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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die neueste Auflage der Geflügelten Worte

Würden; sonst riefen die allegorischen Gestalten keine besondre Begeisterung
oder tiefere Empfindung hervor. Nur mit der Germania des Niederwald¬
denkmals macht er eine Ausnahme. Bei diesem Denkmal, sagt er, "suchen wir
keine weitere Beziehung zwischen der Germania und den als Beiwerk und
Schmuck auf den Reliefs und an den Ecken des Sockels befindlichen Figuren.
Denn ihr Blick ist in die Ferne gerichtet, in jene Ebne jenseits des Rheins,
wo der Erbfeind wohnt, dem ihre Geberde Unheil droht." Das ist ein un¬
befangnes und, wie wir glauben, zutreffendes Urteil über das Denkmal.

Aus der "Ährenlese" würden auch für andre Leute Früchte erwachsen,
wenn sich der Verfasser entschließen wollte, sein Werk durch den Buchhandel
allgemein zugänglich zu machen. Eine Kritik hat er nicht zu scheuen, da er
keine Ansprüche macht, sondern sich nur als Liebhaber von Kunst und Wissen¬
schaft vorstellt, der sich selbst genügen und daneben auch für rüstigere Bau¬
leute Werksteine herbeischaffen will. Außer den Fachgenossen, den besser und
den weniger wissenden Kritikern giebt es aber in Deutschland und der Schweiz
noch Sammler, die den altmodischen Namen "Bibliophilen" tragen. Sie werden
das Buch gern zum geschichtlichen Vergleich neben den vielgesuchten Drucken
der alten Basilea aufstellen und sehen, wie neue und alte Zeit nach Verlauf
von vier Jahrhunderten wieder zu gleichem künstlerischen Streben zusammen¬
gekommen sind.


Adolf Rosenberg


Die neueste Auflage der Geflügelten Worte

in Jahre 1864 hielt Georg Büchmann, Oberlehrer an der
Friedrich-Werderschen Gewerbeschule in Berlin, im Saale des
Berliner Schauspielhauses einen öffentlichen Vortrag über "land¬
läufige Zitate," denen er bei dieser Gelegenheit die homerische
Bezeichnung "geflügelte Worte" gab, die seitdem allgemein üblich
geworden ist. Ich erinnere mich noch recht gut, daß dieser Vortrag damals
einiges Aufsehen machte, weniger wegen seines fesselnden Inhalts, als wegen
eines kleinen damit verbundnen Vorkommnisses. Als nämlich der Vortragende
gegen Ende seines Vortrags auch auf historische Zitate jüngsten Datums kam
und darunter auch das Vismarckische Wort von der "Blut- und Eisenpolitik"
anführte, erhob sich die als ZuHörerin anwesende Königin Augusta und verließ
den Saal. Es war ja die schlimmste Periode der Konfliktszeit, und die hohe


Die neueste Auflage der Geflügelten Worte

Würden; sonst riefen die allegorischen Gestalten keine besondre Begeisterung
oder tiefere Empfindung hervor. Nur mit der Germania des Niederwald¬
denkmals macht er eine Ausnahme. Bei diesem Denkmal, sagt er, „suchen wir
keine weitere Beziehung zwischen der Germania und den als Beiwerk und
Schmuck auf den Reliefs und an den Ecken des Sockels befindlichen Figuren.
Denn ihr Blick ist in die Ferne gerichtet, in jene Ebne jenseits des Rheins,
wo der Erbfeind wohnt, dem ihre Geberde Unheil droht." Das ist ein un¬
befangnes und, wie wir glauben, zutreffendes Urteil über das Denkmal.

Aus der „Ährenlese" würden auch für andre Leute Früchte erwachsen,
wenn sich der Verfasser entschließen wollte, sein Werk durch den Buchhandel
allgemein zugänglich zu machen. Eine Kritik hat er nicht zu scheuen, da er
keine Ansprüche macht, sondern sich nur als Liebhaber von Kunst und Wissen¬
schaft vorstellt, der sich selbst genügen und daneben auch für rüstigere Bau¬
leute Werksteine herbeischaffen will. Außer den Fachgenossen, den besser und
den weniger wissenden Kritikern giebt es aber in Deutschland und der Schweiz
noch Sammler, die den altmodischen Namen „Bibliophilen" tragen. Sie werden
das Buch gern zum geschichtlichen Vergleich neben den vielgesuchten Drucken
der alten Basilea aufstellen und sehen, wie neue und alte Zeit nach Verlauf
von vier Jahrhunderten wieder zu gleichem künstlerischen Streben zusammen¬
gekommen sind.


Adolf Rosenberg


Die neueste Auflage der Geflügelten Worte

in Jahre 1864 hielt Georg Büchmann, Oberlehrer an der
Friedrich-Werderschen Gewerbeschule in Berlin, im Saale des
Berliner Schauspielhauses einen öffentlichen Vortrag über „land¬
läufige Zitate," denen er bei dieser Gelegenheit die homerische
Bezeichnung „geflügelte Worte" gab, die seitdem allgemein üblich
geworden ist. Ich erinnere mich noch recht gut, daß dieser Vortrag damals
einiges Aufsehen machte, weniger wegen seines fesselnden Inhalts, als wegen
eines kleinen damit verbundnen Vorkommnisses. Als nämlich der Vortragende
gegen Ende seines Vortrags auch auf historische Zitate jüngsten Datums kam
und darunter auch das Vismarckische Wort von der „Blut- und Eisenpolitik"
anführte, erhob sich die als ZuHörerin anwesende Königin Augusta und verließ
den Saal. Es war ja die schlimmste Periode der Konfliktszeit, und die hohe


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[0322] Die neueste Auflage der Geflügelten Worte Würden; sonst riefen die allegorischen Gestalten keine besondre Begeisterung oder tiefere Empfindung hervor. Nur mit der Germania des Niederwald¬ denkmals macht er eine Ausnahme. Bei diesem Denkmal, sagt er, „suchen wir keine weitere Beziehung zwischen der Germania und den als Beiwerk und Schmuck auf den Reliefs und an den Ecken des Sockels befindlichen Figuren. Denn ihr Blick ist in die Ferne gerichtet, in jene Ebne jenseits des Rheins, wo der Erbfeind wohnt, dem ihre Geberde Unheil droht." Das ist ein un¬ befangnes und, wie wir glauben, zutreffendes Urteil über das Denkmal. Aus der „Ährenlese" würden auch für andre Leute Früchte erwachsen, wenn sich der Verfasser entschließen wollte, sein Werk durch den Buchhandel allgemein zugänglich zu machen. Eine Kritik hat er nicht zu scheuen, da er keine Ansprüche macht, sondern sich nur als Liebhaber von Kunst und Wissen¬ schaft vorstellt, der sich selbst genügen und daneben auch für rüstigere Bau¬ leute Werksteine herbeischaffen will. Außer den Fachgenossen, den besser und den weniger wissenden Kritikern giebt es aber in Deutschland und der Schweiz noch Sammler, die den altmodischen Namen „Bibliophilen" tragen. Sie werden das Buch gern zum geschichtlichen Vergleich neben den vielgesuchten Drucken der alten Basilea aufstellen und sehen, wie neue und alte Zeit nach Verlauf von vier Jahrhunderten wieder zu gleichem künstlerischen Streben zusammen¬ gekommen sind. Adolf Rosenberg Die neueste Auflage der Geflügelten Worte in Jahre 1864 hielt Georg Büchmann, Oberlehrer an der Friedrich-Werderschen Gewerbeschule in Berlin, im Saale des Berliner Schauspielhauses einen öffentlichen Vortrag über „land¬ läufige Zitate," denen er bei dieser Gelegenheit die homerische Bezeichnung „geflügelte Worte" gab, die seitdem allgemein üblich geworden ist. Ich erinnere mich noch recht gut, daß dieser Vortrag damals einiges Aufsehen machte, weniger wegen seines fesselnden Inhalts, als wegen eines kleinen damit verbundnen Vorkommnisses. Als nämlich der Vortragende gegen Ende seines Vortrags auch auf historische Zitate jüngsten Datums kam und darunter auch das Vismarckische Wort von der „Blut- und Eisenpolitik" anführte, erhob sich die als ZuHörerin anwesende Königin Augusta und verließ den Saal. Es war ja die schlimmste Periode der Konfliktszeit, und die hohe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/322>, abgerufen am 27.04.2024.