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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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als die eine, die Zuschrift auf dem Schemel des Malers, bestimmt als solche
das Jahr 1576 angiebt, die andre aber sagt, daß das Bild gemalt sei, als
Hans Sachs einundachtzig Jahre und zwei Monate alt war. Darnach füllt
die Entstehung des Bildes in die ersten Tage des Jahres 1576, kaum zwei
Wochen vor seinen Tod, der in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar des
genannten Jahres erfolgte. Wie aber ist dann die Jahreszahl 1574 auf dem
kleinen Porträt zu erklären, an dem der Maler arbeitet? Ich weiß darauf
keine andre Antwort, als die Annahme, daß Herneisen den Dichter bereits im
Jahre 1574 einmal gemalt hatte und sich jene Jahreszahl eben auf die Her¬
stellung dieses frühern Bildes bezieht. Damals, also 1574, ereignete sich die
kleine Episode mit der Katze und das sich daran knüpfende Gespräch, die dem
Maler so wohl gefielen und ihm so lebhaft in Erinnerung blieben, daß er
sie in dem zwei Jahre später gemalten Wolfenbütteler Bilde festzuhalten ver¬
sucht hat.




Zur Würdigung der gegenwärtigen Kunstbestrebungen
Herman Riegel von (Schluß)

an beobachtet in der Kunstgeschichte gewisse Wandlungen und
Wechsel, die ein Gesetz des Kreislaufs darstellen. Gegen die
geistig tief gesunkene, tändelnde und die Natur verschnvrkelnde
Kunst des achtzehnten Jahrhunderts entstand ein Rückschlag,
der unter Berufung auf Natur und Geist, unter Anlehnung
an die griechischen Vorbilder, feurig und ernst nach Wahrheit und Schön¬
heit strebte. Hiergegen wieder erstand in Frankreich eine entschiedne ro¬
mantische Richtung, während in Deutschland, der Hauptströmung folgend,
eine mehr akademische Richtung auftrat. Diese legte ebenso wie die roman¬
tische in Frankreich Nachdruck auf die Mache, auf die Handgeschicklichkeit, auf
die Farbe, also auf die Darstellung an und für sich, doch ohne den geistigen
Teil der Kunst zu vernachlässigen. In der auf solche Weise begonnenen Rich¬
tung bewegte sich die Kunst fast ununterbrochen weiter und weiter, und
so gelaugte sie folgerichtig zur Überschätzung der Mache und zur Mißachtung
des Geistigen bis zu dem Maße, wie es Herr Vegas jetzt verkündet und ver¬
langt. Und so wird es immer noch weiter gehen -- bis zum tiefsten Punkt.
Dann wird das Geistige im Kunstwerke wieder in aufsteigender Linie bestimmend
werden können. Wird früher oder später eine solche Kunst wieder erstehen"


als die eine, die Zuschrift auf dem Schemel des Malers, bestimmt als solche
das Jahr 1576 angiebt, die andre aber sagt, daß das Bild gemalt sei, als
Hans Sachs einundachtzig Jahre und zwei Monate alt war. Darnach füllt
die Entstehung des Bildes in die ersten Tage des Jahres 1576, kaum zwei
Wochen vor seinen Tod, der in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar des
genannten Jahres erfolgte. Wie aber ist dann die Jahreszahl 1574 auf dem
kleinen Porträt zu erklären, an dem der Maler arbeitet? Ich weiß darauf
keine andre Antwort, als die Annahme, daß Herneisen den Dichter bereits im
Jahre 1574 einmal gemalt hatte und sich jene Jahreszahl eben auf die Her¬
stellung dieses frühern Bildes bezieht. Damals, also 1574, ereignete sich die
kleine Episode mit der Katze und das sich daran knüpfende Gespräch, die dem
Maler so wohl gefielen und ihm so lebhaft in Erinnerung blieben, daß er
sie in dem zwei Jahre später gemalten Wolfenbütteler Bilde festzuhalten ver¬
sucht hat.




Zur Würdigung der gegenwärtigen Kunstbestrebungen
Herman Riegel von (Schluß)

an beobachtet in der Kunstgeschichte gewisse Wandlungen und
Wechsel, die ein Gesetz des Kreislaufs darstellen. Gegen die
geistig tief gesunkene, tändelnde und die Natur verschnvrkelnde
Kunst des achtzehnten Jahrhunderts entstand ein Rückschlag,
der unter Berufung auf Natur und Geist, unter Anlehnung
an die griechischen Vorbilder, feurig und ernst nach Wahrheit und Schön¬
heit strebte. Hiergegen wieder erstand in Frankreich eine entschiedne ro¬
mantische Richtung, während in Deutschland, der Hauptströmung folgend,
eine mehr akademische Richtung auftrat. Diese legte ebenso wie die roman¬
tische in Frankreich Nachdruck auf die Mache, auf die Handgeschicklichkeit, auf
die Farbe, also auf die Darstellung an und für sich, doch ohne den geistigen
Teil der Kunst zu vernachlässigen. In der auf solche Weise begonnenen Rich¬
tung bewegte sich die Kunst fast ununterbrochen weiter und weiter, und
so gelaugte sie folgerichtig zur Überschätzung der Mache und zur Mißachtung
des Geistigen bis zu dem Maße, wie es Herr Vegas jetzt verkündet und ver¬
langt. Und so wird es immer noch weiter gehen — bis zum tiefsten Punkt.
Dann wird das Geistige im Kunstwerke wieder in aufsteigender Linie bestimmend
werden können. Wird früher oder später eine solche Kunst wieder erstehen»


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[0182] als die eine, die Zuschrift auf dem Schemel des Malers, bestimmt als solche das Jahr 1576 angiebt, die andre aber sagt, daß das Bild gemalt sei, als Hans Sachs einundachtzig Jahre und zwei Monate alt war. Darnach füllt die Entstehung des Bildes in die ersten Tage des Jahres 1576, kaum zwei Wochen vor seinen Tod, der in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar des genannten Jahres erfolgte. Wie aber ist dann die Jahreszahl 1574 auf dem kleinen Porträt zu erklären, an dem der Maler arbeitet? Ich weiß darauf keine andre Antwort, als die Annahme, daß Herneisen den Dichter bereits im Jahre 1574 einmal gemalt hatte und sich jene Jahreszahl eben auf die Her¬ stellung dieses frühern Bildes bezieht. Damals, also 1574, ereignete sich die kleine Episode mit der Katze und das sich daran knüpfende Gespräch, die dem Maler so wohl gefielen und ihm so lebhaft in Erinnerung blieben, daß er sie in dem zwei Jahre später gemalten Wolfenbütteler Bilde festzuhalten ver¬ sucht hat. Zur Würdigung der gegenwärtigen Kunstbestrebungen Herman Riegel von (Schluß) an beobachtet in der Kunstgeschichte gewisse Wandlungen und Wechsel, die ein Gesetz des Kreislaufs darstellen. Gegen die geistig tief gesunkene, tändelnde und die Natur verschnvrkelnde Kunst des achtzehnten Jahrhunderts entstand ein Rückschlag, der unter Berufung auf Natur und Geist, unter Anlehnung an die griechischen Vorbilder, feurig und ernst nach Wahrheit und Schön¬ heit strebte. Hiergegen wieder erstand in Frankreich eine entschiedne ro¬ mantische Richtung, während in Deutschland, der Hauptströmung folgend, eine mehr akademische Richtung auftrat. Diese legte ebenso wie die roman¬ tische in Frankreich Nachdruck auf die Mache, auf die Handgeschicklichkeit, auf die Farbe, also auf die Darstellung an und für sich, doch ohne den geistigen Teil der Kunst zu vernachlässigen. In der auf solche Weise begonnenen Rich¬ tung bewegte sich die Kunst fast ununterbrochen weiter und weiter, und so gelaugte sie folgerichtig zur Überschätzung der Mache und zur Mißachtung des Geistigen bis zu dem Maße, wie es Herr Vegas jetzt verkündet und ver¬ langt. Und so wird es immer noch weiter gehen — bis zum tiefsten Punkt. Dann wird das Geistige im Kunstwerke wieder in aufsteigender Linie bestimmend werden können. Wird früher oder später eine solche Kunst wieder erstehen»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/182>, abgerufen am 27.04.2024.