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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Harkort

ritz Harkort, geboren den 22. Janucir 1793, gestorben den
6. März 1880. ist ein solches Urbild eines echten deutschen
Mannes, daß wir es nicht versäumen dürfen, auf die unten ge¬
nannte ausführliche Lebensbeschreibung^) hinzuweisen, wenn wir
damit auch zu unserm großen Bedauern um drei Jahre zu spat
kommen. Wer weiß, ob seine Familie nicht seit Widukinds Zeiten auf dem
"stuhlfreien" Hofe Harkorten im Ennepethale zwischen Schwein, und Hagen
sitzt; über drei Jahrhunderte befindet sich der Hof nachweislich in ihrem Besitz.
Urwüchsig, und zwar ursächsisch, ist alles an ihr geblieben. Den Adel hat
mau ihr bis jetzt wohl nur darum nicht angeboten, weil man der Zurück¬
weisung gewiß war. Von Fritzens ältestem Bruder, der als Familienhaupt
Johann Kaspar V. hieß und wie der alte Vincke beim Ausgehen den blauen
Kittel über den Kleidern trug, erfuhr die erstaunte Welt erst nach seinem Tode,
daß er Kommerzienrat sei, und als Fritz nach der Krönung des Königs Wil¬
helm I. in Königsberg, gegen die er öffentlich Verwahrung eingelegt hatte,
zu aller Welt Überraschung den Roten Adlerorden dritter Klasse bekam, hatte
das Zurückschicken der Knopflochzier vierter Klasse seine Schwierigkeiten; nach
langem Suchen wurde sie gefunden -- in der Originalverpackung. Als jüngerer
Sohn war Fritz nach westfälischein Gewohnheitsrecht darauf angewiesen, sich
durchzuschlagen. Er lernte die Kaufmannschaft, fand aber kein Gefallen am
Schreibstubeulebeu und stürzte sich, nachdem er die Franzosen hatte verjagen
helfen, bis an sein Lebensende immer aus eiuer gewerblichen Unternehmung
in die andre. Jüngst ist in diesen Blättern behauptet worden, daß der Fort¬
schritt der Technik weder als Mittel noch als Anreiz großer Privatvermöge"
bedürfe. In Harkorts Leben und Wirken findet dieser Satz seine glänzendste
Bestätigung. Keinem Manne verdankt die deutsche Industrie so viel wie ihm;
und mit nichts hat dieser Mann angefangen, hat es zu nichts gebracht und



*) Der alte Harkort. Ein westfälisches Lebens- und Zeitbild. Bon L. Berger
(Mitten), M. d, A. Mit dem Bildnis Harkorts und Abbildungen seiner Grabstätte und des
Harkortdenkmals. (Der Reinertrag ist zur Uuterstichnug notleidender Lehrenvitwen bestimmt.)
Leipzig' I. Baedeker, 189".


Der alte Harkort

ritz Harkort, geboren den 22. Janucir 1793, gestorben den
6. März 1880. ist ein solches Urbild eines echten deutschen
Mannes, daß wir es nicht versäumen dürfen, auf die unten ge¬
nannte ausführliche Lebensbeschreibung^) hinzuweisen, wenn wir
damit auch zu unserm großen Bedauern um drei Jahre zu spat
kommen. Wer weiß, ob seine Familie nicht seit Widukinds Zeiten auf dem
„stuhlfreien" Hofe Harkorten im Ennepethale zwischen Schwein, und Hagen
sitzt; über drei Jahrhunderte befindet sich der Hof nachweislich in ihrem Besitz.
Urwüchsig, und zwar ursächsisch, ist alles an ihr geblieben. Den Adel hat
mau ihr bis jetzt wohl nur darum nicht angeboten, weil man der Zurück¬
weisung gewiß war. Von Fritzens ältestem Bruder, der als Familienhaupt
Johann Kaspar V. hieß und wie der alte Vincke beim Ausgehen den blauen
Kittel über den Kleidern trug, erfuhr die erstaunte Welt erst nach seinem Tode,
daß er Kommerzienrat sei, und als Fritz nach der Krönung des Königs Wil¬
helm I. in Königsberg, gegen die er öffentlich Verwahrung eingelegt hatte,
zu aller Welt Überraschung den Roten Adlerorden dritter Klasse bekam, hatte
das Zurückschicken der Knopflochzier vierter Klasse seine Schwierigkeiten; nach
langem Suchen wurde sie gefunden — in der Originalverpackung. Als jüngerer
Sohn war Fritz nach westfälischein Gewohnheitsrecht darauf angewiesen, sich
durchzuschlagen. Er lernte die Kaufmannschaft, fand aber kein Gefallen am
Schreibstubeulebeu und stürzte sich, nachdem er die Franzosen hatte verjagen
helfen, bis an sein Lebensende immer aus eiuer gewerblichen Unternehmung
in die andre. Jüngst ist in diesen Blättern behauptet worden, daß der Fort¬
schritt der Technik weder als Mittel noch als Anreiz großer Privatvermöge»
bedürfe. In Harkorts Leben und Wirken findet dieser Satz seine glänzendste
Bestätigung. Keinem Manne verdankt die deutsche Industrie so viel wie ihm;
und mit nichts hat dieser Mann angefangen, hat es zu nichts gebracht und



*) Der alte Harkort. Ein westfälisches Lebens- und Zeitbild. Bon L. Berger
(Mitten), M. d, A. Mit dem Bildnis Harkorts und Abbildungen seiner Grabstätte und des
Harkortdenkmals. (Der Reinertrag ist zur Uuterstichnug notleidender Lehrenvitwen bestimmt.)
Leipzig' I. Baedeker, 189».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/65>, abgerufen am 06.05.2024.