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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der streit der Fakultäten
i

rüteude Mittagshitze lagerte über der Flur. Die großen Höfe bei
den Stallungen des prächtigen .Klostergutes Marieuzelle lagen
fast ausgestorben dn. Die stattlichen Stiere und schönen Kühe
in den Ställen wehrten nur noch schläfrig und verdrossen den
lästigen Fliegen, trüge lagen ein paar Knechte und Mägde ihren
unumgänglichsten Verrichtungen ob, während die andern eine kurze Mittagsrast
machten. Die größte Ruhe herrschte in dem etwas weiter abliegenden Klvster-
gebiet, wo sich die zwölf Stiftsdamen in ihren Häusern zurückgezogen hielten.
Nur in den halb nnter der Erde angelegten Küche" der Stiftshünser war
einige Geschäftigkeit zu merken; hier bereiteten Köchinnen und Mägde, die in
der aristokratischen Atmosphäre bei ihren adlichen und dabei weiblichen Herr¬
schaften etwas ans sich zu halten gelernt hatten und im Vergleich zur Guts-
dienerschaft fast klösterliche Sittenreinheit zur Schau trugen, das mehr oder
minder leckere Mittagessen, je nachdem sie bei einer frugalen oder bei einer
mit zunehmendem Alter selbst für Kochknnststücte empfänglich gewordnen Stifts-
dcnne diente". In einer dieser Stiftskurien aber wurde heute besondre Sorg¬
falt auf die Zubereitung der Speisen verwandt, bei Fräulein Anna von Mechts-
hausen, die an diesem Tage einige Gäste zu Tische erwartete, außer dem Be¬
suche, der schon seit einigen Wochen bei ihr weilte. Sie liebte es, wenn sie
anch nicht Äbtissin, also berufsmäßig durchaus nicht zu besondrer Repräsen¬
tativ" verpflichtet war, bei besondern Anlässe" das Stift auf ihre Art zu
vertreten. So auch heute.

Auf Vorschlag des Kapitels war el" junger Geistlicher in einem benach-
barten, ehemals dem Stifte gehörigen Dorfe ins Pfarramt gekommen. Diesem
zu Ehren hatte Frciuleiu von Mechtshausen ein kleines Mittagessen veranstaltet.
Bei aller Freundlichkeit, die die Wirtin dem jungen Pastor erweise" wollte,
lag es doch auch in ihrer Absicht, ihm bei dieser Gelegenheit die ganze Würde
der Patrvnessen vorzuführen und ihn darnach den Grad der schuldigen Dank¬
barkeit ermessen zu lassen, den der junge Mann, wie sie fürchtete, so ohne
weiteres nicht fühlen würde. Es verstand sich von selbst, daß bei dieser Ge¬
legenheit auch der eigeiüliche Stiftsgeistlichc mit seiner Frau geladen wurde,




Der streit der Fakultäten
i

rüteude Mittagshitze lagerte über der Flur. Die großen Höfe bei
den Stallungen des prächtigen .Klostergutes Marieuzelle lagen
fast ausgestorben dn. Die stattlichen Stiere und schönen Kühe
in den Ställen wehrten nur noch schläfrig und verdrossen den
lästigen Fliegen, trüge lagen ein paar Knechte und Mägde ihren
unumgänglichsten Verrichtungen ob, während die andern eine kurze Mittagsrast
machten. Die größte Ruhe herrschte in dem etwas weiter abliegenden Klvster-
gebiet, wo sich die zwölf Stiftsdamen in ihren Häusern zurückgezogen hielten.
Nur in den halb nnter der Erde angelegten Küche» der Stiftshünser war
einige Geschäftigkeit zu merken; hier bereiteten Köchinnen und Mägde, die in
der aristokratischen Atmosphäre bei ihren adlichen und dabei weiblichen Herr¬
schaften etwas ans sich zu halten gelernt hatten und im Vergleich zur Guts-
dienerschaft fast klösterliche Sittenreinheit zur Schau trugen, das mehr oder
minder leckere Mittagessen, je nachdem sie bei einer frugalen oder bei einer
mit zunehmendem Alter selbst für Kochknnststücte empfänglich gewordnen Stifts-
dcnne diente». In einer dieser Stiftskurien aber wurde heute besondre Sorg¬
falt auf die Zubereitung der Speisen verwandt, bei Fräulein Anna von Mechts-
hausen, die an diesem Tage einige Gäste zu Tische erwartete, außer dem Be¬
suche, der schon seit einigen Wochen bei ihr weilte. Sie liebte es, wenn sie
anch nicht Äbtissin, also berufsmäßig durchaus nicht zu besondrer Repräsen¬
tativ» verpflichtet war, bei besondern Anlässe» das Stift auf ihre Art zu
vertreten. So auch heute.

Auf Vorschlag des Kapitels war el» junger Geistlicher in einem benach-
barten, ehemals dem Stifte gehörigen Dorfe ins Pfarramt gekommen. Diesem
zu Ehren hatte Frciuleiu von Mechtshausen ein kleines Mittagessen veranstaltet.
Bei aller Freundlichkeit, die die Wirtin dem jungen Pastor erweise» wollte,
lag es doch auch in ihrer Absicht, ihm bei dieser Gelegenheit die ganze Würde
der Patrvnessen vorzuführen und ihn darnach den Grad der schuldigen Dank¬
barkeit ermessen zu lassen, den der junge Mann, wie sie fürchtete, so ohne
weiteres nicht fühlen würde. Es verstand sich von selbst, daß bei dieser Ge¬
legenheit auch der eigeiüliche Stiftsgeistlichc mit seiner Frau geladen wurde,


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[0231] Der streit der Fakultäten i rüteude Mittagshitze lagerte über der Flur. Die großen Höfe bei den Stallungen des prächtigen .Klostergutes Marieuzelle lagen fast ausgestorben dn. Die stattlichen Stiere und schönen Kühe in den Ställen wehrten nur noch schläfrig und verdrossen den lästigen Fliegen, trüge lagen ein paar Knechte und Mägde ihren unumgänglichsten Verrichtungen ob, während die andern eine kurze Mittagsrast machten. Die größte Ruhe herrschte in dem etwas weiter abliegenden Klvster- gebiet, wo sich die zwölf Stiftsdamen in ihren Häusern zurückgezogen hielten. Nur in den halb nnter der Erde angelegten Küche» der Stiftshünser war einige Geschäftigkeit zu merken; hier bereiteten Köchinnen und Mägde, die in der aristokratischen Atmosphäre bei ihren adlichen und dabei weiblichen Herr¬ schaften etwas ans sich zu halten gelernt hatten und im Vergleich zur Guts- dienerschaft fast klösterliche Sittenreinheit zur Schau trugen, das mehr oder minder leckere Mittagessen, je nachdem sie bei einer frugalen oder bei einer mit zunehmendem Alter selbst für Kochknnststücte empfänglich gewordnen Stifts- dcnne diente». In einer dieser Stiftskurien aber wurde heute besondre Sorg¬ falt auf die Zubereitung der Speisen verwandt, bei Fräulein Anna von Mechts- hausen, die an diesem Tage einige Gäste zu Tische erwartete, außer dem Be¬ suche, der schon seit einigen Wochen bei ihr weilte. Sie liebte es, wenn sie anch nicht Äbtissin, also berufsmäßig durchaus nicht zu besondrer Repräsen¬ tativ» verpflichtet war, bei besondern Anlässe» das Stift auf ihre Art zu vertreten. So auch heute. Auf Vorschlag des Kapitels war el» junger Geistlicher in einem benach- barten, ehemals dem Stifte gehörigen Dorfe ins Pfarramt gekommen. Diesem zu Ehren hatte Frciuleiu von Mechtshausen ein kleines Mittagessen veranstaltet. Bei aller Freundlichkeit, die die Wirtin dem jungen Pastor erweise» wollte, lag es doch auch in ihrer Absicht, ihm bei dieser Gelegenheit die ganze Würde der Patrvnessen vorzuführen und ihn darnach den Grad der schuldigen Dank¬ barkeit ermessen zu lassen, den der junge Mann, wie sie fürchtete, so ohne weiteres nicht fühlen würde. Es verstand sich von selbst, daß bei dieser Ge¬ legenheit auch der eigeiüliche Stiftsgeistlichc mit seiner Frau geladen wurde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/231>, abgerufen am 28.04.2024.