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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Bismarcks Nachfolger

n frühern Besprechungen von Rumänen Theophil Zollings haben
wir gesagt, daß er zu den besten Erzählern der Gegenwart ge¬
höre. Diese Behauptung wird anch durch seinen neuesten Roman
bestätigt. Um ohne lange Vorrede gleich zur Sache zu kommen:
er schlägt in "Bismarcks Nachfolger" (Verlag der Gegenwart,
Berlin) dasselbe Verfahren ein, das er in allen seinen frühern Erzählungen
befolgt hat, das Verfahren, sich ein bestimmtes Lebensgebiet auszusuchen und
innerhalb seiner festen Grenzen die Handlung sich abspielen zu lassen. Wie
in "Frau Minne" die Kunst, in den "Knlissengeistern" das Theater, in der
"Million" die soziale Frage das sogenannte Milien bildet, so bildet in "Bismarcks
Nachfolger" die politische Lage Deutschlands nach Bismarcks Entlassung den
Umkreis, in den der Dichter seine Erzählung hineinstellt.

Der junge süddeutsche NeichStagsabgeordnete Hornung aus Hohenzollern,
der, einem der Wissenschaft und ruhigem Genuß geweihten Leben entrissen,
Plötzlich in die politische und parlamentarische Verwirrung des "neuen Kurses"
hineingeworfen wird, bildet die Hauptfigur des Romans, dessen Vorzug,
um das gleich hier zu sagen, nicht etwa darin besteht, daß er das neueste
vom Tage bringt, sondern darin, daß er das, was alle kennen, dem Leser in
künstlerischer Abklärung vor Augen führt. Von Idealismus erfüllt und voll
des besten Willens, soviel an ihm liegt, den Gang der Politik auf der natio¬
nalen Höhe zu halten, die ihr von dem ersten Kanzler gegeben worden ist,
sieht Fritz Hornung sehr bald ein, daß der Weg, den er gehen will, keines¬
wegs leicht und dornenlos ist. Gleich die ersten Begegnungen mit andern
Mitgliedern des Reichstags zeigen ihm, daß in der Regel die kleinlichen Rück¬
sichten auf maßgebende Persönlichkeit".'!!, vor allem aber Fraktionsinteressen
den Ausschlag gebe". Wenn er selber, von Begeisterung hingerissen, immer
bloß die Sache in den Vordergrund zu stellen bemüht ist, so haben seine
Freunde meist nnr die eignen Interessen im Ange: wiederholt macht er die
Erfahrung, daß, solange die Zuhörer nur theoretisch Stellung zu nehmen
brauchen, seinen Ausführungen lauter Beifall folgt, daß aber, sobald es darauf
ankommt, durch die That Farbe zu bekennen, die bejahenden Stimmen ins
Gegenteil umschlagen. Sein Anfenthalt in der Reichshauptstadt hat erst wenige




Bismarcks Nachfolger

n frühern Besprechungen von Rumänen Theophil Zollings haben
wir gesagt, daß er zu den besten Erzählern der Gegenwart ge¬
höre. Diese Behauptung wird anch durch seinen neuesten Roman
bestätigt. Um ohne lange Vorrede gleich zur Sache zu kommen:
er schlägt in „Bismarcks Nachfolger" (Verlag der Gegenwart,
Berlin) dasselbe Verfahren ein, das er in allen seinen frühern Erzählungen
befolgt hat, das Verfahren, sich ein bestimmtes Lebensgebiet auszusuchen und
innerhalb seiner festen Grenzen die Handlung sich abspielen zu lassen. Wie
in „Frau Minne" die Kunst, in den „Knlissengeistern" das Theater, in der
„Million" die soziale Frage das sogenannte Milien bildet, so bildet in „Bismarcks
Nachfolger" die politische Lage Deutschlands nach Bismarcks Entlassung den
Umkreis, in den der Dichter seine Erzählung hineinstellt.

Der junge süddeutsche NeichStagsabgeordnete Hornung aus Hohenzollern,
der, einem der Wissenschaft und ruhigem Genuß geweihten Leben entrissen,
Plötzlich in die politische und parlamentarische Verwirrung des „neuen Kurses"
hineingeworfen wird, bildet die Hauptfigur des Romans, dessen Vorzug,
um das gleich hier zu sagen, nicht etwa darin besteht, daß er das neueste
vom Tage bringt, sondern darin, daß er das, was alle kennen, dem Leser in
künstlerischer Abklärung vor Augen führt. Von Idealismus erfüllt und voll
des besten Willens, soviel an ihm liegt, den Gang der Politik auf der natio¬
nalen Höhe zu halten, die ihr von dem ersten Kanzler gegeben worden ist,
sieht Fritz Hornung sehr bald ein, daß der Weg, den er gehen will, keines¬
wegs leicht und dornenlos ist. Gleich die ersten Begegnungen mit andern
Mitgliedern des Reichstags zeigen ihm, daß in der Regel die kleinlichen Rück¬
sichten auf maßgebende Persönlichkeit«.'!!, vor allem aber Fraktionsinteressen
den Ausschlag gebe». Wenn er selber, von Begeisterung hingerissen, immer
bloß die Sache in den Vordergrund zu stellen bemüht ist, so haben seine
Freunde meist nnr die eignen Interessen im Ange: wiederholt macht er die
Erfahrung, daß, solange die Zuhörer nur theoretisch Stellung zu nehmen
brauchen, seinen Ausführungen lauter Beifall folgt, daß aber, sobald es darauf
ankommt, durch die That Farbe zu bekennen, die bejahenden Stimmen ins
Gegenteil umschlagen. Sein Anfenthalt in der Reichshauptstadt hat erst wenige


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[0043] [Abbildung] Bismarcks Nachfolger n frühern Besprechungen von Rumänen Theophil Zollings haben wir gesagt, daß er zu den besten Erzählern der Gegenwart ge¬ höre. Diese Behauptung wird anch durch seinen neuesten Roman bestätigt. Um ohne lange Vorrede gleich zur Sache zu kommen: er schlägt in „Bismarcks Nachfolger" (Verlag der Gegenwart, Berlin) dasselbe Verfahren ein, das er in allen seinen frühern Erzählungen befolgt hat, das Verfahren, sich ein bestimmtes Lebensgebiet auszusuchen und innerhalb seiner festen Grenzen die Handlung sich abspielen zu lassen. Wie in „Frau Minne" die Kunst, in den „Knlissengeistern" das Theater, in der „Million" die soziale Frage das sogenannte Milien bildet, so bildet in „Bismarcks Nachfolger" die politische Lage Deutschlands nach Bismarcks Entlassung den Umkreis, in den der Dichter seine Erzählung hineinstellt. Der junge süddeutsche NeichStagsabgeordnete Hornung aus Hohenzollern, der, einem der Wissenschaft und ruhigem Genuß geweihten Leben entrissen, Plötzlich in die politische und parlamentarische Verwirrung des „neuen Kurses" hineingeworfen wird, bildet die Hauptfigur des Romans, dessen Vorzug, um das gleich hier zu sagen, nicht etwa darin besteht, daß er das neueste vom Tage bringt, sondern darin, daß er das, was alle kennen, dem Leser in künstlerischer Abklärung vor Augen führt. Von Idealismus erfüllt und voll des besten Willens, soviel an ihm liegt, den Gang der Politik auf der natio¬ nalen Höhe zu halten, die ihr von dem ersten Kanzler gegeben worden ist, sieht Fritz Hornung sehr bald ein, daß der Weg, den er gehen will, keines¬ wegs leicht und dornenlos ist. Gleich die ersten Begegnungen mit andern Mitgliedern des Reichstags zeigen ihm, daß in der Regel die kleinlichen Rück¬ sichten auf maßgebende Persönlichkeit«.'!!, vor allem aber Fraktionsinteressen den Ausschlag gebe». Wenn er selber, von Begeisterung hingerissen, immer bloß die Sache in den Vordergrund zu stellen bemüht ist, so haben seine Freunde meist nnr die eignen Interessen im Ange: wiederholt macht er die Erfahrung, daß, solange die Zuhörer nur theoretisch Stellung zu nehmen brauchen, seinen Ausführungen lauter Beifall folgt, daß aber, sobald es darauf ankommt, durch die That Farbe zu bekennen, die bejahenden Stimmen ins Gegenteil umschlagen. Sein Anfenthalt in der Reichshauptstadt hat erst wenige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/43>, abgerufen am 28.04.2024.