Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Teuer und wohlfeil

MKir haben kürzlich (in dem Artikel "Zur Silberfrage") die Klage
der Bimetcillisten über den angeblichen Preisfall aller oder vieler
Waren erwähnt und schon bemerkt, daß die Zurückführung dieser
Erscheinung auf die Goldwährung samt der Klage darüber der
merkantilistischen Überschätzung des Goldes entsprächen; spricht
doch Vever in der dort kritisirten Schrift von einem "ungeheuern Weltvermögens-
verlnste." Als ob die Menschheit dadurch ärmer würde, daß die Nahrungs¬
mittel billig werden! Und als ob sie reich wäre, wenn sie in einer Teuerung
Hungers stirbt! Im Gegenteil, im ersten Falle würde sie reicher werden. Denn,
wie der alte Adam Smith gesagt hat, ein Volk ist reich oder arm, je nachdem
es viel oder wenig Güter zu verbrauchen und zu genießen hat. Der Reichtum
eines Volkes ist nicht nach seinem Kapitalbesitz zu berechnen, der unsicher und
teilweise eine imaginäre Größe ist, sondern nach seinem Einkommen. Dieses Ein¬
kommen aber besteht, wie Smith klar gemacht hat, nicht in dem Gelde, das
ein Volk, ein Mensch einnimmt, sondern in den Gütern, die er oder es dafür
eintauscht oder -- falls das Geld gespart wird -- später einmal dafür ein¬
tauschen kann. Weit entfernt davon, daß das Einkommen im Gelde bestünde,
kann das Geld niemals anch nur den kleinsten Teil des Einkommens aus¬
machen.") Denn wenn ein Mann jährlich 1000 Mark einnimmt und verbraucht,
so besteht doch sein Einkommen nicht in 1000 Mark in Geld 1000 Mark
in Gütern -- dann bezöge er ja 2000 Mark --, sondern nur in dem einen
oder in dem andern, und da das Geld nur deu Zweck hat, ihm Güter zu
vermitteln, so muß deren Summe als das eigentliche und wirkliche Einkommen
betrachtet werden. Dazu kommt dann noch der Umstand, daß die Glieder eines
Volks niemals so viele verschiedne Geldstücke beziehen, als die Summe ihrer
Einkommen beträgt; so viel Gold und Silber giebt es gar nicht. Sondern
ein und dasselbe Thalerstück verrichtet im Laufe eines Jahres bei vielen, viel¬
leicht bei hundert und mehr Personen seinen Dienst als Einkommenvermittler



Dagegen bildet der Edelmctnllschatz eines Volks -- lagerndes und in Geldform nm-
lcmsendes Metall zusammengerechnet -- allerdings einen Teil des Bolksvermvgens, aber
keinen sehr bedeutenden.


Teuer und wohlfeil

MKir haben kürzlich (in dem Artikel „Zur Silberfrage") die Klage
der Bimetcillisten über den angeblichen Preisfall aller oder vieler
Waren erwähnt und schon bemerkt, daß die Zurückführung dieser
Erscheinung auf die Goldwährung samt der Klage darüber der
merkantilistischen Überschätzung des Goldes entsprächen; spricht
doch Vever in der dort kritisirten Schrift von einem „ungeheuern Weltvermögens-
verlnste." Als ob die Menschheit dadurch ärmer würde, daß die Nahrungs¬
mittel billig werden! Und als ob sie reich wäre, wenn sie in einer Teuerung
Hungers stirbt! Im Gegenteil, im ersten Falle würde sie reicher werden. Denn,
wie der alte Adam Smith gesagt hat, ein Volk ist reich oder arm, je nachdem
es viel oder wenig Güter zu verbrauchen und zu genießen hat. Der Reichtum
eines Volkes ist nicht nach seinem Kapitalbesitz zu berechnen, der unsicher und
teilweise eine imaginäre Größe ist, sondern nach seinem Einkommen. Dieses Ein¬
kommen aber besteht, wie Smith klar gemacht hat, nicht in dem Gelde, das
ein Volk, ein Mensch einnimmt, sondern in den Gütern, die er oder es dafür
eintauscht oder — falls das Geld gespart wird — später einmal dafür ein¬
tauschen kann. Weit entfernt davon, daß das Einkommen im Gelde bestünde,
kann das Geld niemals anch nur den kleinsten Teil des Einkommens aus¬
machen.") Denn wenn ein Mann jährlich 1000 Mark einnimmt und verbraucht,
so besteht doch sein Einkommen nicht in 1000 Mark in Geld 1000 Mark
in Gütern — dann bezöge er ja 2000 Mark —, sondern nur in dem einen
oder in dem andern, und da das Geld nur deu Zweck hat, ihm Güter zu
vermitteln, so muß deren Summe als das eigentliche und wirkliche Einkommen
betrachtet werden. Dazu kommt dann noch der Umstand, daß die Glieder eines
Volks niemals so viele verschiedne Geldstücke beziehen, als die Summe ihrer
Einkommen beträgt; so viel Gold und Silber giebt es gar nicht. Sondern
ein und dasselbe Thalerstück verrichtet im Laufe eines Jahres bei vielen, viel¬
leicht bei hundert und mehr Personen seinen Dienst als Einkommenvermittler



Dagegen bildet der Edelmctnllschatz eines Volks — lagerndes und in Geldform nm-
lcmsendes Metall zusammengerechnet — allerdings einen Teil des Bolksvermvgens, aber
keinen sehr bedeutenden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215686"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341857_215089/figures/grenzboten_341857_215089_215686_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Teuer und wohlfeil</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2030" next="#ID_2031"> MKir haben kürzlich (in dem Artikel &#x201E;Zur Silberfrage") die Klage<lb/>
der Bimetcillisten über den angeblichen Preisfall aller oder vieler<lb/>
Waren erwähnt und schon bemerkt, daß die Zurückführung dieser<lb/>
Erscheinung auf die Goldwährung samt der Klage darüber der<lb/>
merkantilistischen Überschätzung des Goldes entsprächen; spricht<lb/>
doch Vever in der dort kritisirten Schrift von einem &#x201E;ungeheuern Weltvermögens-<lb/>
verlnste." Als ob die Menschheit dadurch ärmer würde, daß die Nahrungs¬<lb/>
mittel billig werden! Und als ob sie reich wäre, wenn sie in einer Teuerung<lb/>
Hungers stirbt! Im Gegenteil, im ersten Falle würde sie reicher werden. Denn,<lb/>
wie der alte Adam Smith gesagt hat, ein Volk ist reich oder arm, je nachdem<lb/>
es viel oder wenig Güter zu verbrauchen und zu genießen hat. Der Reichtum<lb/>
eines Volkes ist nicht nach seinem Kapitalbesitz zu berechnen, der unsicher und<lb/>
teilweise eine imaginäre Größe ist, sondern nach seinem Einkommen. Dieses Ein¬<lb/>
kommen aber besteht, wie Smith klar gemacht hat, nicht in dem Gelde, das<lb/>
ein Volk, ein Mensch einnimmt, sondern in den Gütern, die er oder es dafür<lb/>
eintauscht oder &#x2014; falls das Geld gespart wird &#x2014; später einmal dafür ein¬<lb/>
tauschen kann. Weit entfernt davon, daß das Einkommen im Gelde bestünde,<lb/>
kann das Geld niemals anch nur den kleinsten Teil des Einkommens aus¬<lb/>
machen.") Denn wenn ein Mann jährlich 1000 Mark einnimmt und verbraucht,<lb/>
so besteht doch sein Einkommen nicht in 1000 Mark in Geld 1000 Mark<lb/>
in Gütern &#x2014; dann bezöge er ja 2000 Mark &#x2014;, sondern nur in dem einen<lb/>
oder in dem andern, und da das Geld nur deu Zweck hat, ihm Güter zu<lb/>
vermitteln, so muß deren Summe als das eigentliche und wirkliche Einkommen<lb/>
betrachtet werden. Dazu kommt dann noch der Umstand, daß die Glieder eines<lb/>
Volks niemals so viele verschiedne Geldstücke beziehen, als die Summe ihrer<lb/>
Einkommen beträgt; so viel Gold und Silber giebt es gar nicht. Sondern<lb/>
ein und dasselbe Thalerstück verrichtet im Laufe eines Jahres bei vielen, viel¬<lb/>
leicht bei hundert und mehr Personen seinen Dienst als Einkommenvermittler</p><lb/>
          <note xml:id="FID_79" place="foot"> Dagegen bildet der Edelmctnllschatz eines Volks &#x2014; lagerndes und in Geldform nm-<lb/>
lcmsendes Metall zusammengerechnet &#x2014; allerdings einen Teil des Bolksvermvgens, aber<lb/>
keinen sehr bedeutenden.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] [Abbildung] Teuer und wohlfeil MKir haben kürzlich (in dem Artikel „Zur Silberfrage") die Klage der Bimetcillisten über den angeblichen Preisfall aller oder vieler Waren erwähnt und schon bemerkt, daß die Zurückführung dieser Erscheinung auf die Goldwährung samt der Klage darüber der merkantilistischen Überschätzung des Goldes entsprächen; spricht doch Vever in der dort kritisirten Schrift von einem „ungeheuern Weltvermögens- verlnste." Als ob die Menschheit dadurch ärmer würde, daß die Nahrungs¬ mittel billig werden! Und als ob sie reich wäre, wenn sie in einer Teuerung Hungers stirbt! Im Gegenteil, im ersten Falle würde sie reicher werden. Denn, wie der alte Adam Smith gesagt hat, ein Volk ist reich oder arm, je nachdem es viel oder wenig Güter zu verbrauchen und zu genießen hat. Der Reichtum eines Volkes ist nicht nach seinem Kapitalbesitz zu berechnen, der unsicher und teilweise eine imaginäre Größe ist, sondern nach seinem Einkommen. Dieses Ein¬ kommen aber besteht, wie Smith klar gemacht hat, nicht in dem Gelde, das ein Volk, ein Mensch einnimmt, sondern in den Gütern, die er oder es dafür eintauscht oder — falls das Geld gespart wird — später einmal dafür ein¬ tauschen kann. Weit entfernt davon, daß das Einkommen im Gelde bestünde, kann das Geld niemals anch nur den kleinsten Teil des Einkommens aus¬ machen.") Denn wenn ein Mann jährlich 1000 Mark einnimmt und verbraucht, so besteht doch sein Einkommen nicht in 1000 Mark in Geld 1000 Mark in Gütern — dann bezöge er ja 2000 Mark —, sondern nur in dem einen oder in dem andern, und da das Geld nur deu Zweck hat, ihm Güter zu vermitteln, so muß deren Summe als das eigentliche und wirkliche Einkommen betrachtet werden. Dazu kommt dann noch der Umstand, daß die Glieder eines Volks niemals so viele verschiedne Geldstücke beziehen, als die Summe ihrer Einkommen beträgt; so viel Gold und Silber giebt es gar nicht. Sondern ein und dasselbe Thalerstück verrichtet im Laufe eines Jahres bei vielen, viel¬ leicht bei hundert und mehr Personen seinen Dienst als Einkommenvermittler Dagegen bildet der Edelmctnllschatz eines Volks — lagerndes und in Geldform nm- lcmsendes Metall zusammengerechnet — allerdings einen Teil des Bolksvermvgens, aber keinen sehr bedeutenden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/596>, abgerufen am 08.05.2024.