Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Freiheit für die evangelische Airche

im neuen Jahre, und es ist sehr ungewiß, wie das Stück enden wird. Nur
eins scheint uns gewiß: kein Gesetzentwurf ist jemals weniger zu schwächlichen
Kompromissen und zu einer Verwässernng seiner Bestimmungen geeignet ge¬
wesen, als dieser. Noch ist es Zeit, mit einem unbedingten Nein unser Staats¬
wesen vor den unvermeidlichen ernsten Folgen zu bewahren, die sich aus der
Annahme dieses Gesetzes ergeben würden. Möge der Reichstag die Entwick¬
lung, die die Sozialdemokratie seit Aufhebung des Sozialisteugesetzes genommen
hat, sorgfältig prüfen. Er wird und muß dann zu der Überzeugung kommen,
daß wir im Begriffe sind, ein Feuer künstlich wieder anzufachen, das im Er¬
loschen ist, und daß nur ein klares Nein die Bahn wieder frei machen kann
für ein weiteres Fortschreiten des Heilungsprozesfes, den die Sozialdemokratie
in sich selbst durchmacht, und den Strafgesetze nur verzögern, ja völlig ver¬
eiteln können.




Freiheit für die evangelische Kirche

or kurzem hat die evangelische Kirche den drcihundertjährigen
Geburtstag Gustav Adolfs gefeiert; von den Kcinzclu herab
und in den kirchlichen Blättern ist der Schwedenkönig dabei als
heldenmütiger Streiter für die evangelische Freiheit gepriesen
worden. Mit Recht, denn wenn er auch kaum abgeneigt war,
sich durch eine bedeutende Gebietserwerbung für die Hilfe, die er geleistet, für
die Opfer an Blut und Geld, die er gebracht hatte, zu entschädigen, ja selbst
wenn ihm der Gedanke nicht fern gelegen haben sollte, sich die Krone eines
evangelischen deutschen Kaisers aufs Haupt zu setzen, so waren das doch Ve-
strebnngen, die seinem Hauptziele -- "Glaubensfreiheit für die Welt," wie es
auf dem Denkstein der Breitenfelder Schlacht heißt -- untergeordnet waren.
Aber dieses Wort bezeichnet auch vollkommen richtig und scharf, wofür Gustav
Adolf nicht gekämpft hat. Er hat nur gekümpft für das nach heutigen Be¬
griffen selbstverständliche Recht, daß jeder nach seiner Fayon selig werden
kann, und daß er das erreichte, war für jene Zeit eine unvergleichliche
Errungenschaft; er hat nicht gekämpft für die Freiheit der evangelischen Kirche,
und er konnte es nicht, denn eine evangelische Kirche gab es damals noch
nicht, nur den evangelischen Glauben, das evangelische Bekenntnis.

Das ist nun doch im Laufe der 250 Jahre, die seitdem vergangen sind,
anders geworden. Zwar eine evangelische Kirche als Einheit giebt es anch
jetzt noch nicht, sondern nur evangelische Landeskirchen. Aber innerhalb dieser


Freiheit für die evangelische Airche

im neuen Jahre, und es ist sehr ungewiß, wie das Stück enden wird. Nur
eins scheint uns gewiß: kein Gesetzentwurf ist jemals weniger zu schwächlichen
Kompromissen und zu einer Verwässernng seiner Bestimmungen geeignet ge¬
wesen, als dieser. Noch ist es Zeit, mit einem unbedingten Nein unser Staats¬
wesen vor den unvermeidlichen ernsten Folgen zu bewahren, die sich aus der
Annahme dieses Gesetzes ergeben würden. Möge der Reichstag die Entwick¬
lung, die die Sozialdemokratie seit Aufhebung des Sozialisteugesetzes genommen
hat, sorgfältig prüfen. Er wird und muß dann zu der Überzeugung kommen,
daß wir im Begriffe sind, ein Feuer künstlich wieder anzufachen, das im Er¬
loschen ist, und daß nur ein klares Nein die Bahn wieder frei machen kann
für ein weiteres Fortschreiten des Heilungsprozesfes, den die Sozialdemokratie
in sich selbst durchmacht, und den Strafgesetze nur verzögern, ja völlig ver¬
eiteln können.




Freiheit für die evangelische Kirche

or kurzem hat die evangelische Kirche den drcihundertjährigen
Geburtstag Gustav Adolfs gefeiert; von den Kcinzclu herab
und in den kirchlichen Blättern ist der Schwedenkönig dabei als
heldenmütiger Streiter für die evangelische Freiheit gepriesen
worden. Mit Recht, denn wenn er auch kaum abgeneigt war,
sich durch eine bedeutende Gebietserwerbung für die Hilfe, die er geleistet, für
die Opfer an Blut und Geld, die er gebracht hatte, zu entschädigen, ja selbst
wenn ihm der Gedanke nicht fern gelegen haben sollte, sich die Krone eines
evangelischen deutschen Kaisers aufs Haupt zu setzen, so waren das doch Ve-
strebnngen, die seinem Hauptziele — „Glaubensfreiheit für die Welt," wie es
auf dem Denkstein der Breitenfelder Schlacht heißt — untergeordnet waren.
Aber dieses Wort bezeichnet auch vollkommen richtig und scharf, wofür Gustav
Adolf nicht gekämpft hat. Er hat nur gekümpft für das nach heutigen Be¬
griffen selbstverständliche Recht, daß jeder nach seiner Fayon selig werden
kann, und daß er das erreichte, war für jene Zeit eine unvergleichliche
Errungenschaft; er hat nicht gekämpft für die Freiheit der evangelischen Kirche,
und er konnte es nicht, denn eine evangelische Kirche gab es damals noch
nicht, nur den evangelischen Glauben, das evangelische Bekenntnis.

Das ist nun doch im Laufe der 250 Jahre, die seitdem vergangen sind,
anders geworden. Zwar eine evangelische Kirche als Einheit giebt es anch
jetzt noch nicht, sondern nur evangelische Landeskirchen. Aber innerhalb dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219015"/>
          <fw type="header" place="top"> Freiheit für die evangelische Airche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_22" prev="#ID_21"> im neuen Jahre, und es ist sehr ungewiß, wie das Stück enden wird. Nur<lb/>
eins scheint uns gewiß: kein Gesetzentwurf ist jemals weniger zu schwächlichen<lb/>
Kompromissen und zu einer Verwässernng seiner Bestimmungen geeignet ge¬<lb/>
wesen, als dieser. Noch ist es Zeit, mit einem unbedingten Nein unser Staats¬<lb/>
wesen vor den unvermeidlichen ernsten Folgen zu bewahren, die sich aus der<lb/>
Annahme dieses Gesetzes ergeben würden. Möge der Reichstag die Entwick¬<lb/>
lung, die die Sozialdemokratie seit Aufhebung des Sozialisteugesetzes genommen<lb/>
hat, sorgfältig prüfen. Er wird und muß dann zu der Überzeugung kommen,<lb/>
daß wir im Begriffe sind, ein Feuer künstlich wieder anzufachen, das im Er¬<lb/>
loschen ist, und daß nur ein klares Nein die Bahn wieder frei machen kann<lb/>
für ein weiteres Fortschreiten des Heilungsprozesfes, den die Sozialdemokratie<lb/>
in sich selbst durchmacht, und den Strafgesetze nur verzögern, ja völlig ver¬<lb/>
eiteln können.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Freiheit für die evangelische Kirche</head><lb/>
          <p xml:id="ID_23"> or kurzem hat die evangelische Kirche den drcihundertjährigen<lb/>
Geburtstag Gustav Adolfs gefeiert; von den Kcinzclu herab<lb/>
und in den kirchlichen Blättern ist der Schwedenkönig dabei als<lb/>
heldenmütiger Streiter für die evangelische Freiheit gepriesen<lb/>
worden. Mit Recht, denn wenn er auch kaum abgeneigt war,<lb/>
sich durch eine bedeutende Gebietserwerbung für die Hilfe, die er geleistet, für<lb/>
die Opfer an Blut und Geld, die er gebracht hatte, zu entschädigen, ja selbst<lb/>
wenn ihm der Gedanke nicht fern gelegen haben sollte, sich die Krone eines<lb/>
evangelischen deutschen Kaisers aufs Haupt zu setzen, so waren das doch Ve-<lb/>
strebnngen, die seinem Hauptziele &#x2014; &#x201E;Glaubensfreiheit für die Welt," wie es<lb/>
auf dem Denkstein der Breitenfelder Schlacht heißt &#x2014; untergeordnet waren.<lb/>
Aber dieses Wort bezeichnet auch vollkommen richtig und scharf, wofür Gustav<lb/>
Adolf nicht gekämpft hat. Er hat nur gekümpft für das nach heutigen Be¬<lb/>
griffen selbstverständliche Recht, daß jeder nach seiner Fayon selig werden<lb/>
kann, und daß er das erreichte, war für jene Zeit eine unvergleichliche<lb/>
Errungenschaft; er hat nicht gekämpft für die Freiheit der evangelischen Kirche,<lb/>
und er konnte es nicht, denn eine evangelische Kirche gab es damals noch<lb/>
nicht, nur den evangelischen Glauben, das evangelische Bekenntnis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24" next="#ID_25"> Das ist nun doch im Laufe der 250 Jahre, die seitdem vergangen sind,<lb/>
anders geworden. Zwar eine evangelische Kirche als Einheit giebt es anch<lb/>
jetzt noch nicht, sondern nur evangelische Landeskirchen. Aber innerhalb dieser</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Freiheit für die evangelische Airche im neuen Jahre, und es ist sehr ungewiß, wie das Stück enden wird. Nur eins scheint uns gewiß: kein Gesetzentwurf ist jemals weniger zu schwächlichen Kompromissen und zu einer Verwässernng seiner Bestimmungen geeignet ge¬ wesen, als dieser. Noch ist es Zeit, mit einem unbedingten Nein unser Staats¬ wesen vor den unvermeidlichen ernsten Folgen zu bewahren, die sich aus der Annahme dieses Gesetzes ergeben würden. Möge der Reichstag die Entwick¬ lung, die die Sozialdemokratie seit Aufhebung des Sozialisteugesetzes genommen hat, sorgfältig prüfen. Er wird und muß dann zu der Überzeugung kommen, daß wir im Begriffe sind, ein Feuer künstlich wieder anzufachen, das im Er¬ loschen ist, und daß nur ein klares Nein die Bahn wieder frei machen kann für ein weiteres Fortschreiten des Heilungsprozesfes, den die Sozialdemokratie in sich selbst durchmacht, und den Strafgesetze nur verzögern, ja völlig ver¬ eiteln können. Freiheit für die evangelische Kirche or kurzem hat die evangelische Kirche den drcihundertjährigen Geburtstag Gustav Adolfs gefeiert; von den Kcinzclu herab und in den kirchlichen Blättern ist der Schwedenkönig dabei als heldenmütiger Streiter für die evangelische Freiheit gepriesen worden. Mit Recht, denn wenn er auch kaum abgeneigt war, sich durch eine bedeutende Gebietserwerbung für die Hilfe, die er geleistet, für die Opfer an Blut und Geld, die er gebracht hatte, zu entschädigen, ja selbst wenn ihm der Gedanke nicht fern gelegen haben sollte, sich die Krone eines evangelischen deutschen Kaisers aufs Haupt zu setzen, so waren das doch Ve- strebnngen, die seinem Hauptziele — „Glaubensfreiheit für die Welt," wie es auf dem Denkstein der Breitenfelder Schlacht heißt — untergeordnet waren. Aber dieses Wort bezeichnet auch vollkommen richtig und scharf, wofür Gustav Adolf nicht gekämpft hat. Er hat nur gekümpft für das nach heutigen Be¬ griffen selbstverständliche Recht, daß jeder nach seiner Fayon selig werden kann, und daß er das erreichte, war für jene Zeit eine unvergleichliche Errungenschaft; er hat nicht gekämpft für die Freiheit der evangelischen Kirche, und er konnte es nicht, denn eine evangelische Kirche gab es damals noch nicht, nur den evangelischen Glauben, das evangelische Bekenntnis. Das ist nun doch im Laufe der 250 Jahre, die seitdem vergangen sind, anders geworden. Zwar eine evangelische Kirche als Einheit giebt es anch jetzt noch nicht, sondern nur evangelische Landeskirchen. Aber innerhalb dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/13>, abgerufen am 28.04.2024.