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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Laiengedauken über die Steuerreform in Preußen

haftend, nicht aus gefüllten Kassen, sonder" mit Schulden, mit nichts als
Schulden, die noch Kind und Kindeskinder belasten werden. Jetzt kommen sie
und "schreien" nach Staatshilfe.

Der Staat ist die Gesamtheit aller Steuerzahler. Er schafft einen be¬
denklichen Vorgang, wenn er die Fehler einzelner Stadtverwaltungen aus
Staatssteuermitteln decken hilft. Durch Zuschüsse bessert mau überdies keinen
Verschwender. Wenn der Staat heute hundert Millionen giebt, werden die
Gemeinden neue Ausgaben ersinnen und nach etlichen Jahren wiederkommen:
Väterchen, mehr! Der Verschwender muß sparen lernen, und der Staat muß
die Gemeinden dazu anhalten. Erst wenn diese lernen, sich wieder nach der
Decke zu strecken, werden sie gesunden. Leider ist der Staat mitschuldig an
der Übeln Lage vieler Gemeinden: er hätte ihnen das unsinnige Schuldenmachen
uicht gestatten sollen.

Nun giebt es in Preußen auch Gemeinden, die ohne eignes Verschulden
kranken. Das sind die lcistungsnnfühigen, armen Gemeinden. Leider hilft
diesen der Weg des Neformplans so gut wie gar nicht. Wird ihnen die Armeu¬
last durch einen größern Verband und die Schullast abgenommen, so können
sie gesunden. Die Schullast mag der Staat nehmen; die thatsächliche Leitung
der Schule hat er den Gemeinden ja schon abgenommen. Mit etlichen Millionen
ist da schon viel zu erreichen.

Wozu nun der Lärm der Überweisungen? Die Millionen, ans die der
Staat verzichtet, fallen zum Teil in den Abgrund, zum andern Teil stopfen
sie Locher zu, die gar nicht da sind. Der Finanzminister hatte keine glück¬
liche Stunde, als er Staats- und Gemeindesteuerrefvrm verquickte.

Der neue Kurs führt ein löbliches, aber verhängnisvolles Vermächtnis
des alten fort. Er will allen Leuten von Staats wegen helfen und aller Welt
Wünsche erfüllen. Mit Landwirtschaft, Handwerk, Arbeitern ist es hinter¬
einander versucht worden, jetzt wird es mit den Gemeinden versucht. Der
Finanzminister mag seinem Nefvrmplan Gesetzeskraft verschaffen; mit der Zu-
friedenstellung wird er scheitern, wie der alte Kurs gescheitert ist. Und unter
diesem hatten wir eine übermächtige Persönlichkeit, die den Fehlschlag deckte
und die Autorität der Regierung unerschüttert ließ. Aber was ist dem deutschen
Volke Herr Miquel?

Ein Hauptmittel, die Leute zufriedenznstellen, ist, sie in Ruhe zu lassen.
Und das bringt der neue Kurs uicht fertig. Er erstickt uns mit Reformen.
Ein unverdaulicher Entwurf folgt einem noch unverdauten Vorgänger, und so
fort. Und der Kern aller Reformen ist: mehr Lasten!

Landtag, werde hart, damit nicht im Herbste deine Wähler hart werden!


4. Schluß

Die Steuerreform nach Herrn Miqnels Entwürfen wird Gesetz werden, aber


Laiengedauken über die Steuerreform in Preußen

haftend, nicht aus gefüllten Kassen, sonder» mit Schulden, mit nichts als
Schulden, die noch Kind und Kindeskinder belasten werden. Jetzt kommen sie
und „schreien" nach Staatshilfe.

Der Staat ist die Gesamtheit aller Steuerzahler. Er schafft einen be¬
denklichen Vorgang, wenn er die Fehler einzelner Stadtverwaltungen aus
Staatssteuermitteln decken hilft. Durch Zuschüsse bessert mau überdies keinen
Verschwender. Wenn der Staat heute hundert Millionen giebt, werden die
Gemeinden neue Ausgaben ersinnen und nach etlichen Jahren wiederkommen:
Väterchen, mehr! Der Verschwender muß sparen lernen, und der Staat muß
die Gemeinden dazu anhalten. Erst wenn diese lernen, sich wieder nach der
Decke zu strecken, werden sie gesunden. Leider ist der Staat mitschuldig an
der Übeln Lage vieler Gemeinden: er hätte ihnen das unsinnige Schuldenmachen
uicht gestatten sollen.

Nun giebt es in Preußen auch Gemeinden, die ohne eignes Verschulden
kranken. Das sind die lcistungsnnfühigen, armen Gemeinden. Leider hilft
diesen der Weg des Neformplans so gut wie gar nicht. Wird ihnen die Armeu¬
last durch einen größern Verband und die Schullast abgenommen, so können
sie gesunden. Die Schullast mag der Staat nehmen; die thatsächliche Leitung
der Schule hat er den Gemeinden ja schon abgenommen. Mit etlichen Millionen
ist da schon viel zu erreichen.

Wozu nun der Lärm der Überweisungen? Die Millionen, ans die der
Staat verzichtet, fallen zum Teil in den Abgrund, zum andern Teil stopfen
sie Locher zu, die gar nicht da sind. Der Finanzminister hatte keine glück¬
liche Stunde, als er Staats- und Gemeindesteuerrefvrm verquickte.

Der neue Kurs führt ein löbliches, aber verhängnisvolles Vermächtnis
des alten fort. Er will allen Leuten von Staats wegen helfen und aller Welt
Wünsche erfüllen. Mit Landwirtschaft, Handwerk, Arbeitern ist es hinter¬
einander versucht worden, jetzt wird es mit den Gemeinden versucht. Der
Finanzminister mag seinem Nefvrmplan Gesetzeskraft verschaffen; mit der Zu-
friedenstellung wird er scheitern, wie der alte Kurs gescheitert ist. Und unter
diesem hatten wir eine übermächtige Persönlichkeit, die den Fehlschlag deckte
und die Autorität der Regierung unerschüttert ließ. Aber was ist dem deutschen
Volke Herr Miquel?

Ein Hauptmittel, die Leute zufriedenznstellen, ist, sie in Ruhe zu lassen.
Und das bringt der neue Kurs uicht fertig. Er erstickt uns mit Reformen.
Ein unverdaulicher Entwurf folgt einem noch unverdauten Vorgänger, und so
fort. Und der Kern aller Reformen ist: mehr Lasten!

Landtag, werde hart, damit nicht im Herbste deine Wähler hart werden!


4. Schluß

Die Steuerreform nach Herrn Miqnels Entwürfen wird Gesetz werden, aber


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[0616] Laiengedauken über die Steuerreform in Preußen haftend, nicht aus gefüllten Kassen, sonder» mit Schulden, mit nichts als Schulden, die noch Kind und Kindeskinder belasten werden. Jetzt kommen sie und „schreien" nach Staatshilfe. Der Staat ist die Gesamtheit aller Steuerzahler. Er schafft einen be¬ denklichen Vorgang, wenn er die Fehler einzelner Stadtverwaltungen aus Staatssteuermitteln decken hilft. Durch Zuschüsse bessert mau überdies keinen Verschwender. Wenn der Staat heute hundert Millionen giebt, werden die Gemeinden neue Ausgaben ersinnen und nach etlichen Jahren wiederkommen: Väterchen, mehr! Der Verschwender muß sparen lernen, und der Staat muß die Gemeinden dazu anhalten. Erst wenn diese lernen, sich wieder nach der Decke zu strecken, werden sie gesunden. Leider ist der Staat mitschuldig an der Übeln Lage vieler Gemeinden: er hätte ihnen das unsinnige Schuldenmachen uicht gestatten sollen. Nun giebt es in Preußen auch Gemeinden, die ohne eignes Verschulden kranken. Das sind die lcistungsnnfühigen, armen Gemeinden. Leider hilft diesen der Weg des Neformplans so gut wie gar nicht. Wird ihnen die Armeu¬ last durch einen größern Verband und die Schullast abgenommen, so können sie gesunden. Die Schullast mag der Staat nehmen; die thatsächliche Leitung der Schule hat er den Gemeinden ja schon abgenommen. Mit etlichen Millionen ist da schon viel zu erreichen. Wozu nun der Lärm der Überweisungen? Die Millionen, ans die der Staat verzichtet, fallen zum Teil in den Abgrund, zum andern Teil stopfen sie Locher zu, die gar nicht da sind. Der Finanzminister hatte keine glück¬ liche Stunde, als er Staats- und Gemeindesteuerrefvrm verquickte. Der neue Kurs führt ein löbliches, aber verhängnisvolles Vermächtnis des alten fort. Er will allen Leuten von Staats wegen helfen und aller Welt Wünsche erfüllen. Mit Landwirtschaft, Handwerk, Arbeitern ist es hinter¬ einander versucht worden, jetzt wird es mit den Gemeinden versucht. Der Finanzminister mag seinem Nefvrmplan Gesetzeskraft verschaffen; mit der Zu- friedenstellung wird er scheitern, wie der alte Kurs gescheitert ist. Und unter diesem hatten wir eine übermächtige Persönlichkeit, die den Fehlschlag deckte und die Autorität der Regierung unerschüttert ließ. Aber was ist dem deutschen Volke Herr Miquel? Ein Hauptmittel, die Leute zufriedenznstellen, ist, sie in Ruhe zu lassen. Und das bringt der neue Kurs uicht fertig. Er erstickt uns mit Reformen. Ein unverdaulicher Entwurf folgt einem noch unverdauten Vorgänger, und so fort. Und der Kern aller Reformen ist: mehr Lasten! Landtag, werde hart, damit nicht im Herbste deine Wähler hart werden! 4. Schluß Die Steuerreform nach Herrn Miqnels Entwürfen wird Gesetz werden, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/616>, abgerufen am 27.04.2024.