuerzahler — einige ganz große ausgenommen — kaum eiuen Nutzen haben. Es kaun ihnen gleich- giltig sein, ob Staat oder Gemeinde die Steuer einstreicht, wenn sie die Last nicht los werden. Bald werden wir also in Preußen den sonderbaren Zustand haben, daß der Staat Millionen von Steuern — Grund-, Gebäude- und Gew erbesteuer -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/613>, abgerufen am 27.04.2024.