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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Anselm Feuerbachs Leben und Aunst

noch schöner geklungen!): die künstlerische Verzierung, kann ich nur hinnehmen,
wie man die Gaben der Natur hinnimmt: in schweigender Bewunderung." Da
haben wir noch einmal den ganzen Henry Thode. Gnadengeschenke des Ge¬
nius -- diese harmlosen Blättchen!

Was fange ich aber nun mit den zwei Ringen des Frangipani an? Das
eine Exemplar muß ich natürlich zurückschicken, es hilft nichts. Das andre
aber werde ich einem "teuersten" Freunde schenken, der kuriose Bücher sammelt,
alte und neue. Ich hoffe, er wird es auch "in schweigender Bewunderung
^ ^ * hinnehmen."




Anselm jeuerbachs Leben und Kunst

uscia Feuerbach, der Maler, gehörte zu den vielen Stiefkindern
der Zeit, der wir die Eisenbahnen, die Photographie, die künst¬
lichen Nahrungsmittel und die Sozialdemokratie verdanken.
Heinrich von Treitschke ist eben dabei, diese wunderliche Zeit zu
schildern, in der sich das "Volk der Dichter und Denker" in die
Notwendigkeit versetzt sah, aus der Welt des schönen Scheins zu dem mitunter
sehr unschönen Wesen der politischen und sozialen Dunglehre überzugehen, sich
von der Kritik der reinen Vernunft zu der Produktion und Konsumtion der
radikalen Phrase zu wenden.

Anselm Feuerbach war im Jahre 1829 (12. September) geboren. So
geriet er gleich mit seinem ersten Lebensjahr in die Julirevolution des selbst¬
herrlich gewordnen Philistertums hinein. Gleich in diesem Jahre und an seiner
Geburt, d. h. durch ihre Folgen, verlor er seine Mutter, ein Wesen, "das,
hätte Jean Paul sie gekannt, als er seinen Titan schrieb, jedermann für das
Urbild der Liane gehalten haben würde." Er war der Neffe jenes Ludwig
Feuerbach, der nach einer verzweifelten dialektischen "Selbstzersetzung des Christen¬
tums" unter jedenfalls noch Verzweifeltern materialistischen Verdauungs¬
beschwerden dazu kam, die Lehre der französisch-englischen Kraftmeier und Stoff-
huber zu verschlingen und durch ein bäurisches Einsiedlerleben der Welt zu
beweisen, daß auch im Lande Immanuel Kants der Mensch in seiner Weise
"das ist, was er ißt." Diese Daten sagen genug. Er war aber zugleich der
Sohn Anselm Feuerbachs, des Freiburger Archäologen, des Verfassers eines
für die Wissenschaft mustergiltigen Buchs über den vatikanischen Apoll, eines
Buchs, das sich freilich noch überwiegend mehr an Winckelmann und Goethe, als


Anselm Feuerbachs Leben und Aunst

noch schöner geklungen!): die künstlerische Verzierung, kann ich nur hinnehmen,
wie man die Gaben der Natur hinnimmt: in schweigender Bewunderung." Da
haben wir noch einmal den ganzen Henry Thode. Gnadengeschenke des Ge¬
nius — diese harmlosen Blättchen!

Was fange ich aber nun mit den zwei Ringen des Frangipani an? Das
eine Exemplar muß ich natürlich zurückschicken, es hilft nichts. Das andre
aber werde ich einem „teuersten" Freunde schenken, der kuriose Bücher sammelt,
alte und neue. Ich hoffe, er wird es auch „in schweigender Bewunderung
^ ^ * hinnehmen."




Anselm jeuerbachs Leben und Kunst

uscia Feuerbach, der Maler, gehörte zu den vielen Stiefkindern
der Zeit, der wir die Eisenbahnen, die Photographie, die künst¬
lichen Nahrungsmittel und die Sozialdemokratie verdanken.
Heinrich von Treitschke ist eben dabei, diese wunderliche Zeit zu
schildern, in der sich das „Volk der Dichter und Denker" in die
Notwendigkeit versetzt sah, aus der Welt des schönen Scheins zu dem mitunter
sehr unschönen Wesen der politischen und sozialen Dunglehre überzugehen, sich
von der Kritik der reinen Vernunft zu der Produktion und Konsumtion der
radikalen Phrase zu wenden.

Anselm Feuerbach war im Jahre 1829 (12. September) geboren. So
geriet er gleich mit seinem ersten Lebensjahr in die Julirevolution des selbst¬
herrlich gewordnen Philistertums hinein. Gleich in diesem Jahre und an seiner
Geburt, d. h. durch ihre Folgen, verlor er seine Mutter, ein Wesen, „das,
hätte Jean Paul sie gekannt, als er seinen Titan schrieb, jedermann für das
Urbild der Liane gehalten haben würde." Er war der Neffe jenes Ludwig
Feuerbach, der nach einer verzweifelten dialektischen „Selbstzersetzung des Christen¬
tums" unter jedenfalls noch Verzweifeltern materialistischen Verdauungs¬
beschwerden dazu kam, die Lehre der französisch-englischen Kraftmeier und Stoff-
huber zu verschlingen und durch ein bäurisches Einsiedlerleben der Welt zu
beweisen, daß auch im Lande Immanuel Kants der Mensch in seiner Weise
„das ist, was er ißt." Diese Daten sagen genug. Er war aber zugleich der
Sohn Anselm Feuerbachs, des Freiburger Archäologen, des Verfassers eines
für die Wissenschaft mustergiltigen Buchs über den vatikanischen Apoll, eines
Buchs, das sich freilich noch überwiegend mehr an Winckelmann und Goethe, als


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[0034] Anselm Feuerbachs Leben und Aunst noch schöner geklungen!): die künstlerische Verzierung, kann ich nur hinnehmen, wie man die Gaben der Natur hinnimmt: in schweigender Bewunderung." Da haben wir noch einmal den ganzen Henry Thode. Gnadengeschenke des Ge¬ nius — diese harmlosen Blättchen! Was fange ich aber nun mit den zwei Ringen des Frangipani an? Das eine Exemplar muß ich natürlich zurückschicken, es hilft nichts. Das andre aber werde ich einem „teuersten" Freunde schenken, der kuriose Bücher sammelt, alte und neue. Ich hoffe, er wird es auch „in schweigender Bewunderung ^ ^ * hinnehmen." Anselm jeuerbachs Leben und Kunst uscia Feuerbach, der Maler, gehörte zu den vielen Stiefkindern der Zeit, der wir die Eisenbahnen, die Photographie, die künst¬ lichen Nahrungsmittel und die Sozialdemokratie verdanken. Heinrich von Treitschke ist eben dabei, diese wunderliche Zeit zu schildern, in der sich das „Volk der Dichter und Denker" in die Notwendigkeit versetzt sah, aus der Welt des schönen Scheins zu dem mitunter sehr unschönen Wesen der politischen und sozialen Dunglehre überzugehen, sich von der Kritik der reinen Vernunft zu der Produktion und Konsumtion der radikalen Phrase zu wenden. Anselm Feuerbach war im Jahre 1829 (12. September) geboren. So geriet er gleich mit seinem ersten Lebensjahr in die Julirevolution des selbst¬ herrlich gewordnen Philistertums hinein. Gleich in diesem Jahre und an seiner Geburt, d. h. durch ihre Folgen, verlor er seine Mutter, ein Wesen, „das, hätte Jean Paul sie gekannt, als er seinen Titan schrieb, jedermann für das Urbild der Liane gehalten haben würde." Er war der Neffe jenes Ludwig Feuerbach, der nach einer verzweifelten dialektischen „Selbstzersetzung des Christen¬ tums" unter jedenfalls noch Verzweifeltern materialistischen Verdauungs¬ beschwerden dazu kam, die Lehre der französisch-englischen Kraftmeier und Stoff- huber zu verschlingen und durch ein bäurisches Einsiedlerleben der Welt zu beweisen, daß auch im Lande Immanuel Kants der Mensch in seiner Weise „das ist, was er ißt." Diese Daten sagen genug. Er war aber zugleich der Sohn Anselm Feuerbachs, des Freiburger Archäologen, des Verfassers eines für die Wissenschaft mustergiltigen Buchs über den vatikanischen Apoll, eines Buchs, das sich freilich noch überwiegend mehr an Winckelmann und Goethe, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/34>, abgerufen am 27.04.2024.