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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

von neuen Zwcmgsgesctzen nichts wissen will, so muß sie auch von den Re¬
gierenden beherzigt werden. Dcis Gegenteil wäre nur durch einen Bruch
der Verfassung möglich. Wir werden niemals deutsche Fürsten dessen für
fähig halten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die erste Schlacht.

In der sechstägigen Schlacht, mit der die Neichstags-
sitzung eröffnet worden ist, war das Gefecht des 9. Januar am interessantesten.
Der Freiherr van Stumm ist ein vornehmer Mann im besten Sinne des Wortes,
ein Gesellschafter von bezaubernder Liebenswürdigkeit und ein Vater der zahlreichen
Arbeiter seiner großartigen, vortrefflich geleiteten Werke. Leute von solcher Voll¬
kommenheit müssen sich zur Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts ab und
zu ein wenig blutdürstig geberden, und dem rheinischen Eisenkönig giebt sein auf¬
richtiger Haß gegen die Sozialdemokraten dazu die Gelegenheit; diese Gelegenheit
hat er denn an dem genannten Tage mit Wollust ausgenutzt. Nichts ist leichter be¬
greiflich als der Standpunkt, von dein aus er den Sozialisteuvertilguugsplcm ent¬
worfen hat, den er vor den staunenden Zuhörern entwickelte. Er ist ein wohl¬
wollender, intelligenter Unternehmer und so reich, daß er es wirklich nicht nötig
hat, zu krausem. Seine Arbeiter Habens also gut samt Kindern und Kindeskindern,
was um so leichter zu erreichen ist, als er auch dafür sorgt, daß sie nicht zu früh
Kinder bekommen. Ein solches selbstleuchteudcs Gestirn sieht alle Dinge in seinem
eignen Licht. Herr von Stumm betrachtet sich als den Thpns der Unternehmer,
was er um so eher kann, als er gesellschaftlich nur mit solchen Herren verkehrt,
die ebenfalls Unternehmer größten Stils sind. Sich gegenüber stellt er die sozial¬
demokratische Genossenschaftsbäckerei, von der er gehört hat, daß ihre Arbeiter er¬
bärmlich bezahlt werden, und so kommt er denn notwendigerweise zu dem Schluß:
wir Unternehmer sind die wahren Freunde der Arbeiter und schaffen ihnen, soweit
es möglich ist, den Himmel auf Erden, die Sozialdemokratie aber ist eine Pest,
zunächst für die Arbeiter, und muß durch eine Radikalkur ausgetrieben werden ans
dem deutschen Volkskörper. In Wirklichkeit kommen ans ein Unternehmen, wo es
die Arbeiter so gut haben wie in Neunkirchen, mindestens hundert Fabriken, Gruben
und Werkstätten, wo sie es schlecht haben, teilweise noch schlechter als in der sozial¬
demokratischen Bäckerei, dann giebt es hunderttausende, denen es leidlich geht,
solange sie voll beschäftigt sind, die aber zeitweilig nur halbe Schicht und ein paar
Monate im Jahre gar keine Arbeit habe", und endlich giebt es etliche hundert¬
tausend, die jenseits der Möglichkeit angelangt sind, noch einmal Arbeit zu be¬
kommen. Das weiß ein Mann wie der Freiherr von Stumm nicht; das darf er
nicht wissen, und keine Gewalt der Erde wird ihn dahin bringen, einmal eine
Forschungsreise durch die Gegenden des Vaterlands, durch die Stadtviertel, Hinter¬
häuser und Werkstätten zu macheu, die außerhalb seiner Photosphäre liegen, denn
thäte er es, so verlöre er die Krone seines Glücks, das Bewußtsein, daß er ein
Beglücker seines Volkes ist, eine Grundsäule des Staatsgebäudes, in dessen wohn-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

von neuen Zwcmgsgesctzen nichts wissen will, so muß sie auch von den Re¬
gierenden beherzigt werden. Dcis Gegenteil wäre nur durch einen Bruch
der Verfassung möglich. Wir werden niemals deutsche Fürsten dessen für
fähig halten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die erste Schlacht.

In der sechstägigen Schlacht, mit der die Neichstags-
sitzung eröffnet worden ist, war das Gefecht des 9. Januar am interessantesten.
Der Freiherr van Stumm ist ein vornehmer Mann im besten Sinne des Wortes,
ein Gesellschafter von bezaubernder Liebenswürdigkeit und ein Vater der zahlreichen
Arbeiter seiner großartigen, vortrefflich geleiteten Werke. Leute von solcher Voll¬
kommenheit müssen sich zur Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts ab und
zu ein wenig blutdürstig geberden, und dem rheinischen Eisenkönig giebt sein auf¬
richtiger Haß gegen die Sozialdemokraten dazu die Gelegenheit; diese Gelegenheit
hat er denn an dem genannten Tage mit Wollust ausgenutzt. Nichts ist leichter be¬
greiflich als der Standpunkt, von dein aus er den Sozialisteuvertilguugsplcm ent¬
worfen hat, den er vor den staunenden Zuhörern entwickelte. Er ist ein wohl¬
wollender, intelligenter Unternehmer und so reich, daß er es wirklich nicht nötig
hat, zu krausem. Seine Arbeiter Habens also gut samt Kindern und Kindeskindern,
was um so leichter zu erreichen ist, als er auch dafür sorgt, daß sie nicht zu früh
Kinder bekommen. Ein solches selbstleuchteudcs Gestirn sieht alle Dinge in seinem
eignen Licht. Herr von Stumm betrachtet sich als den Thpns der Unternehmer,
was er um so eher kann, als er gesellschaftlich nur mit solchen Herren verkehrt,
die ebenfalls Unternehmer größten Stils sind. Sich gegenüber stellt er die sozial¬
demokratische Genossenschaftsbäckerei, von der er gehört hat, daß ihre Arbeiter er¬
bärmlich bezahlt werden, und so kommt er denn notwendigerweise zu dem Schluß:
wir Unternehmer sind die wahren Freunde der Arbeiter und schaffen ihnen, soweit
es möglich ist, den Himmel auf Erden, die Sozialdemokratie aber ist eine Pest,
zunächst für die Arbeiter, und muß durch eine Radikalkur ausgetrieben werden ans
dem deutschen Volkskörper. In Wirklichkeit kommen ans ein Unternehmen, wo es
die Arbeiter so gut haben wie in Neunkirchen, mindestens hundert Fabriken, Gruben
und Werkstätten, wo sie es schlecht haben, teilweise noch schlechter als in der sozial¬
demokratischen Bäckerei, dann giebt es hunderttausende, denen es leidlich geht,
solange sie voll beschäftigt sind, die aber zeitweilig nur halbe Schicht und ein paar
Monate im Jahre gar keine Arbeit habe», und endlich giebt es etliche hundert¬
tausend, die jenseits der Möglichkeit angelangt sind, noch einmal Arbeit zu be¬
kommen. Das weiß ein Mann wie der Freiherr von Stumm nicht; das darf er
nicht wissen, und keine Gewalt der Erde wird ihn dahin bringen, einmal eine
Forschungsreise durch die Gegenden des Vaterlands, durch die Stadtviertel, Hinter¬
häuser und Werkstätten zu macheu, die außerhalb seiner Photosphäre liegen, denn
thäte er es, so verlöre er die Krone seines Glücks, das Bewußtsein, daß er ein
Beglücker seines Volkes ist, eine Grundsäule des Staatsgebäudes, in dessen wohn-


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[0147] Maßgebliches und Unmaßgebliches von neuen Zwcmgsgesctzen nichts wissen will, so muß sie auch von den Re¬ gierenden beherzigt werden. Dcis Gegenteil wäre nur durch einen Bruch der Verfassung möglich. Wir werden niemals deutsche Fürsten dessen für fähig halten. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die erste Schlacht. In der sechstägigen Schlacht, mit der die Neichstags- sitzung eröffnet worden ist, war das Gefecht des 9. Januar am interessantesten. Der Freiherr van Stumm ist ein vornehmer Mann im besten Sinne des Wortes, ein Gesellschafter von bezaubernder Liebenswürdigkeit und ein Vater der zahlreichen Arbeiter seiner großartigen, vortrefflich geleiteten Werke. Leute von solcher Voll¬ kommenheit müssen sich zur Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts ab und zu ein wenig blutdürstig geberden, und dem rheinischen Eisenkönig giebt sein auf¬ richtiger Haß gegen die Sozialdemokraten dazu die Gelegenheit; diese Gelegenheit hat er denn an dem genannten Tage mit Wollust ausgenutzt. Nichts ist leichter be¬ greiflich als der Standpunkt, von dein aus er den Sozialisteuvertilguugsplcm ent¬ worfen hat, den er vor den staunenden Zuhörern entwickelte. Er ist ein wohl¬ wollender, intelligenter Unternehmer und so reich, daß er es wirklich nicht nötig hat, zu krausem. Seine Arbeiter Habens also gut samt Kindern und Kindeskindern, was um so leichter zu erreichen ist, als er auch dafür sorgt, daß sie nicht zu früh Kinder bekommen. Ein solches selbstleuchteudcs Gestirn sieht alle Dinge in seinem eignen Licht. Herr von Stumm betrachtet sich als den Thpns der Unternehmer, was er um so eher kann, als er gesellschaftlich nur mit solchen Herren verkehrt, die ebenfalls Unternehmer größten Stils sind. Sich gegenüber stellt er die sozial¬ demokratische Genossenschaftsbäckerei, von der er gehört hat, daß ihre Arbeiter er¬ bärmlich bezahlt werden, und so kommt er denn notwendigerweise zu dem Schluß: wir Unternehmer sind die wahren Freunde der Arbeiter und schaffen ihnen, soweit es möglich ist, den Himmel auf Erden, die Sozialdemokratie aber ist eine Pest, zunächst für die Arbeiter, und muß durch eine Radikalkur ausgetrieben werden ans dem deutschen Volkskörper. In Wirklichkeit kommen ans ein Unternehmen, wo es die Arbeiter so gut haben wie in Neunkirchen, mindestens hundert Fabriken, Gruben und Werkstätten, wo sie es schlecht haben, teilweise noch schlechter als in der sozial¬ demokratischen Bäckerei, dann giebt es hunderttausende, denen es leidlich geht, solange sie voll beschäftigt sind, die aber zeitweilig nur halbe Schicht und ein paar Monate im Jahre gar keine Arbeit habe», und endlich giebt es etliche hundert¬ tausend, die jenseits der Möglichkeit angelangt sind, noch einmal Arbeit zu be¬ kommen. Das weiß ein Mann wie der Freiherr von Stumm nicht; das darf er nicht wissen, und keine Gewalt der Erde wird ihn dahin bringen, einmal eine Forschungsreise durch die Gegenden des Vaterlands, durch die Stadtviertel, Hinter¬ häuser und Werkstätten zu macheu, die außerhalb seiner Photosphäre liegen, denn thäte er es, so verlöre er die Krone seines Glücks, das Bewußtsein, daß er ein Beglücker seines Volkes ist, eine Grundsäule des Staatsgebäudes, in dessen wohn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/147>, abgerufen am 27.04.2024.