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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Stölzels juristische Lehrmethode

schafft werden muß, nicht offen gehalten und unsre Handelsschiffahrt nicht ge¬
schützt werden. Dazu ist die Flotte nötig, dringend nötig; je stärker sie ist,
desto besser für uns. Wer aber von dieser Notwendigkeit überzeugt ist, der
gehe hin und versuche die Unkundigen und Wankelmütigen in unserm Lande
der bedächtigen und oft auch bedenklichen Denker zu überzeugen. In Frank¬
reich wurde 1892 von der Volksvertretung der Kostenanschlag für die Flotte
fast um vierzig Millionen Franks erhöht, nur in dem Bestreben, die Wehr¬
fähigkeit des Vaterlandes zu stärken. Wo sind bei uns die Männer, die aus
Liebe zum Vaterlande alle Sonderbestrebungen vergessen, um mit gleicher
Einigkeit wie die französischen Abgeordneten die bescheidnen Forderungen unsrer
Marineverwaltung zu bewilligen? Mit jedem Kreuzer, der bewilligt wird, be¬
kommen deutsche Arbeiter Brot, und mit jedem Kreuzer mehr wächst die Aus¬
sicht, daß die vielen Besitzlosen in unserm Lande in irgend einem Erdteile
guten deutschen Grund und Boden zugeteilt bekommen können. Mehr Kreuzer
aber brauchen wir vor allem auch zum Schutze unsrer Handelsflotte, wir
müssen den französischen Seestrategen mit ihrem eignen Sprichworte dienen:
^ oorsairs oorskirs or Äsini.




^tölzels juristische Lehrmethode

er Präsident der preußischen Justizprüfungskommission, Stölzel,
hat im Wintersemester 1893/94 an der Berliner Universität eine
Reihe öffentlicher Vorlesungen über Rechtsfälle aus der zivilistischen
Praxis gehalten, die nicht bloß bei den Studenten und Referen¬
daren, sondern auch bei den schon im Amte stehenden Juristen
und selbst in Laienkreisen Aufsehen und Interesse erregten. Aus dem ur¬
sprünglich gewählten kleinen Hörsaal mußte bald in einen großen, der 600
Plätze enthielt, übergesiedelt werden, und dieser war den ganzen Winter über
fast vollständig gefüllt.

Diese rege Teilnahme hatte ganz gewiß nicht bloß darin ihren Grund,
daß hier der Präsident der Prüfungskommission sprach, dem viele der Hörer
früher oder später vors Messer kommen mußten; so könnte nur der urteilen,
der den Mann nicht selber gehört hat. Wer ihn gehört hat, wird bezeugen,
daß der Grund nicht in dem Range und der Stellung des Vortragenden lag,
sondern in seiner Persönlichkeit und in der Besonderheit der Darstellungsweise,
die ein Lchrgeschick aufwies, wie es selten vorkommt. Dabei beherrschte den


Stölzels juristische Lehrmethode

schafft werden muß, nicht offen gehalten und unsre Handelsschiffahrt nicht ge¬
schützt werden. Dazu ist die Flotte nötig, dringend nötig; je stärker sie ist,
desto besser für uns. Wer aber von dieser Notwendigkeit überzeugt ist, der
gehe hin und versuche die Unkundigen und Wankelmütigen in unserm Lande
der bedächtigen und oft auch bedenklichen Denker zu überzeugen. In Frank¬
reich wurde 1892 von der Volksvertretung der Kostenanschlag für die Flotte
fast um vierzig Millionen Franks erhöht, nur in dem Bestreben, die Wehr¬
fähigkeit des Vaterlandes zu stärken. Wo sind bei uns die Männer, die aus
Liebe zum Vaterlande alle Sonderbestrebungen vergessen, um mit gleicher
Einigkeit wie die französischen Abgeordneten die bescheidnen Forderungen unsrer
Marineverwaltung zu bewilligen? Mit jedem Kreuzer, der bewilligt wird, be¬
kommen deutsche Arbeiter Brot, und mit jedem Kreuzer mehr wächst die Aus¬
sicht, daß die vielen Besitzlosen in unserm Lande in irgend einem Erdteile
guten deutschen Grund und Boden zugeteilt bekommen können. Mehr Kreuzer
aber brauchen wir vor allem auch zum Schutze unsrer Handelsflotte, wir
müssen den französischen Seestrategen mit ihrem eignen Sprichworte dienen:
^ oorsairs oorskirs or Äsini.




^tölzels juristische Lehrmethode

er Präsident der preußischen Justizprüfungskommission, Stölzel,
hat im Wintersemester 1893/94 an der Berliner Universität eine
Reihe öffentlicher Vorlesungen über Rechtsfälle aus der zivilistischen
Praxis gehalten, die nicht bloß bei den Studenten und Referen¬
daren, sondern auch bei den schon im Amte stehenden Juristen
und selbst in Laienkreisen Aufsehen und Interesse erregten. Aus dem ur¬
sprünglich gewählten kleinen Hörsaal mußte bald in einen großen, der 600
Plätze enthielt, übergesiedelt werden, und dieser war den ganzen Winter über
fast vollständig gefüllt.

Diese rege Teilnahme hatte ganz gewiß nicht bloß darin ihren Grund,
daß hier der Präsident der Prüfungskommission sprach, dem viele der Hörer
früher oder später vors Messer kommen mußten; so könnte nur der urteilen,
der den Mann nicht selber gehört hat. Wer ihn gehört hat, wird bezeugen,
daß der Grund nicht in dem Range und der Stellung des Vortragenden lag,
sondern in seiner Persönlichkeit und in der Besonderheit der Darstellungsweise,
die ein Lchrgeschick aufwies, wie es selten vorkommt. Dabei beherrschte den


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[0458] Stölzels juristische Lehrmethode schafft werden muß, nicht offen gehalten und unsre Handelsschiffahrt nicht ge¬ schützt werden. Dazu ist die Flotte nötig, dringend nötig; je stärker sie ist, desto besser für uns. Wer aber von dieser Notwendigkeit überzeugt ist, der gehe hin und versuche die Unkundigen und Wankelmütigen in unserm Lande der bedächtigen und oft auch bedenklichen Denker zu überzeugen. In Frank¬ reich wurde 1892 von der Volksvertretung der Kostenanschlag für die Flotte fast um vierzig Millionen Franks erhöht, nur in dem Bestreben, die Wehr¬ fähigkeit des Vaterlandes zu stärken. Wo sind bei uns die Männer, die aus Liebe zum Vaterlande alle Sonderbestrebungen vergessen, um mit gleicher Einigkeit wie die französischen Abgeordneten die bescheidnen Forderungen unsrer Marineverwaltung zu bewilligen? Mit jedem Kreuzer, der bewilligt wird, be¬ kommen deutsche Arbeiter Brot, und mit jedem Kreuzer mehr wächst die Aus¬ sicht, daß die vielen Besitzlosen in unserm Lande in irgend einem Erdteile guten deutschen Grund und Boden zugeteilt bekommen können. Mehr Kreuzer aber brauchen wir vor allem auch zum Schutze unsrer Handelsflotte, wir müssen den französischen Seestrategen mit ihrem eignen Sprichworte dienen: ^ oorsairs oorskirs or Äsini. ^tölzels juristische Lehrmethode er Präsident der preußischen Justizprüfungskommission, Stölzel, hat im Wintersemester 1893/94 an der Berliner Universität eine Reihe öffentlicher Vorlesungen über Rechtsfälle aus der zivilistischen Praxis gehalten, die nicht bloß bei den Studenten und Referen¬ daren, sondern auch bei den schon im Amte stehenden Juristen und selbst in Laienkreisen Aufsehen und Interesse erregten. Aus dem ur¬ sprünglich gewählten kleinen Hörsaal mußte bald in einen großen, der 600 Plätze enthielt, übergesiedelt werden, und dieser war den ganzen Winter über fast vollständig gefüllt. Diese rege Teilnahme hatte ganz gewiß nicht bloß darin ihren Grund, daß hier der Präsident der Prüfungskommission sprach, dem viele der Hörer früher oder später vors Messer kommen mußten; so könnte nur der urteilen, der den Mann nicht selber gehört hat. Wer ihn gehört hat, wird bezeugen, daß der Grund nicht in dem Range und der Stellung des Vortragenden lag, sondern in seiner Persönlichkeit und in der Besonderheit der Darstellungsweise, die ein Lchrgeschick aufwies, wie es selten vorkommt. Dabei beherrschte den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/458>, abgerufen am 27.04.2024.