Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litteratur

ruhig weiter besuchen. Wenn die Jungen von selbst diesen kürzern Weg gefunden
hätten, so verdiente ihre Schlauheit alle Anerkennung. Ganz anders aber sieht
die Sache ans, wenn man erfährt, daß ihnen ihre Lehrer dazu raten, ja sogar
helfen, und daß selbst die Aufsichtsbehörde nichts dagegen hat, daß ans derselben
Bank zwei ganz verschiedne Klassen von Schülern sitzen, solche, die im Schweiß
ihres Angesichts auf die Abschlußprüfung losarbeiten, und solche, die in dem Besitz
der Berechtigung nur noch ein überlegnes Lächeln für diese Bemühungen haben.
Schüler, die nicht in der Hauptstadt eiues Regierungsbezirks wohnen, oder die den
Weg hinten herum verschmähe", müssen sich über die Gerechtigkeit in der Schule
ganz eigne Gedanken machen.




Litteratur
G. E. Lessings Übersetzungen aus dem Französischen Friedrichs des Gröszen
und Voltaires- Im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Litteratur herausgegeben von
Erich Schmidt. Berlin, Wilhelm Hertz, 1892

Lessings Übersetzungen haben auch in der jetzt von Mnnckcr besorgten Lach-
mannschen Ausgabe der Werke keinen Platz gefunden; hier erhält das litterarische
Publikum nun wenigstens die Lessingsche Übersetzung von drei satirisch-politischen
"Schreiben" Friedrichs des Großen und von einer Auswahl aus Voltaires Schriften.
Der junge Schriftsteller bewegt sich als unmittelbarer Diener der beiden großen
Geister ziemlich steif; meist übersetzt er breitspurig, selten verrät ein glücklicher
knapper Ausdruck das scharfe, bündige Denken, das wir als Lessings Eigentüm¬
lichkeit bewundern.

Für die Genauigkeit der Wiedergabe des alten Drucks bürgt der Name des
Herausgebers; die Ausstattung des Buches ist geschmackvoll wie immer, wenn der
Hertzsche Verlag etwas auf deu Markt bringt. Vorausgeschickt hat E. Schmidt
ein kurzes, pikant geschriebues, sachlich einführendes Vorwort, um Schlüsse läßt er
ein Verzeichnis von Lesarten und eines von "einigen Fremdwörtern" folgen,
die Lessing umgangen hat. Das letzte leidet unter der stillschweigenden Voraus¬
setzung, daß alle Fremdwörter von 1892 auch 1752 geläufig gewesen seien, und
so erhält der Übersetzer vom Herausgeber den Vorwurf einer "puristischen Nei¬
gung." Auch das scheint E. Schmidt nicht beachtet zu haben, daß unsre Fremd¬
wörter gegenüber dem Gebrauch in ihrer Heimat oft einen beschränkten Sinn
haben: Lessing redet ganz richtig und schön von der "Quelle" unsers mittelalter¬
lichen Handels um Stelle des Voltairischen prineixo, das Fremdwort Prinzip gäbe
einen ganz andern Sinn. Wozu also? fragen wir bei dieser flüchtigen Zusammen¬
stellung in Bausch und Bogen; oder um feiner mit dem Herausgeber zu reden:
ob sie einen Zweck hat, steht dahin. ^


Der jährenden Schüler Liederbuch. Eine Auswahl der Vagantengesänge in modernen
Übertragungen mit einer Einführung in das Wesen und die Poesie der "Fahrenden" von
Karl Mischke. Berlin, P. Letto, 1893

Diese Übersetzungen sollen weitere Kreise mit den lateinischen Vagantenliedern
der Stauferzeit bekannt machen, und diesen Zweck können sie wohl erfüllen. Der


Litteratur

ruhig weiter besuchen. Wenn die Jungen von selbst diesen kürzern Weg gefunden
hätten, so verdiente ihre Schlauheit alle Anerkennung. Ganz anders aber sieht
die Sache ans, wenn man erfährt, daß ihnen ihre Lehrer dazu raten, ja sogar
helfen, und daß selbst die Aufsichtsbehörde nichts dagegen hat, daß ans derselben
Bank zwei ganz verschiedne Klassen von Schülern sitzen, solche, die im Schweiß
ihres Angesichts auf die Abschlußprüfung losarbeiten, und solche, die in dem Besitz
der Berechtigung nur noch ein überlegnes Lächeln für diese Bemühungen haben.
Schüler, die nicht in der Hauptstadt eiues Regierungsbezirks wohnen, oder die den
Weg hinten herum verschmähe», müssen sich über die Gerechtigkeit in der Schule
ganz eigne Gedanken machen.




Litteratur
G. E. Lessings Übersetzungen aus dem Französischen Friedrichs des Gröszen
und Voltaires- Im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Litteratur herausgegeben von
Erich Schmidt. Berlin, Wilhelm Hertz, 1892

Lessings Übersetzungen haben auch in der jetzt von Mnnckcr besorgten Lach-
mannschen Ausgabe der Werke keinen Platz gefunden; hier erhält das litterarische
Publikum nun wenigstens die Lessingsche Übersetzung von drei satirisch-politischen
„Schreiben" Friedrichs des Großen und von einer Auswahl aus Voltaires Schriften.
Der junge Schriftsteller bewegt sich als unmittelbarer Diener der beiden großen
Geister ziemlich steif; meist übersetzt er breitspurig, selten verrät ein glücklicher
knapper Ausdruck das scharfe, bündige Denken, das wir als Lessings Eigentüm¬
lichkeit bewundern.

Für die Genauigkeit der Wiedergabe des alten Drucks bürgt der Name des
Herausgebers; die Ausstattung des Buches ist geschmackvoll wie immer, wenn der
Hertzsche Verlag etwas auf deu Markt bringt. Vorausgeschickt hat E. Schmidt
ein kurzes, pikant geschriebues, sachlich einführendes Vorwort, um Schlüsse läßt er
ein Verzeichnis von Lesarten und eines von „einigen Fremdwörtern" folgen,
die Lessing umgangen hat. Das letzte leidet unter der stillschweigenden Voraus¬
setzung, daß alle Fremdwörter von 1892 auch 1752 geläufig gewesen seien, und
so erhält der Übersetzer vom Herausgeber den Vorwurf einer „puristischen Nei¬
gung." Auch das scheint E. Schmidt nicht beachtet zu haben, daß unsre Fremd¬
wörter gegenüber dem Gebrauch in ihrer Heimat oft einen beschränkten Sinn
haben: Lessing redet ganz richtig und schön von der „Quelle" unsers mittelalter¬
lichen Handels um Stelle des Voltairischen prineixo, das Fremdwort Prinzip gäbe
einen ganz andern Sinn. Wozu also? fragen wir bei dieser flüchtigen Zusammen¬
stellung in Bausch und Bogen; oder um feiner mit dem Herausgeber zu reden:
ob sie einen Zweck hat, steht dahin. ^


Der jährenden Schüler Liederbuch. Eine Auswahl der Vagantengesänge in modernen
Übertragungen mit einer Einführung in das Wesen und die Poesie der „Fahrenden" von
Karl Mischke. Berlin, P. Letto, 1893

Diese Übersetzungen sollen weitere Kreise mit den lateinischen Vagantenliedern
der Stauferzeit bekannt machen, und diesen Zweck können sie wohl erfüllen. Der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214512"/>
            <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_189" prev="#ID_188"> ruhig weiter besuchen. Wenn die Jungen von selbst diesen kürzern Weg gefunden<lb/>
hätten, so verdiente ihre Schlauheit alle Anerkennung. Ganz anders aber sieht<lb/>
die Sache ans, wenn man erfährt, daß ihnen ihre Lehrer dazu raten, ja sogar<lb/>
helfen, und daß selbst die Aufsichtsbehörde nichts dagegen hat, daß ans derselben<lb/>
Bank zwei ganz verschiedne Klassen von Schülern sitzen, solche, die im Schweiß<lb/>
ihres Angesichts auf die Abschlußprüfung losarbeiten, und solche, die in dem Besitz<lb/>
der Berechtigung nur noch ein überlegnes Lächeln für diese Bemühungen haben.<lb/>
Schüler, die nicht in der Hauptstadt eiues Regierungsbezirks wohnen, oder die den<lb/>
Weg hinten herum verschmähe», müssen sich über die Gerechtigkeit in der Schule<lb/>
ganz eigne Gedanken machen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Litteratur</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> G. E. Lessings Übersetzungen aus dem Französischen Friedrichs des Gröszen<lb/>
und Voltaires-  Im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Litteratur herausgegeben von<lb/>
Erich Schmidt.  Berlin, Wilhelm Hertz, 1892</head><lb/>
            <p xml:id="ID_190"> Lessings Übersetzungen haben auch in der jetzt von Mnnckcr besorgten Lach-<lb/>
mannschen Ausgabe der Werke keinen Platz gefunden; hier erhält das litterarische<lb/>
Publikum nun wenigstens die Lessingsche Übersetzung von drei satirisch-politischen<lb/>
&#x201E;Schreiben" Friedrichs des Großen und von einer Auswahl aus Voltaires Schriften.<lb/>
Der junge Schriftsteller bewegt sich als unmittelbarer Diener der beiden großen<lb/>
Geister ziemlich steif; meist übersetzt er breitspurig, selten verrät ein glücklicher<lb/>
knapper Ausdruck das scharfe, bündige Denken, das wir als Lessings Eigentüm¬<lb/>
lichkeit bewundern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_191"> Für die Genauigkeit der Wiedergabe des alten Drucks bürgt der Name des<lb/>
Herausgebers; die Ausstattung des Buches ist geschmackvoll wie immer, wenn der<lb/>
Hertzsche Verlag etwas auf deu Markt bringt. Vorausgeschickt hat E. Schmidt<lb/>
ein kurzes, pikant geschriebues, sachlich einführendes Vorwort, um Schlüsse läßt er<lb/>
ein Verzeichnis von Lesarten und eines von &#x201E;einigen Fremdwörtern" folgen,<lb/>
die Lessing umgangen hat. Das letzte leidet unter der stillschweigenden Voraus¬<lb/>
setzung, daß alle Fremdwörter von 1892 auch 1752 geläufig gewesen seien, und<lb/>
so erhält der Übersetzer vom Herausgeber den Vorwurf einer &#x201E;puristischen Nei¬<lb/>
gung." Auch das scheint E. Schmidt nicht beachtet zu haben, daß unsre Fremd¬<lb/>
wörter gegenüber dem Gebrauch in ihrer Heimat oft einen beschränkten Sinn<lb/>
haben: Lessing redet ganz richtig und schön von der &#x201E;Quelle" unsers mittelalter¬<lb/>
lichen Handels um Stelle des Voltairischen prineixo, das Fremdwort Prinzip gäbe<lb/>
einen ganz andern Sinn. Wozu also? fragen wir bei dieser flüchtigen Zusammen¬<lb/>
stellung in Bausch und Bogen; oder um feiner mit dem Herausgeber zu reden:<lb/>
ob sie einen Zweck hat, steht dahin. ^</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Der jährenden Schüler Liederbuch.  Eine Auswahl der Vagantengesänge in modernen<lb/>
Übertragungen mit einer Einführung in das Wesen und die Poesie der &#x201E;Fahrenden" von<lb/>
Karl Mischke.  Berlin, P. Letto, 1893</head><lb/>
            <p xml:id="ID_192" next="#ID_193"> Diese Übersetzungen sollen weitere Kreise mit den lateinischen Vagantenliedern<lb/>
der Stauferzeit bekannt machen, und diesen Zweck können sie wohl erfüllen. Der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] Litteratur ruhig weiter besuchen. Wenn die Jungen von selbst diesen kürzern Weg gefunden hätten, so verdiente ihre Schlauheit alle Anerkennung. Ganz anders aber sieht die Sache ans, wenn man erfährt, daß ihnen ihre Lehrer dazu raten, ja sogar helfen, und daß selbst die Aufsichtsbehörde nichts dagegen hat, daß ans derselben Bank zwei ganz verschiedne Klassen von Schülern sitzen, solche, die im Schweiß ihres Angesichts auf die Abschlußprüfung losarbeiten, und solche, die in dem Besitz der Berechtigung nur noch ein überlegnes Lächeln für diese Bemühungen haben. Schüler, die nicht in der Hauptstadt eiues Regierungsbezirks wohnen, oder die den Weg hinten herum verschmähe», müssen sich über die Gerechtigkeit in der Schule ganz eigne Gedanken machen. Litteratur G. E. Lessings Übersetzungen aus dem Französischen Friedrichs des Gröszen und Voltaires- Im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Litteratur herausgegeben von Erich Schmidt. Berlin, Wilhelm Hertz, 1892 Lessings Übersetzungen haben auch in der jetzt von Mnnckcr besorgten Lach- mannschen Ausgabe der Werke keinen Platz gefunden; hier erhält das litterarische Publikum nun wenigstens die Lessingsche Übersetzung von drei satirisch-politischen „Schreiben" Friedrichs des Großen und von einer Auswahl aus Voltaires Schriften. Der junge Schriftsteller bewegt sich als unmittelbarer Diener der beiden großen Geister ziemlich steif; meist übersetzt er breitspurig, selten verrät ein glücklicher knapper Ausdruck das scharfe, bündige Denken, das wir als Lessings Eigentüm¬ lichkeit bewundern. Für die Genauigkeit der Wiedergabe des alten Drucks bürgt der Name des Herausgebers; die Ausstattung des Buches ist geschmackvoll wie immer, wenn der Hertzsche Verlag etwas auf deu Markt bringt. Vorausgeschickt hat E. Schmidt ein kurzes, pikant geschriebues, sachlich einführendes Vorwort, um Schlüsse läßt er ein Verzeichnis von Lesarten und eines von „einigen Fremdwörtern" folgen, die Lessing umgangen hat. Das letzte leidet unter der stillschweigenden Voraus¬ setzung, daß alle Fremdwörter von 1892 auch 1752 geläufig gewesen seien, und so erhält der Übersetzer vom Herausgeber den Vorwurf einer „puristischen Nei¬ gung." Auch das scheint E. Schmidt nicht beachtet zu haben, daß unsre Fremd¬ wörter gegenüber dem Gebrauch in ihrer Heimat oft einen beschränkten Sinn haben: Lessing redet ganz richtig und schön von der „Quelle" unsers mittelalter¬ lichen Handels um Stelle des Voltairischen prineixo, das Fremdwort Prinzip gäbe einen ganz andern Sinn. Wozu also? fragen wir bei dieser flüchtigen Zusammen¬ stellung in Bausch und Bogen; oder um feiner mit dem Herausgeber zu reden: ob sie einen Zweck hat, steht dahin. ^ Der jährenden Schüler Liederbuch. Eine Auswahl der Vagantengesänge in modernen Übertragungen mit einer Einführung in das Wesen und die Poesie der „Fahrenden" von Karl Mischke. Berlin, P. Letto, 1893 Diese Übersetzungen sollen weitere Kreise mit den lateinischen Vagantenliedern der Stauferzeit bekannt machen, und diesen Zweck können sie wohl erfüllen. Der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/56>, abgerufen am 07.05.2024.