Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Schwarzes Lret

Leute." Sie enthalten gute Beobachtungen namentlich des Kinderlebens in den
Thüringer Dllrfern und einige vortreffliche Einzelzüge, leiden aber in Erfindung
und Vortrag an einer Nüchternheit, die allzuoft in Plattheit umschlägt, um noch
als Verdienst gegenüber der überhitzten und überspannten Modernität geltend ge¬
macht werden zu können. Wer aber gerade in Thüringen Sommerfrische hält,
mag vielleicht an den anmutigern und wärmern Einzelheiten der Thüringer Dorf¬
geschichten Anteil genng nehmen, um sich über die Mängel hinwegzusetzen. An
Otto Ludwigs "Heiterethei" und ihre Meisterschaft darf er sich dabei freilich nicht
erinnern, wenn er in der glücklichen Lage ist, vergleichen zu können. Ist er es
nicht, so wird er gut thun, die "Neuheiten" der Novellistik überhaupt aus sich
beruhen zu lassen und zu einem guten alten Buche zu greifen.




schwarzes Bret

Seit mehreren Jahren empfehlen die Ärzte gegen Heiserkeit u. dergl. häufig Sodener
Pastillen. Die Heilkraft dieses Medikaments scheint jedoch weniger in den Salzen der So-
dener Quellen zu bestehen, als in der Form der Pastillen und in deren Verpackung. Denn
fortwährend kommen neue Sorten aus andern Fabriken und unter der Aufsicht andrer Ärzte,
offenbar auch mit verschiednen Bindemitteln bereitet, in den Handel; aber ihre Gestalt, die
Größe und die äußere und innere Ausstcittuug der Schachteln sind stets genau dieselben wie
bei den ersten. Aber diese haben ja eine eingetragne Schutzmarke, die nicht nachgemacht
werden darf? Allerdings, aber merkwürdigerweise ähneln auch diese einander ganz ausfallend,
man mochte feigen: zum Verwechseln. Die Wirkung beruht also doch wohl darauf, daß der
Leidende glaubt, die ursprünglichen Sodener Pastillen zu nehmen, wenn es auch in Wirk¬
lichkeit ganz andre sind!




An der Stelle, an der sonst Apostatas und später Calibaus scharfgewürzte Leitartikel
standen, brachte die "Gegenwart" in ihrer neuesten Nummer (vom 29. Juli) einen Beitrag
eines neuen Mitarbeiters. Schade, daß der Herr indeklinabel ist; in der Juhaltsnugabe an
der Spitze der Nummer heißt es nämlich: Die Annexion Siams von Timon der Jüngere.




Die französische Fragckonstruktion hat schon manchem mittelmäßigen Quartaner Kopf¬
zerbrechen gemacht. Auch für Universitätsprofessoren und Schnliuspektoren kaun es nur
nützlich sein, wenn sie diese Konstruktion recht häufig üben. Nur sollten sie ihre Beispiel¬
sätze dann nicht gerade, als Büchertitel verwenden, wie es Professor Strack in Berlin bei
seinem Schriftchen "Die Jude", dürfen sie "Verbrecher von Religionswegen" genannt werden?"
und Herr Schulinspektor Scherer bei seiner Broschüre "Die Simultauschulc, warum muß sie
die Schule der Zukunft sein?" gethan haben.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Schwarzes Lret

Leute." Sie enthalten gute Beobachtungen namentlich des Kinderlebens in den
Thüringer Dllrfern und einige vortreffliche Einzelzüge, leiden aber in Erfindung
und Vortrag an einer Nüchternheit, die allzuoft in Plattheit umschlägt, um noch
als Verdienst gegenüber der überhitzten und überspannten Modernität geltend ge¬
macht werden zu können. Wer aber gerade in Thüringen Sommerfrische hält,
mag vielleicht an den anmutigern und wärmern Einzelheiten der Thüringer Dorf¬
geschichten Anteil genng nehmen, um sich über die Mängel hinwegzusetzen. An
Otto Ludwigs „Heiterethei" und ihre Meisterschaft darf er sich dabei freilich nicht
erinnern, wenn er in der glücklichen Lage ist, vergleichen zu können. Ist er es
nicht, so wird er gut thun, die „Neuheiten" der Novellistik überhaupt aus sich
beruhen zu lassen und zu einem guten alten Buche zu greifen.




schwarzes Bret

Seit mehreren Jahren empfehlen die Ärzte gegen Heiserkeit u. dergl. häufig Sodener
Pastillen. Die Heilkraft dieses Medikaments scheint jedoch weniger in den Salzen der So-
dener Quellen zu bestehen, als in der Form der Pastillen und in deren Verpackung. Denn
fortwährend kommen neue Sorten aus andern Fabriken und unter der Aufsicht andrer Ärzte,
offenbar auch mit verschiednen Bindemitteln bereitet, in den Handel; aber ihre Gestalt, die
Größe und die äußere und innere Ausstcittuug der Schachteln sind stets genau dieselben wie
bei den ersten. Aber diese haben ja eine eingetragne Schutzmarke, die nicht nachgemacht
werden darf? Allerdings, aber merkwürdigerweise ähneln auch diese einander ganz ausfallend,
man mochte feigen: zum Verwechseln. Die Wirkung beruht also doch wohl darauf, daß der
Leidende glaubt, die ursprünglichen Sodener Pastillen zu nehmen, wenn es auch in Wirk¬
lichkeit ganz andre sind!




An der Stelle, an der sonst Apostatas und später Calibaus scharfgewürzte Leitartikel
standen, brachte die „Gegenwart" in ihrer neuesten Nummer (vom 29. Juli) einen Beitrag
eines neuen Mitarbeiters. Schade, daß der Herr indeklinabel ist; in der Juhaltsnugabe an
der Spitze der Nummer heißt es nämlich: Die Annexion Siams von Timon der Jüngere.




Die französische Fragckonstruktion hat schon manchem mittelmäßigen Quartaner Kopf¬
zerbrechen gemacht. Auch für Universitätsprofessoren und Schnliuspektoren kaun es nur
nützlich sein, wenn sie diese Konstruktion recht häufig üben. Nur sollten sie ihre Beispiel¬
sätze dann nicht gerade, als Büchertitel verwenden, wie es Professor Strack in Berlin bei
seinem Schriftchen „Die Jude», dürfen sie »Verbrecher von Religionswegen« genannt werden?"
und Herr Schulinspektor Scherer bei seiner Broschüre „Die Simultauschulc, warum muß sie
die Schule der Zukunft sein?" gethan haben.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215434"/>
            <fw type="header" place="top"> Schwarzes Lret</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1192" prev="#ID_1191"> Leute." Sie enthalten gute Beobachtungen namentlich des Kinderlebens in den<lb/>
Thüringer Dllrfern und einige vortreffliche Einzelzüge, leiden aber in Erfindung<lb/>
und Vortrag an einer Nüchternheit, die allzuoft in Plattheit umschlägt, um noch<lb/>
als Verdienst gegenüber der überhitzten und überspannten Modernität geltend ge¬<lb/>
macht werden zu können. Wer aber gerade in Thüringen Sommerfrische hält,<lb/>
mag vielleicht an den anmutigern und wärmern Einzelheiten der Thüringer Dorf¬<lb/>
geschichten Anteil genng nehmen, um sich über die Mängel hinwegzusetzen. An<lb/>
Otto Ludwigs &#x201E;Heiterethei" und ihre Meisterschaft darf er sich dabei freilich nicht<lb/>
erinnern, wenn er in der glücklichen Lage ist, vergleichen zu können. Ist er es<lb/>
nicht, so wird er gut thun, die &#x201E;Neuheiten" der Novellistik überhaupt aus sich<lb/>
beruhen zu lassen und zu einem guten alten Buche zu greifen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> schwarzes Bret</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1193"> Seit mehreren Jahren empfehlen die Ärzte gegen Heiserkeit u. dergl. häufig Sodener<lb/>
Pastillen. Die Heilkraft dieses Medikaments scheint jedoch weniger in den Salzen der So-<lb/>
dener Quellen zu bestehen, als in der Form der Pastillen und in deren Verpackung. Denn<lb/>
fortwährend kommen neue Sorten aus andern Fabriken und unter der Aufsicht andrer Ärzte,<lb/>
offenbar auch mit verschiednen Bindemitteln bereitet, in den Handel; aber ihre Gestalt, die<lb/>
Größe und die äußere und innere Ausstcittuug der Schachteln sind stets genau dieselben wie<lb/>
bei den ersten. Aber diese haben ja eine eingetragne Schutzmarke, die nicht nachgemacht<lb/>
werden darf? Allerdings, aber merkwürdigerweise ähneln auch diese einander ganz ausfallend,<lb/>
man mochte feigen: zum Verwechseln. Die Wirkung beruht also doch wohl darauf, daß der<lb/>
Leidende glaubt, die ursprünglichen Sodener Pastillen zu nehmen, wenn es auch in Wirk¬<lb/>
lichkeit ganz andre sind!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1194"> An der Stelle, an der sonst Apostatas und später Calibaus scharfgewürzte Leitartikel<lb/>
standen, brachte die &#x201E;Gegenwart" in ihrer neuesten Nummer (vom 29. Juli) einen Beitrag<lb/>
eines neuen Mitarbeiters. Schade, daß der Herr indeklinabel ist; in der Juhaltsnugabe an<lb/>
der Spitze der Nummer heißt es nämlich: Die Annexion Siams von Timon der Jüngere.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1195"> Die französische Fragckonstruktion hat schon manchem mittelmäßigen Quartaner Kopf¬<lb/>
zerbrechen gemacht. Auch für Universitätsprofessoren und Schnliuspektoren kaun es nur<lb/>
nützlich sein, wenn sie diese Konstruktion recht häufig üben. Nur sollten sie ihre Beispiel¬<lb/>
sätze dann nicht gerade, als Büchertitel verwenden, wie es Professor Strack in Berlin bei<lb/>
seinem Schriftchen &#x201E;Die Jude», dürfen sie »Verbrecher von Religionswegen« genannt werden?"<lb/>
und Herr Schulinspektor Scherer bei seiner Broschüre &#x201E;Die Simultauschulc, warum muß sie<lb/>
die Schule der Zukunft sein?" gethan haben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig<lb/>
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig &#x2014; Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] Schwarzes Lret Leute." Sie enthalten gute Beobachtungen namentlich des Kinderlebens in den Thüringer Dllrfern und einige vortreffliche Einzelzüge, leiden aber in Erfindung und Vortrag an einer Nüchternheit, die allzuoft in Plattheit umschlägt, um noch als Verdienst gegenüber der überhitzten und überspannten Modernität geltend ge¬ macht werden zu können. Wer aber gerade in Thüringen Sommerfrische hält, mag vielleicht an den anmutigern und wärmern Einzelheiten der Thüringer Dorf¬ geschichten Anteil genng nehmen, um sich über die Mängel hinwegzusetzen. An Otto Ludwigs „Heiterethei" und ihre Meisterschaft darf er sich dabei freilich nicht erinnern, wenn er in der glücklichen Lage ist, vergleichen zu können. Ist er es nicht, so wird er gut thun, die „Neuheiten" der Novellistik überhaupt aus sich beruhen zu lassen und zu einem guten alten Buche zu greifen. schwarzes Bret Seit mehreren Jahren empfehlen die Ärzte gegen Heiserkeit u. dergl. häufig Sodener Pastillen. Die Heilkraft dieses Medikaments scheint jedoch weniger in den Salzen der So- dener Quellen zu bestehen, als in der Form der Pastillen und in deren Verpackung. Denn fortwährend kommen neue Sorten aus andern Fabriken und unter der Aufsicht andrer Ärzte, offenbar auch mit verschiednen Bindemitteln bereitet, in den Handel; aber ihre Gestalt, die Größe und die äußere und innere Ausstcittuug der Schachteln sind stets genau dieselben wie bei den ersten. Aber diese haben ja eine eingetragne Schutzmarke, die nicht nachgemacht werden darf? Allerdings, aber merkwürdigerweise ähneln auch diese einander ganz ausfallend, man mochte feigen: zum Verwechseln. Die Wirkung beruht also doch wohl darauf, daß der Leidende glaubt, die ursprünglichen Sodener Pastillen zu nehmen, wenn es auch in Wirk¬ lichkeit ganz andre sind! An der Stelle, an der sonst Apostatas und später Calibaus scharfgewürzte Leitartikel standen, brachte die „Gegenwart" in ihrer neuesten Nummer (vom 29. Juli) einen Beitrag eines neuen Mitarbeiters. Schade, daß der Herr indeklinabel ist; in der Juhaltsnugabe an der Spitze der Nummer heißt es nämlich: Die Annexion Siams von Timon der Jüngere. Die französische Fragckonstruktion hat schon manchem mittelmäßigen Quartaner Kopf¬ zerbrechen gemacht. Auch für Universitätsprofessoren und Schnliuspektoren kaun es nur nützlich sein, wenn sie diese Konstruktion recht häufig üben. Nur sollten sie ihre Beispiel¬ sätze dann nicht gerade, als Büchertitel verwenden, wie es Professor Strack in Berlin bei seinem Schriftchen „Die Jude», dürfen sie »Verbrecher von Religionswegen« genannt werden?" und Herr Schulinspektor Scherer bei seiner Broschüre „Die Simultauschulc, warum muß sie die Schule der Zukunft sein?" gethan haben. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/344>, abgerufen am 07.05.2024.