Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Familie Humboldt

Kursus eine Reihe wertvoller politischer Gedanken und geschichtlicher Eindrücke
mit ius Leben nehmen. Die Einwendung, daß eine solche Einrichtung dem
wissenschaftlichen Geiste des Universitätsstudiums widerspräche, kann ich durchaus
nicht gelten lassen. Man hält fast an allen medizinischen Fakultäten drei- bis
sechswöchentliche Kurse über die verschiedensten Materien, und man hört, daß
gerade diese als wertvoll angesehen werden. Sollte die Wissenschaftlichkeit von
der Dauer und der Stundenzahl der Vorlesungen abhängen?




Die Familie Humboldt

aß aus Fmnilieubriefen und Tagebuchblättern wesentlich neues
über Wilhelm von Humboldt ans Licht kommen würde, dessen
Bild schon jetzt als das des Inbegriffs der höchsten geistigen
Potenz unter den Zeitgenossen Goethes und Schillers feststand,
war nicht zu erwarten. Um so angenehmer fühlte man sich
enttäuscht durch das Lebensbild seiner Tochter Gabriele, das, aus den Fcimilien-
papiereu Wilhelm von Humboldts und seiner Kinder zusammengestellt, in der
Mittlerschen Buchhandlung in Berlin erschienen ist.") Es wird hier eine große
Anzahl kleiner Züge mitgeteilt, die dazu beitragen, sein Bild zu beleben und
ihn uns menschlich näher zu bringen.

Von dem Verkehr mit ihm im allgemeinen schreibt seine Tochter: "Man
versteht nicht immer das, wovon gerade die Rede ist, weil es einen einzelnen
Zweig des Wissens betrifft, allein immer ist etwas allgemeines mit berührt,
was Stoff zum Denken giebt, und wenig Menschen üben daher solch einen
wohlthuenden Einfluß aus wie er." Bewunderungswürdig erscheint er auch
durch die Gleichmäßigkeit seiner Stimmung. Als er durch Hardenbergs In¬
triguen aus dem Ministerium gedrängt ist, und ganz Berlin von nichts als
von seiner Entlassung spricht, ist er "liebenswürdiger als je, und froh, sich
in der lange entbehrten Freiheit uach seinem Gefallen beschäftigen zu können."
Seine erste Veschäftiguug ist, seine Bücher zu ordnen, und beim Frühstück,
mittags und abends hält er Frau und Kinder mit seinen witzigen Einfällen
in stetem Lachen. Gegen das Ende seines Lebens bittet er, ihm von Zeit zu
Zeit, aber ganz nach Belieben, ein Paket Zeitungen nach Tegel zu schicken:
"An den Buchstaben darin liegt mir nichts, aber als Löschpapier und zum
Einpacken habe ich sie doch gern." Besonders thut ihm die Einsamkeit wohl;



*) Gabriele vonBülow,^die^> Tochter Wilhelm von Humboldts. Ein Lebensbild. Ans
denFmuilieupapierenWilhelm von Humboldts und seiucrKinder. Berlin, E,S. Mittler nud Sohn.
Die Familie Humboldt

Kursus eine Reihe wertvoller politischer Gedanken und geschichtlicher Eindrücke
mit ius Leben nehmen. Die Einwendung, daß eine solche Einrichtung dem
wissenschaftlichen Geiste des Universitätsstudiums widerspräche, kann ich durchaus
nicht gelten lassen. Man hält fast an allen medizinischen Fakultäten drei- bis
sechswöchentliche Kurse über die verschiedensten Materien, und man hört, daß
gerade diese als wertvoll angesehen werden. Sollte die Wissenschaftlichkeit von
der Dauer und der Stundenzahl der Vorlesungen abhängen?




Die Familie Humboldt

aß aus Fmnilieubriefen und Tagebuchblättern wesentlich neues
über Wilhelm von Humboldt ans Licht kommen würde, dessen
Bild schon jetzt als das des Inbegriffs der höchsten geistigen
Potenz unter den Zeitgenossen Goethes und Schillers feststand,
war nicht zu erwarten. Um so angenehmer fühlte man sich
enttäuscht durch das Lebensbild seiner Tochter Gabriele, das, aus den Fcimilien-
papiereu Wilhelm von Humboldts und seiner Kinder zusammengestellt, in der
Mittlerschen Buchhandlung in Berlin erschienen ist.") Es wird hier eine große
Anzahl kleiner Züge mitgeteilt, die dazu beitragen, sein Bild zu beleben und
ihn uns menschlich näher zu bringen.

Von dem Verkehr mit ihm im allgemeinen schreibt seine Tochter: „Man
versteht nicht immer das, wovon gerade die Rede ist, weil es einen einzelnen
Zweig des Wissens betrifft, allein immer ist etwas allgemeines mit berührt,
was Stoff zum Denken giebt, und wenig Menschen üben daher solch einen
wohlthuenden Einfluß aus wie er." Bewunderungswürdig erscheint er auch
durch die Gleichmäßigkeit seiner Stimmung. Als er durch Hardenbergs In¬
triguen aus dem Ministerium gedrängt ist, und ganz Berlin von nichts als
von seiner Entlassung spricht, ist er „liebenswürdiger als je, und froh, sich
in der lange entbehrten Freiheit uach seinem Gefallen beschäftigen zu können."
Seine erste Veschäftiguug ist, seine Bücher zu ordnen, und beim Frühstück,
mittags und abends hält er Frau und Kinder mit seinen witzigen Einfällen
in stetem Lachen. Gegen das Ende seines Lebens bittet er, ihm von Zeit zu
Zeit, aber ganz nach Belieben, ein Paket Zeitungen nach Tegel zu schicken:
„An den Buchstaben darin liegt mir nichts, aber als Löschpapier und zum
Einpacken habe ich sie doch gern." Besonders thut ihm die Einsamkeit wohl;



*) Gabriele vonBülow,^die^> Tochter Wilhelm von Humboldts. Ein Lebensbild. Ans
denFmuilieupapierenWilhelm von Humboldts und seiucrKinder. Berlin, E,S. Mittler nud Sohn.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214862"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Familie Humboldt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1590" prev="#ID_1589"> Kursus eine Reihe wertvoller politischer Gedanken und geschichtlicher Eindrücke<lb/>
mit ius Leben nehmen. Die Einwendung, daß eine solche Einrichtung dem<lb/>
wissenschaftlichen Geiste des Universitätsstudiums widerspräche, kann ich durchaus<lb/>
nicht gelten lassen. Man hält fast an allen medizinischen Fakultäten drei- bis<lb/>
sechswöchentliche Kurse über die verschiedensten Materien, und man hört, daß<lb/>
gerade diese als wertvoll angesehen werden. Sollte die Wissenschaftlichkeit von<lb/>
der Dauer und der Stundenzahl der Vorlesungen abhängen?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Familie Humboldt</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1591"> aß aus Fmnilieubriefen und Tagebuchblättern wesentlich neues<lb/>
über Wilhelm von Humboldt ans Licht kommen würde, dessen<lb/>
Bild schon jetzt als das des Inbegriffs der höchsten geistigen<lb/>
Potenz unter den Zeitgenossen Goethes und Schillers feststand,<lb/>
war nicht zu erwarten. Um so angenehmer fühlte man sich<lb/>
enttäuscht durch das Lebensbild seiner Tochter Gabriele, das, aus den Fcimilien-<lb/>
papiereu Wilhelm von Humboldts und seiner Kinder zusammengestellt, in der<lb/>
Mittlerschen Buchhandlung in Berlin erschienen ist.") Es wird hier eine große<lb/>
Anzahl kleiner Züge mitgeteilt, die dazu beitragen, sein Bild zu beleben und<lb/>
ihn uns menschlich näher zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1592" next="#ID_1593"> Von dem Verkehr mit ihm im allgemeinen schreibt seine Tochter: &#x201E;Man<lb/>
versteht nicht immer das, wovon gerade die Rede ist, weil es einen einzelnen<lb/>
Zweig des Wissens betrifft, allein immer ist etwas allgemeines mit berührt,<lb/>
was Stoff zum Denken giebt, und wenig Menschen üben daher solch einen<lb/>
wohlthuenden Einfluß aus wie er." Bewunderungswürdig erscheint er auch<lb/>
durch die Gleichmäßigkeit seiner Stimmung. Als er durch Hardenbergs In¬<lb/>
triguen aus dem Ministerium gedrängt ist, und ganz Berlin von nichts als<lb/>
von seiner Entlassung spricht, ist er &#x201E;liebenswürdiger als je, und froh, sich<lb/>
in der lange entbehrten Freiheit uach seinem Gefallen beschäftigen zu können."<lb/>
Seine erste Veschäftiguug ist, seine Bücher zu ordnen, und beim Frühstück,<lb/>
mittags und abends hält er Frau und Kinder mit seinen witzigen Einfällen<lb/>
in stetem Lachen. Gegen das Ende seines Lebens bittet er, ihm von Zeit zu<lb/>
Zeit, aber ganz nach Belieben, ein Paket Zeitungen nach Tegel zu schicken:<lb/>
&#x201E;An den Buchstaben darin liegt mir nichts, aber als Löschpapier und zum<lb/>
Einpacken habe ich sie doch gern."  Besonders thut ihm die Einsamkeit wohl;</p><lb/>
          <note xml:id="FID_69" place="foot"> *) Gabriele vonBülow,^die^&gt; Tochter Wilhelm von Humboldts. Ein Lebensbild. Ans<lb/>
denFmuilieupapierenWilhelm von Humboldts und seiucrKinder. Berlin, E,S. Mittler nud Sohn.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] Die Familie Humboldt Kursus eine Reihe wertvoller politischer Gedanken und geschichtlicher Eindrücke mit ius Leben nehmen. Die Einwendung, daß eine solche Einrichtung dem wissenschaftlichen Geiste des Universitätsstudiums widerspräche, kann ich durchaus nicht gelten lassen. Man hält fast an allen medizinischen Fakultäten drei- bis sechswöchentliche Kurse über die verschiedensten Materien, und man hört, daß gerade diese als wertvoll angesehen werden. Sollte die Wissenschaftlichkeit von der Dauer und der Stundenzahl der Vorlesungen abhängen? Die Familie Humboldt aß aus Fmnilieubriefen und Tagebuchblättern wesentlich neues über Wilhelm von Humboldt ans Licht kommen würde, dessen Bild schon jetzt als das des Inbegriffs der höchsten geistigen Potenz unter den Zeitgenossen Goethes und Schillers feststand, war nicht zu erwarten. Um so angenehmer fühlte man sich enttäuscht durch das Lebensbild seiner Tochter Gabriele, das, aus den Fcimilien- papiereu Wilhelm von Humboldts und seiner Kinder zusammengestellt, in der Mittlerschen Buchhandlung in Berlin erschienen ist.") Es wird hier eine große Anzahl kleiner Züge mitgeteilt, die dazu beitragen, sein Bild zu beleben und ihn uns menschlich näher zu bringen. Von dem Verkehr mit ihm im allgemeinen schreibt seine Tochter: „Man versteht nicht immer das, wovon gerade die Rede ist, weil es einen einzelnen Zweig des Wissens betrifft, allein immer ist etwas allgemeines mit berührt, was Stoff zum Denken giebt, und wenig Menschen üben daher solch einen wohlthuenden Einfluß aus wie er." Bewunderungswürdig erscheint er auch durch die Gleichmäßigkeit seiner Stimmung. Als er durch Hardenbergs In¬ triguen aus dem Ministerium gedrängt ist, und ganz Berlin von nichts als von seiner Entlassung spricht, ist er „liebenswürdiger als je, und froh, sich in der lange entbehrten Freiheit uach seinem Gefallen beschäftigen zu können." Seine erste Veschäftiguug ist, seine Bücher zu ordnen, und beim Frühstück, mittags und abends hält er Frau und Kinder mit seinen witzigen Einfällen in stetem Lachen. Gegen das Ende seines Lebens bittet er, ihm von Zeit zu Zeit, aber ganz nach Belieben, ein Paket Zeitungen nach Tegel zu schicken: „An den Buchstaben darin liegt mir nichts, aber als Löschpapier und zum Einpacken habe ich sie doch gern." Besonders thut ihm die Einsamkeit wohl; *) Gabriele vonBülow,^die^> Tochter Wilhelm von Humboldts. Ein Lebensbild. Ans denFmuilieupapierenWilhelm von Humboldts und seiucrKinder. Berlin, E,S. Mittler nud Sohn.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/407>, abgerufen am 06.05.2024.