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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Flüchtlinge

sehn mag, überfüllt, in andern fehlt es an Kräften, die Überzahl der mit Sti¬
pendien reich gesegneten höhern Bildungsanstalten produzirt immer mehr Halb¬
gebildete und Unzufriedne. Die wirklich bedeutende Kraft hat sich wohl noch
immer selbst durch- und emporgearbeitet, und es ist kein Unglück, wenn der
Geschäftsmann, der Landwirt, der Handwerker, die vielleicht in ihren Jugend-
jnhreu künstlerische oder litterarische Neigungen verraten haben, diesen die Frei¬
stunden nach des Tages Arbeit widmen, ohne deshalb produktiv auftreten,
den Bilder- und Buchermarkt beschicken zu wollen. In dieser Beziehung können
wir mit Neid ans England und Frankreich blicken, wo der Bürgerstand eine
viel geachtetere Stellung einnimmt, der alberne Gelehrten- und Künstlerhoch¬
wut nicht so überwuchert, wie bei uns.




Die Flüchtlinge
Line Geschichte von der Landstraße
Avrtschnng)
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in andern Tage mußten sie es schon als ein Glück ansehen, daß sie
in der Herberge Aufnahme gefunden hatten, Franz war erkrankt,
er lag in starkem Fieber und fühlte sich unfähig, aufzustehen. Der
Jammer, den er so lange still getragen hatte, war über ihn Herr
geworden. Das war ein schwerer Schlag für sie: sie mußte" sich
nnn darauf einrichten, einige Zeit an diesem Orte zu verweilen.

Tagsüber War es in dem Hanse noch erträglich, aber der Abend wurde den
beiden schrecklich, da sie kein Licht in ihr Zimmer bekamen. Sobald der .'.corgei,
aufdämmerte, stören die meisten Kunden aus. um in irgend einer Dorfschaft ent¬
fallen: sie . gingen ans die Fahrt." bettelten den Bauer an, den Kaffer; aber
Ueber noch hatten sie es mit den gutherzigen Bäuerinnen, den .Msferuuhen, zu thu".
Das weibliche ,5erz konnte unmöglich lange denk Anblick von soviel Kammer, den.
Ansturm von soviel klagenden und schmeichlerischen Worten widerstehen ^

Einige hattet, weniger ans der Bcttelfahrt als im Finden Glück. Es war
wunderbar, was man alles auf der Straße finden konnte: Uhren. Talgltchter.
Tabaksdosen Pflaumenmus, Stiefel und vieles andre fand bald dieser, bald heuer.
"ut soweit er die Gegenstände nicht selbst gebrauchen konnte, verkaufte er sie abends
"uf der Herberge an unternehmende kleine Geschäftsleute. Es war daher eme be¬
liebte, inmicr mit Heiterkeit anfgenommne Frage unter den Kunden: Ja Junge,
wem hast du denn das weggefunden?

So sahen die Flüchtlinge bei den Menschen, die nunmehr ihre Umgebung
bildeten, öfter Geld in Fülle, während sie selbst allmählich Mangel litten und


Die Flüchtlinge

sehn mag, überfüllt, in andern fehlt es an Kräften, die Überzahl der mit Sti¬
pendien reich gesegneten höhern Bildungsanstalten produzirt immer mehr Halb¬
gebildete und Unzufriedne. Die wirklich bedeutende Kraft hat sich wohl noch
immer selbst durch- und emporgearbeitet, und es ist kein Unglück, wenn der
Geschäftsmann, der Landwirt, der Handwerker, die vielleicht in ihren Jugend-
jnhreu künstlerische oder litterarische Neigungen verraten haben, diesen die Frei¬
stunden nach des Tages Arbeit widmen, ohne deshalb produktiv auftreten,
den Bilder- und Buchermarkt beschicken zu wollen. In dieser Beziehung können
wir mit Neid ans England und Frankreich blicken, wo der Bürgerstand eine
viel geachtetere Stellung einnimmt, der alberne Gelehrten- und Künstlerhoch¬
wut nicht so überwuchert, wie bei uns.




Die Flüchtlinge
Line Geschichte von der Landstraße
Avrtschnng)
7

in andern Tage mußten sie es schon als ein Glück ansehen, daß sie
in der Herberge Aufnahme gefunden hatten, Franz war erkrankt,
er lag in starkem Fieber und fühlte sich unfähig, aufzustehen. Der
Jammer, den er so lange still getragen hatte, war über ihn Herr
geworden. Das war ein schwerer Schlag für sie: sie mußte» sich
nnn darauf einrichten, einige Zeit an diesem Orte zu verweilen.

Tagsüber War es in dem Hanse noch erträglich, aber der Abend wurde den
beiden schrecklich, da sie kein Licht in ihr Zimmer bekamen. Sobald der .'.corgei,
aufdämmerte, stören die meisten Kunden aus. um in irgend einer Dorfschaft ent¬
fallen: sie . gingen ans die Fahrt." bettelten den Bauer an, den Kaffer; aber
Ueber noch hatten sie es mit den gutherzigen Bäuerinnen, den .Msferuuhen, zu thu».
Das weibliche ,5erz konnte unmöglich lange denk Anblick von soviel Kammer, den.
Ansturm von soviel klagenden und schmeichlerischen Worten widerstehen ^

Einige hattet, weniger ans der Bcttelfahrt als im Finden Glück. Es war
wunderbar, was man alles auf der Straße finden konnte: Uhren. Talgltchter.
Tabaksdosen Pflaumenmus, Stiefel und vieles andre fand bald dieser, bald heuer.
"ut soweit er die Gegenstände nicht selbst gebrauchen konnte, verkaufte er sie abends
"uf der Herberge an unternehmende kleine Geschäftsleute. Es war daher eme be¬
liebte, inmicr mit Heiterkeit anfgenommne Frage unter den Kunden: Ja Junge,
wem hast du denn das weggefunden?

So sahen die Flüchtlinge bei den Menschen, die nunmehr ihre Umgebung
bildeten, öfter Geld in Fülle, während sie selbst allmählich Mangel litten und


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[0487] Die Flüchtlinge sehn mag, überfüllt, in andern fehlt es an Kräften, die Überzahl der mit Sti¬ pendien reich gesegneten höhern Bildungsanstalten produzirt immer mehr Halb¬ gebildete und Unzufriedne. Die wirklich bedeutende Kraft hat sich wohl noch immer selbst durch- und emporgearbeitet, und es ist kein Unglück, wenn der Geschäftsmann, der Landwirt, der Handwerker, die vielleicht in ihren Jugend- jnhreu künstlerische oder litterarische Neigungen verraten haben, diesen die Frei¬ stunden nach des Tages Arbeit widmen, ohne deshalb produktiv auftreten, den Bilder- und Buchermarkt beschicken zu wollen. In dieser Beziehung können wir mit Neid ans England und Frankreich blicken, wo der Bürgerstand eine viel geachtetere Stellung einnimmt, der alberne Gelehrten- und Künstlerhoch¬ wut nicht so überwuchert, wie bei uns. Die Flüchtlinge Line Geschichte von der Landstraße Avrtschnng) 7 in andern Tage mußten sie es schon als ein Glück ansehen, daß sie in der Herberge Aufnahme gefunden hatten, Franz war erkrankt, er lag in starkem Fieber und fühlte sich unfähig, aufzustehen. Der Jammer, den er so lange still getragen hatte, war über ihn Herr geworden. Das war ein schwerer Schlag für sie: sie mußte» sich nnn darauf einrichten, einige Zeit an diesem Orte zu verweilen. Tagsüber War es in dem Hanse noch erträglich, aber der Abend wurde den beiden schrecklich, da sie kein Licht in ihr Zimmer bekamen. Sobald der .'.corgei, aufdämmerte, stören die meisten Kunden aus. um in irgend einer Dorfschaft ent¬ fallen: sie . gingen ans die Fahrt." bettelten den Bauer an, den Kaffer; aber Ueber noch hatten sie es mit den gutherzigen Bäuerinnen, den .Msferuuhen, zu thu». Das weibliche ,5erz konnte unmöglich lange denk Anblick von soviel Kammer, den. Ansturm von soviel klagenden und schmeichlerischen Worten widerstehen ^ Einige hattet, weniger ans der Bcttelfahrt als im Finden Glück. Es war wunderbar, was man alles auf der Straße finden konnte: Uhren. Talgltchter. Tabaksdosen Pflaumenmus, Stiefel und vieles andre fand bald dieser, bald heuer. "ut soweit er die Gegenstände nicht selbst gebrauchen konnte, verkaufte er sie abends "uf der Herberge an unternehmende kleine Geschäftsleute. Es war daher eme be¬ liebte, inmicr mit Heiterkeit anfgenommne Frage unter den Kunden: Ja Junge, wem hast du denn das weggefunden? So sahen die Flüchtlinge bei den Menschen, die nunmehr ihre Umgebung bildeten, öfter Geld in Fülle, während sie selbst allmählich Mangel litten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/487>, abgerufen am 04.05.2024.