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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

wir auch hier, cui hano Julius Hart diese seine Liebesgeschichte verbrochen
hat, sollte da nicht die Antwort einfach in folgendem zu finden sein? Leute,
die es wissen können, behaupten, daß wieder einmal ein tiefes Sehnen nach
Erlösung durch die Seele der Menschheit ziehe. Da, wo frisch und fröhlich
gearbeitet wird, merkt man freilich wenig oder nichts davon. Wohl aber giebt
es viele Menschen, denen im Wohlleben jede Lust und Fähigkeit zum Arbeiten
verloren gegangen ist. Die Weiber wollen ihre Kinder nicht mehr selber er¬
nähren, die Männer sie nicht mehr erziehen. Genuß ist die Losung. Aber
wenn man nur ihn sucht, so ist man bald am Ende damit. Wenn dann inner¬
halb der Grenzen der Erde nichts mehr ist, was die tötende Langeweile zu
bannen vermag, dann beginnt man jenseits zu suchen. Diesen Leuten, die den
Himmel bald ebenso veröden würden, wie sie die Welt wüste legen, ist jeder
willkommen, der ihnen auch uur die geringste Aussicht eröffnet, in den abge¬
töteten Nerven den Kitzel wieder beleben zu können. Ist hier nichts mehr,
giebts vielleicht drüben etwas. Ich will nicht behaupten, daß Julius Hart
für diese Menschen geschrieben habe, aber sein Publikum wird er unter ihnen
und nur unter ihnen finden.




Die Münchner Ausstellungen
M, G, Zinnnermann von (Schluß)

MWle Pariser sind auch die einzigen ausländischen Künstler, die
in größerer Zahl bei den Sezessionisten vertreten 'sind. Ihre
Ausstellung ist reich genug, dem Besucher ein Gesamtbild von
dem Schaffen der Pariser Sezession zu geben; eine große
Anzahl ihrer besten Werke ist nach Schluß des Marsfeld¬
salons nach München gekommen. Für die Münchner Sezessionisten kann
diese Pariser Ausstellung nur von Vorteil sein, denn sie zeigt, was ihnen
noch fehlt: gediegnes Studium, einfache Größe, Geschmack und Poesie.
Ausschreitungen kommen freilich auch bei den Parisern vor. Raffaellis Ge¬
mälde wollen wie Kohlenzeichnungen wirken, die mit Buntstift kolorirt sind,
Henri Martin, dem monumentale Größe der Form und Tiefe der Auffassung
zu Gebote stehen, malt, als wären die Farben auf rauhes Mauerwerk auf-


Die Münchner Ausstellungen

wir auch hier, cui hano Julius Hart diese seine Liebesgeschichte verbrochen
hat, sollte da nicht die Antwort einfach in folgendem zu finden sein? Leute,
die es wissen können, behaupten, daß wieder einmal ein tiefes Sehnen nach
Erlösung durch die Seele der Menschheit ziehe. Da, wo frisch und fröhlich
gearbeitet wird, merkt man freilich wenig oder nichts davon. Wohl aber giebt
es viele Menschen, denen im Wohlleben jede Lust und Fähigkeit zum Arbeiten
verloren gegangen ist. Die Weiber wollen ihre Kinder nicht mehr selber er¬
nähren, die Männer sie nicht mehr erziehen. Genuß ist die Losung. Aber
wenn man nur ihn sucht, so ist man bald am Ende damit. Wenn dann inner¬
halb der Grenzen der Erde nichts mehr ist, was die tötende Langeweile zu
bannen vermag, dann beginnt man jenseits zu suchen. Diesen Leuten, die den
Himmel bald ebenso veröden würden, wie sie die Welt wüste legen, ist jeder
willkommen, der ihnen auch uur die geringste Aussicht eröffnet, in den abge¬
töteten Nerven den Kitzel wieder beleben zu können. Ist hier nichts mehr,
giebts vielleicht drüben etwas. Ich will nicht behaupten, daß Julius Hart
für diese Menschen geschrieben habe, aber sein Publikum wird er unter ihnen
und nur unter ihnen finden.




Die Münchner Ausstellungen
M, G, Zinnnermann von (Schluß)

MWle Pariser sind auch die einzigen ausländischen Künstler, die
in größerer Zahl bei den Sezessionisten vertreten 'sind. Ihre
Ausstellung ist reich genug, dem Besucher ein Gesamtbild von
dem Schaffen der Pariser Sezession zu geben; eine große
Anzahl ihrer besten Werke ist nach Schluß des Marsfeld¬
salons nach München gekommen. Für die Münchner Sezessionisten kann
diese Pariser Ausstellung nur von Vorteil sein, denn sie zeigt, was ihnen
noch fehlt: gediegnes Studium, einfache Größe, Geschmack und Poesie.
Ausschreitungen kommen freilich auch bei den Parisern vor. Raffaellis Ge¬
mälde wollen wie Kohlenzeichnungen wirken, die mit Buntstift kolorirt sind,
Henri Martin, dem monumentale Größe der Form und Tiefe der Auffassung
zu Gebote stehen, malt, als wären die Farben auf rauhes Mauerwerk auf-


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[0078] Die Münchner Ausstellungen wir auch hier, cui hano Julius Hart diese seine Liebesgeschichte verbrochen hat, sollte da nicht die Antwort einfach in folgendem zu finden sein? Leute, die es wissen können, behaupten, daß wieder einmal ein tiefes Sehnen nach Erlösung durch die Seele der Menschheit ziehe. Da, wo frisch und fröhlich gearbeitet wird, merkt man freilich wenig oder nichts davon. Wohl aber giebt es viele Menschen, denen im Wohlleben jede Lust und Fähigkeit zum Arbeiten verloren gegangen ist. Die Weiber wollen ihre Kinder nicht mehr selber er¬ nähren, die Männer sie nicht mehr erziehen. Genuß ist die Losung. Aber wenn man nur ihn sucht, so ist man bald am Ende damit. Wenn dann inner¬ halb der Grenzen der Erde nichts mehr ist, was die tötende Langeweile zu bannen vermag, dann beginnt man jenseits zu suchen. Diesen Leuten, die den Himmel bald ebenso veröden würden, wie sie die Welt wüste legen, ist jeder willkommen, der ihnen auch uur die geringste Aussicht eröffnet, in den abge¬ töteten Nerven den Kitzel wieder beleben zu können. Ist hier nichts mehr, giebts vielleicht drüben etwas. Ich will nicht behaupten, daß Julius Hart für diese Menschen geschrieben habe, aber sein Publikum wird er unter ihnen und nur unter ihnen finden. Die Münchner Ausstellungen M, G, Zinnnermann von (Schluß) MWle Pariser sind auch die einzigen ausländischen Künstler, die in größerer Zahl bei den Sezessionisten vertreten 'sind. Ihre Ausstellung ist reich genug, dem Besucher ein Gesamtbild von dem Schaffen der Pariser Sezession zu geben; eine große Anzahl ihrer besten Werke ist nach Schluß des Marsfeld¬ salons nach München gekommen. Für die Münchner Sezessionisten kann diese Pariser Ausstellung nur von Vorteil sein, denn sie zeigt, was ihnen noch fehlt: gediegnes Studium, einfache Größe, Geschmack und Poesie. Ausschreitungen kommen freilich auch bei den Parisern vor. Raffaellis Ge¬ mälde wollen wie Kohlenzeichnungen wirken, die mit Buntstift kolorirt sind, Henri Martin, dem monumentale Größe der Form und Tiefe der Auffassung zu Gebote stehen, malt, als wären die Farben auf rauhes Mauerwerk auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/78>, abgerufen am 04.05.2024.