Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

sagen, daß ein Verschulden der Verklagten nicht vorliege. Indem um aber
das Gericht mir dieses letztere betonte, gab es eine Entscheidung, die es ver¬
mied, sich mit dem Reichgerichtsurteil geradezu in Widerspruch zu setzen, und
die zugleich dadurch, daß sie ausschließlich das sächsische Gesetzbuch zur Grund¬
lage nahm, sich der weitern Revision durch das Reichsgericht entzog. Die
verklagten sind dadurch endgiltig freigesprochen. Auch hier hat also die An¬
sicht des Reichsgerichts eine Niederlage erlitten.

Mit seinem Urteile hat das Reichsgericht einen sehr bedenklichen Weg
eingeschlagen. Gerade bei der Unabhängigkeit der Justiz sollte das Reichs¬
gericht, über dem sich nur der blaue Himmel wölbt, vermeiden, neues Recht
machen zu wollen, zumal auf Gebieten, die zu beherrschen es schwerlich im¬
stande ist. Man muß daher nach der Erläuterung, die Wiener der Sache
gegeben hat, das Reichsgerichts nrteil um so mehr beklagen.

Übrigens ist dieser Rechtsfall anch noch in andrer Beziehung sehr be¬
lehrend. Er läßt erkennen, welchen Gefahren richterlicher Willkür wir entgegen¬
zusehen hätten, wenn die Begriffsbestimmungen für "unerlaubte Hmidlnngen"
so, wie sie in dem Entwürfe zum bürgerlichen Gesetzbuch (auch nach der
zweiten Lesung) enthalten sind, Gesetz werden sollten.




neuestes Litteratur-ABL
1. Conrnd Albert!
Heil Alberti, der verbrochen
Manches auf dem "Sittenfeld,"
Heil Alberti, der gesprochen
Dann in Leipzig wie ein Held!
Will ihm auch kein Lorbeer treiben,
Keine Blume ihm erblühn,
Selber mird er sicher bleiben
Ewig jung und ewig grün.
2, Karl Bleib treu
Großer Bleibtreu, Plagiator,
Aber doch in manchem neu,
Kühner Nevvlntionatvr,
Bleibe nur getrost dir treu!
Töte die verlognen Alten,
Halte deines Ruhmes Wacht!
Einer wird doch einmal halten
Dich für Shakespeare -- bei der Nacht.

sagen, daß ein Verschulden der Verklagten nicht vorliege. Indem um aber
das Gericht mir dieses letztere betonte, gab es eine Entscheidung, die es ver¬
mied, sich mit dem Reichgerichtsurteil geradezu in Widerspruch zu setzen, und
die zugleich dadurch, daß sie ausschließlich das sächsische Gesetzbuch zur Grund¬
lage nahm, sich der weitern Revision durch das Reichsgericht entzog. Die
verklagten sind dadurch endgiltig freigesprochen. Auch hier hat also die An¬
sicht des Reichsgerichts eine Niederlage erlitten.

Mit seinem Urteile hat das Reichsgericht einen sehr bedenklichen Weg
eingeschlagen. Gerade bei der Unabhängigkeit der Justiz sollte das Reichs¬
gericht, über dem sich nur der blaue Himmel wölbt, vermeiden, neues Recht
machen zu wollen, zumal auf Gebieten, die zu beherrschen es schwerlich im¬
stande ist. Man muß daher nach der Erläuterung, die Wiener der Sache
gegeben hat, das Reichsgerichts nrteil um so mehr beklagen.

Übrigens ist dieser Rechtsfall anch noch in andrer Beziehung sehr be¬
lehrend. Er läßt erkennen, welchen Gefahren richterlicher Willkür wir entgegen¬
zusehen hätten, wenn die Begriffsbestimmungen für „unerlaubte Hmidlnngen"
so, wie sie in dem Entwürfe zum bürgerlichen Gesetzbuch (auch nach der
zweiten Lesung) enthalten sind, Gesetz werden sollten.




neuestes Litteratur-ABL
1. Conrnd Albert!
Heil Alberti, der verbrochen
Manches auf dem „Sittenfeld,"
Heil Alberti, der gesprochen
Dann in Leipzig wie ein Held!
Will ihm auch kein Lorbeer treiben,
Keine Blume ihm erblühn,
Selber mird er sicher bleiben
Ewig jung und ewig grün.
2, Karl Bleib treu
Großer Bleibtreu, Plagiator,
Aber doch in manchem neu,
Kühner Nevvlntionatvr,
Bleibe nur getrost dir treu!
Töte die verlognen Alten,
Halte deines Ruhmes Wacht!
Einer wird doch einmal halten
Dich für Shakespeare — bei der Nacht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0650" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214442"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2309" prev="#ID_2308"> sagen, daß ein Verschulden der Verklagten nicht vorliege. Indem um aber<lb/>
das Gericht mir dieses letztere betonte, gab es eine Entscheidung, die es ver¬<lb/>
mied, sich mit dem Reichgerichtsurteil geradezu in Widerspruch zu setzen, und<lb/>
die zugleich dadurch, daß sie ausschließlich das sächsische Gesetzbuch zur Grund¬<lb/>
lage nahm, sich der weitern Revision durch das Reichsgericht entzog. Die<lb/>
verklagten sind dadurch endgiltig freigesprochen. Auch hier hat also die An¬<lb/>
sicht des Reichsgerichts eine Niederlage erlitten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2310"> Mit seinem Urteile hat das Reichsgericht einen sehr bedenklichen Weg<lb/>
eingeschlagen. Gerade bei der Unabhängigkeit der Justiz sollte das Reichs¬<lb/>
gericht, über dem sich nur der blaue Himmel wölbt, vermeiden, neues Recht<lb/>
machen zu wollen, zumal auf Gebieten, die zu beherrschen es schwerlich im¬<lb/>
stande ist. Man muß daher nach der Erläuterung, die Wiener der Sache<lb/>
gegeben hat, das Reichsgerichts nrteil um so mehr beklagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2311"> Übrigens ist dieser Rechtsfall anch noch in andrer Beziehung sehr be¬<lb/>
lehrend. Er läßt erkennen, welchen Gefahren richterlicher Willkür wir entgegen¬<lb/>
zusehen hätten, wenn die Begriffsbestimmungen für &#x201E;unerlaubte Hmidlnngen"<lb/>
so, wie sie in dem Entwürfe zum bürgerlichen Gesetzbuch (auch nach der<lb/>
zweiten Lesung) enthalten sind, Gesetz werden sollten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> neuestes Litteratur-ABL</head><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_30" type="poem">
            <head> 1. Conrnd Albert!</head>
            <l> Heil Alberti, der verbrochen<lb/>
Manches auf dem &#x201E;Sittenfeld,"<lb/>
Heil Alberti, der gesprochen<lb/>
Dann in Leipzig wie ein Held!<lb/>
Will ihm auch kein Lorbeer treiben,<lb/>
Keine Blume ihm erblühn,<lb/>
Selber mird er sicher bleiben<lb/>
Ewig jung und ewig grün. </l>
          </lg><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_31" type="poem">
            <head> 2, Karl Bleib treu</head>
            <l> Großer Bleibtreu, Plagiator,<lb/>
Aber doch in manchem neu,<lb/>
Kühner Nevvlntionatvr,<lb/>
Bleibe nur getrost dir treu!<lb/>
Töte die verlognen Alten,<lb/>
Halte deines Ruhmes Wacht!<lb/>
Einer wird doch einmal halten<lb/>
Dich für Shakespeare &#x2014; bei der Nacht. </l>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0650] sagen, daß ein Verschulden der Verklagten nicht vorliege. Indem um aber das Gericht mir dieses letztere betonte, gab es eine Entscheidung, die es ver¬ mied, sich mit dem Reichgerichtsurteil geradezu in Widerspruch zu setzen, und die zugleich dadurch, daß sie ausschließlich das sächsische Gesetzbuch zur Grund¬ lage nahm, sich der weitern Revision durch das Reichsgericht entzog. Die verklagten sind dadurch endgiltig freigesprochen. Auch hier hat also die An¬ sicht des Reichsgerichts eine Niederlage erlitten. Mit seinem Urteile hat das Reichsgericht einen sehr bedenklichen Weg eingeschlagen. Gerade bei der Unabhängigkeit der Justiz sollte das Reichs¬ gericht, über dem sich nur der blaue Himmel wölbt, vermeiden, neues Recht machen zu wollen, zumal auf Gebieten, die zu beherrschen es schwerlich im¬ stande ist. Man muß daher nach der Erläuterung, die Wiener der Sache gegeben hat, das Reichsgerichts nrteil um so mehr beklagen. Übrigens ist dieser Rechtsfall anch noch in andrer Beziehung sehr be¬ lehrend. Er läßt erkennen, welchen Gefahren richterlicher Willkür wir entgegen¬ zusehen hätten, wenn die Begriffsbestimmungen für „unerlaubte Hmidlnngen" so, wie sie in dem Entwürfe zum bürgerlichen Gesetzbuch (auch nach der zweiten Lesung) enthalten sind, Gesetz werden sollten. neuestes Litteratur-ABL 1. Conrnd Albert! Heil Alberti, der verbrochen Manches auf dem „Sittenfeld," Heil Alberti, der gesprochen Dann in Leipzig wie ein Held! Will ihm auch kein Lorbeer treiben, Keine Blume ihm erblühn, Selber mird er sicher bleiben Ewig jung und ewig grün. 2, Karl Bleib treu Großer Bleibtreu, Plagiator, Aber doch in manchem neu, Kühner Nevvlntionatvr, Bleibe nur getrost dir treu! Töte die verlognen Alten, Halte deines Ruhmes Wacht! Einer wird doch einmal halten Dich für Shakespeare — bei der Nacht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/650
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/650>, abgerufen am 27.04.2024.