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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Vom Mittelpunkte des Unterrichts

tragsdelitten gehört, nicht allein der Ehebrecher, sondern auch die Ehebrecherin
fast immer straflos aus; andrerseits, daß es im Mittelalter alle Völker Europas
liebten, aus der Abstrafung von Verbrechern einen Ulk für die Straßenjugend
zu machen. Possenhafte Strafarten von der Art, wie sie hente nicht mehr
öffentlich erzählt werden können, kommen z. B. im indischen Rechte vor, und
in Italien mußte sich der Bankerottirer auf dem Markte einer höchst lächer¬
lichen und schimpflichen Zeremonie unterwerfen, ehe ihm der Akkord einge¬
händigt wurde. Daß Aristophanes die geschlechtlichen Verirrungen nicht beweinen,
sondern belachen ließ, gehörte zu seinem Handwerk als Komiker; man wird
daraus also schwerlich den Schluß ziehen dürfen, die Athener Hütten diese
Dinge leichtfertiger behandelt, als die Völker im Durchschnitt zu thun pflegen.
Puritaner allerdings lachen nicht über dergleichen, auch nicht in der Komödie;
aber die lachen überhaupt nicht und haben gar kein Lustspiel,

Die Charakteristik dieser Seite des athenischen Volkslebens würde unvoll¬
ständig bleiben, wenn wir nicht noch den edeln armen Landmmm erwähnten,
der die Elektra (in dem gleichnamigen Stück des Euripides) geheiratet hat,
uni sie deu Unbilden zu entziehen, denen sie im Hause ihres Stiefvaters aus¬
gesetzt gewesen ist, aber von seinem Gattcnrcchte keinen Gebrauch macht und
sie nicht berührt, damit sie später unentweiht einen ebenbürtigen Mann heiraten
könne. Wäre eine solche Handlungsweise ganz unerhört und undenkbar ge¬
wesen, so hätte sie Euripides weder ersinnen noch auf die Bühne bringen
können.




Orest

Was also thun wir? Wagen wir den Muttermord?

Elektra

Erbarme dich denn die Mutter, nnn du sie gesehn?

Orest

Weh!

Sie soll ich morden, die mich aufzog und gebar?

Elektra

So wie sie selbst den Bilder dir und mir erschlug.

Orest

Welch Wort des Wayues, Phoibos, scholl aus deinem Mund --

Elektrn

Doch ist Apollon thöricht, wer ist weise dann?

Orest

Das mir den Mord der Mutter -- welchen Greut! -- gebot!____
Ein böser Geist wohl sprach es, der dem Gotte glich.

Vom Mittelpunkte des Unterrichts

eutsch muß der Mittelpunkt unsers Schulunterrichts werden, das
wissen wir um beinahe seit drei Jahren. Und wenn der Glaube
eine gewisse Zuversicht des ist, das man hoffet, und nicht
zweifeln an dem, das man nicht siehet, so ist unser Glaube an
diesen zukünftigen Mittelpunkt echt. Ein starker Glaube aber
ist etwas wert zu Zeiten, wo die obersten Behörden vor lauter Entgegen¬
kommen nach vorn und hinten, nach oben und unten, nach rechts und links
gar nicht zum Handeln kommen. Möglich, daß ihnen auch von dem vielen
Drehen etwas wirblich geworden ist. Dennoch, die wichtige Frage der Lehrer¬
gehalte ist in Preußen glücklich gelöst worden, die noch wichtigere Frage der
gebührenden Titulaturen nicht minder: so wäre es um wohl an der Zeit,


Vom Mittelpunkte des Unterrichts

tragsdelitten gehört, nicht allein der Ehebrecher, sondern auch die Ehebrecherin
fast immer straflos aus; andrerseits, daß es im Mittelalter alle Völker Europas
liebten, aus der Abstrafung von Verbrechern einen Ulk für die Straßenjugend
zu machen. Possenhafte Strafarten von der Art, wie sie hente nicht mehr
öffentlich erzählt werden können, kommen z. B. im indischen Rechte vor, und
in Italien mußte sich der Bankerottirer auf dem Markte einer höchst lächer¬
lichen und schimpflichen Zeremonie unterwerfen, ehe ihm der Akkord einge¬
händigt wurde. Daß Aristophanes die geschlechtlichen Verirrungen nicht beweinen,
sondern belachen ließ, gehörte zu seinem Handwerk als Komiker; man wird
daraus also schwerlich den Schluß ziehen dürfen, die Athener Hütten diese
Dinge leichtfertiger behandelt, als die Völker im Durchschnitt zu thun pflegen.
Puritaner allerdings lachen nicht über dergleichen, auch nicht in der Komödie;
aber die lachen überhaupt nicht und haben gar kein Lustspiel,

Die Charakteristik dieser Seite des athenischen Volkslebens würde unvoll¬
ständig bleiben, wenn wir nicht noch den edeln armen Landmmm erwähnten,
der die Elektra (in dem gleichnamigen Stück des Euripides) geheiratet hat,
uni sie deu Unbilden zu entziehen, denen sie im Hause ihres Stiefvaters aus¬
gesetzt gewesen ist, aber von seinem Gattcnrcchte keinen Gebrauch macht und
sie nicht berührt, damit sie später unentweiht einen ebenbürtigen Mann heiraten
könne. Wäre eine solche Handlungsweise ganz unerhört und undenkbar ge¬
wesen, so hätte sie Euripides weder ersinnen noch auf die Bühne bringen
können.




Orest

Was also thun wir? Wagen wir den Muttermord?

Elektra

Erbarme dich denn die Mutter, nnn du sie gesehn?

Orest

Weh!

Sie soll ich morden, die mich aufzog und gebar?

Elektra

So wie sie selbst den Bilder dir und mir erschlug.

Orest

Welch Wort des Wayues, Phoibos, scholl aus deinem Mund —

Elektrn

Doch ist Apollon thöricht, wer ist weise dann?

Orest

Das mir den Mord der Mutter — welchen Greut! — gebot!____
Ein böser Geist wohl sprach es, der dem Gotte glich.

Vom Mittelpunkte des Unterrichts

eutsch muß der Mittelpunkt unsers Schulunterrichts werden, das
wissen wir um beinahe seit drei Jahren. Und wenn der Glaube
eine gewisse Zuversicht des ist, das man hoffet, und nicht
zweifeln an dem, das man nicht siehet, so ist unser Glaube an
diesen zukünftigen Mittelpunkt echt. Ein starker Glaube aber
ist etwas wert zu Zeiten, wo die obersten Behörden vor lauter Entgegen¬
kommen nach vorn und hinten, nach oben und unten, nach rechts und links
gar nicht zum Handeln kommen. Möglich, daß ihnen auch von dem vielen
Drehen etwas wirblich geworden ist. Dennoch, die wichtige Frage der Lehrer¬
gehalte ist in Preußen glücklich gelöst worden, die noch wichtigere Frage der
gebührenden Titulaturen nicht minder: so wäre es um wohl an der Zeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/222>, abgerufen am 07.05.2024.