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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland und das Mittelmeer

zum mindesten das Verdienst des Königs Albert. Das Gefühl, das jetzt in,
sächsischen Volke lebt, ist kein Partikularismus mehr. Die Sachsen sind in
ihrer ungeheuern Mehrheit stolz auf ihre Eigenart und wollen sie behaupten,
sie wollen keine einheitsstaatliche Zentralisation und ebenso wenig eine Zen-
tralisation des geistigen Lebens; sie hängen an ihrem Herrscherhause und em¬
pfinden freudige Genugthuung über die glänzende Stellung ihres Königs, sie
sind durchaus zufrieden mit ihrer Verwaltung, die so wohlmeinend und um¬
sichtig ist, wie man es billigerweise nur verlangen kann, und sie sehen auch
darin, so wenig das äußerlich hervortreten mag, das Walten ihres Königs, der
immer fest und wohlwollend, mit dem vielseitigsten Interesse und sicherm Blick
und doch mit weiser Zurückhaltung die Dinge lenkt. Solche Gesinnung ist
kein Partikularismus, sondern deutsche Treue und die echt deutsche Liebe zur
Heimat, die wir nicht dahin geben mögen um einer mechanischen Einheit
willen, und die sich mit einer entschiednen deutschnationalen Gesinnung sehr
wohl verträgt. Das lange Zeit als ein Hemmnis der deutschen Einheits¬
bestrebungen verschrieene Sachsen, dem der Übergang in die neuen Verhältnisse
nicht immer leicht gemacht worden ist, ist jetzt eine der besten Stützen des
deutschen Reichsgedankens.




Deutschland und das Mittelmeer

in großer Zug in der Geschichte des letzten Drittels des neun¬
zehnten Jahrhunderts ist das Wiederhervortreten des Mittel¬
ländischen Meeres am politischen Horizont Europas. So lange
Italien zersplittert war, die Türkei mächtig auf den kleinen
Stämmen Südosteuropas lastete, Frankreich seine Stellung in
Algerien gegen innere Feinde zu befestigen hatte, Österreich ein zurückgezognes
Leben in seiner Adria führte und vor allem das Mittelmeer selbst nichts als
eine Sackgasse, ein unselbständiges Anhängsel des Ozeans war, war es po¬
litisch nur ein großer See. Auch wirtschaftlich hatte es keine von den großen
Wirkungen eines Ozeans auf seine Uferstaaten. England besorgte den großen
Verkehr der Halbinseln und Inseln, an deren politischer Zersplitterung und
Ohnmacht es seine größte Freude hatte, und sür den kleinen Verkehr ar¬
beiteten kleine Flotten kleiner Schiffe, deren nautische Kunst sich oft nicht weit
von der der Phönizier entfernte. Gleich diesen hatten sie auch die Angriffe
der barbareskischen Seeräuber zu fürchten, deren Thaten und seltene Nieder-


Deutschland und das Mittelmeer

zum mindesten das Verdienst des Königs Albert. Das Gefühl, das jetzt in,
sächsischen Volke lebt, ist kein Partikularismus mehr. Die Sachsen sind in
ihrer ungeheuern Mehrheit stolz auf ihre Eigenart und wollen sie behaupten,
sie wollen keine einheitsstaatliche Zentralisation und ebenso wenig eine Zen-
tralisation des geistigen Lebens; sie hängen an ihrem Herrscherhause und em¬
pfinden freudige Genugthuung über die glänzende Stellung ihres Königs, sie
sind durchaus zufrieden mit ihrer Verwaltung, die so wohlmeinend und um¬
sichtig ist, wie man es billigerweise nur verlangen kann, und sie sehen auch
darin, so wenig das äußerlich hervortreten mag, das Walten ihres Königs, der
immer fest und wohlwollend, mit dem vielseitigsten Interesse und sicherm Blick
und doch mit weiser Zurückhaltung die Dinge lenkt. Solche Gesinnung ist
kein Partikularismus, sondern deutsche Treue und die echt deutsche Liebe zur
Heimat, die wir nicht dahin geben mögen um einer mechanischen Einheit
willen, und die sich mit einer entschiednen deutschnationalen Gesinnung sehr
wohl verträgt. Das lange Zeit als ein Hemmnis der deutschen Einheits¬
bestrebungen verschrieene Sachsen, dem der Übergang in die neuen Verhältnisse
nicht immer leicht gemacht worden ist, ist jetzt eine der besten Stützen des
deutschen Reichsgedankens.




Deutschland und das Mittelmeer

in großer Zug in der Geschichte des letzten Drittels des neun¬
zehnten Jahrhunderts ist das Wiederhervortreten des Mittel¬
ländischen Meeres am politischen Horizont Europas. So lange
Italien zersplittert war, die Türkei mächtig auf den kleinen
Stämmen Südosteuropas lastete, Frankreich seine Stellung in
Algerien gegen innere Feinde zu befestigen hatte, Österreich ein zurückgezognes
Leben in seiner Adria führte und vor allem das Mittelmeer selbst nichts als
eine Sackgasse, ein unselbständiges Anhängsel des Ozeans war, war es po¬
litisch nur ein großer See. Auch wirtschaftlich hatte es keine von den großen
Wirkungen eines Ozeans auf seine Uferstaaten. England besorgte den großen
Verkehr der Halbinseln und Inseln, an deren politischer Zersplitterung und
Ohnmacht es seine größte Freude hatte, und sür den kleinen Verkehr ar¬
beiteten kleine Flotten kleiner Schiffe, deren nautische Kunst sich oft nicht weit
von der der Phönizier entfernte. Gleich diesen hatten sie auch die Angriffe
der barbareskischen Seeräuber zu fürchten, deren Thaten und seltene Nieder-


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[0204] Deutschland und das Mittelmeer zum mindesten das Verdienst des Königs Albert. Das Gefühl, das jetzt in, sächsischen Volke lebt, ist kein Partikularismus mehr. Die Sachsen sind in ihrer ungeheuern Mehrheit stolz auf ihre Eigenart und wollen sie behaupten, sie wollen keine einheitsstaatliche Zentralisation und ebenso wenig eine Zen- tralisation des geistigen Lebens; sie hängen an ihrem Herrscherhause und em¬ pfinden freudige Genugthuung über die glänzende Stellung ihres Königs, sie sind durchaus zufrieden mit ihrer Verwaltung, die so wohlmeinend und um¬ sichtig ist, wie man es billigerweise nur verlangen kann, und sie sehen auch darin, so wenig das äußerlich hervortreten mag, das Walten ihres Königs, der immer fest und wohlwollend, mit dem vielseitigsten Interesse und sicherm Blick und doch mit weiser Zurückhaltung die Dinge lenkt. Solche Gesinnung ist kein Partikularismus, sondern deutsche Treue und die echt deutsche Liebe zur Heimat, die wir nicht dahin geben mögen um einer mechanischen Einheit willen, und die sich mit einer entschiednen deutschnationalen Gesinnung sehr wohl verträgt. Das lange Zeit als ein Hemmnis der deutschen Einheits¬ bestrebungen verschrieene Sachsen, dem der Übergang in die neuen Verhältnisse nicht immer leicht gemacht worden ist, ist jetzt eine der besten Stützen des deutschen Reichsgedankens. Deutschland und das Mittelmeer in großer Zug in der Geschichte des letzten Drittels des neun¬ zehnten Jahrhunderts ist das Wiederhervortreten des Mittel¬ ländischen Meeres am politischen Horizont Europas. So lange Italien zersplittert war, die Türkei mächtig auf den kleinen Stämmen Südosteuropas lastete, Frankreich seine Stellung in Algerien gegen innere Feinde zu befestigen hatte, Österreich ein zurückgezognes Leben in seiner Adria führte und vor allem das Mittelmeer selbst nichts als eine Sackgasse, ein unselbständiges Anhängsel des Ozeans war, war es po¬ litisch nur ein großer See. Auch wirtschaftlich hatte es keine von den großen Wirkungen eines Ozeans auf seine Uferstaaten. England besorgte den großen Verkehr der Halbinseln und Inseln, an deren politischer Zersplitterung und Ohnmacht es seine größte Freude hatte, und sür den kleinen Verkehr ar¬ beiteten kleine Flotten kleiner Schiffe, deren nautische Kunst sich oft nicht weit von der der Phönizier entfernte. Gleich diesen hatten sie auch die Angriffe der barbareskischen Seeräuber zu fürchten, deren Thaten und seltene Nieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/204>, abgerufen am 04.05.2024.