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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die protestantische Kirche und die soziale Frage

le soziale Frage, die alle Welt beunruhigt, hat seit etwa fünf
Jahren auch die protestantische Kirche in eine heftige, gährende
Bewegung versetzt. Während früher fast allgemein die Ansicht
herrschte, daß die protestantische Kirche in der sozialen Frage
eigentlich gar keine besondre Aufgabe habe, weil ihr Beruf ein
wesentlich geistlicher und ihre Güter himmlische seien, hat diese Ansicht jetzt
einer andern weichen müssen. Nicht etwa jugendliche Heißsporne und uner¬
fahrne Geistliche, nein im Amt ergraute Männer, wie Abt Dr. Uhlhorn und an¬
gesehene Professoren der Theologie, wie Professor Dr. Martin v. Nathusius
treten auf und weisen auf eine Aufgabe der Kirche der Gegenwart hin, wie
sie ihr seit der Völkerwanderung kaum gestellt gewesen sein dürfte. Aber die
Wege, die der Kirche von diesen Männern gezeigt werden, sind falsch, und die
allein möglichen sollen sich aus dein folgenden ergeben.

Daß die protestantische Kirche in der Gegenwart eine besondre Aufgabe
hat, setzen wir dabei als selbstverständlich und anerkannt voraus.

Die Lösung dieser besondern Aufgabe kann nun versucht werden auf ganz
neuen Wegen, oder auf dem alten geschichtlich gewordnen Wege, oder drittens
auf einem nur scheinbar neuen Wege, der sich der Entwicklung der alten Kirche
und besonders der von Schottland und Amerika in neuerer Zeit anschließt.
Jeder dieser drei Wege hat seine besondern Freunde und Vertreter, der zweite,
wie erklärlich, die meisten, weil sich hier die Trägheit und Bequemlichkeit und
vor allem auch der Büreaukratismus am meisten verstecken kann. Der dritte
Weg hat vielleicht die wenigsten Freunde, aber nach meiner festen Überzeugung
hat er allein die Zukunft.

Zuerst also sagt man, und hier dürften Naumann in Frankfurt einer¬
seits und Stöcker und Weber nud in Verbindung mit ihnen die evange-


Grenzbote" I 1U"ü u"


Die protestantische Kirche und die soziale Frage

le soziale Frage, die alle Welt beunruhigt, hat seit etwa fünf
Jahren auch die protestantische Kirche in eine heftige, gährende
Bewegung versetzt. Während früher fast allgemein die Ansicht
herrschte, daß die protestantische Kirche in der sozialen Frage
eigentlich gar keine besondre Aufgabe habe, weil ihr Beruf ein
wesentlich geistlicher und ihre Güter himmlische seien, hat diese Ansicht jetzt
einer andern weichen müssen. Nicht etwa jugendliche Heißsporne und uner¬
fahrne Geistliche, nein im Amt ergraute Männer, wie Abt Dr. Uhlhorn und an¬
gesehene Professoren der Theologie, wie Professor Dr. Martin v. Nathusius
treten auf und weisen auf eine Aufgabe der Kirche der Gegenwart hin, wie
sie ihr seit der Völkerwanderung kaum gestellt gewesen sein dürfte. Aber die
Wege, die der Kirche von diesen Männern gezeigt werden, sind falsch, und die
allein möglichen sollen sich aus dein folgenden ergeben.

Daß die protestantische Kirche in der Gegenwart eine besondre Aufgabe
hat, setzen wir dabei als selbstverständlich und anerkannt voraus.

Die Lösung dieser besondern Aufgabe kann nun versucht werden auf ganz
neuen Wegen, oder auf dem alten geschichtlich gewordnen Wege, oder drittens
auf einem nur scheinbar neuen Wege, der sich der Entwicklung der alten Kirche
und besonders der von Schottland und Amerika in neuerer Zeit anschließt.
Jeder dieser drei Wege hat seine besondern Freunde und Vertreter, der zweite,
wie erklärlich, die meisten, weil sich hier die Trägheit und Bequemlichkeit und
vor allem auch der Büreaukratismus am meisten verstecken kann. Der dritte
Weg hat vielleicht die wenigsten Freunde, aber nach meiner festen Überzeugung
hat er allein die Zukunft.

Zuerst also sagt man, und hier dürften Naumann in Frankfurt einer¬
seits und Stöcker und Weber nud in Verbindung mit ihnen die evange-


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[0507] [Abbildung] Die protestantische Kirche und die soziale Frage le soziale Frage, die alle Welt beunruhigt, hat seit etwa fünf Jahren auch die protestantische Kirche in eine heftige, gährende Bewegung versetzt. Während früher fast allgemein die Ansicht herrschte, daß die protestantische Kirche in der sozialen Frage eigentlich gar keine besondre Aufgabe habe, weil ihr Beruf ein wesentlich geistlicher und ihre Güter himmlische seien, hat diese Ansicht jetzt einer andern weichen müssen. Nicht etwa jugendliche Heißsporne und uner¬ fahrne Geistliche, nein im Amt ergraute Männer, wie Abt Dr. Uhlhorn und an¬ gesehene Professoren der Theologie, wie Professor Dr. Martin v. Nathusius treten auf und weisen auf eine Aufgabe der Kirche der Gegenwart hin, wie sie ihr seit der Völkerwanderung kaum gestellt gewesen sein dürfte. Aber die Wege, die der Kirche von diesen Männern gezeigt werden, sind falsch, und die allein möglichen sollen sich aus dein folgenden ergeben. Daß die protestantische Kirche in der Gegenwart eine besondre Aufgabe hat, setzen wir dabei als selbstverständlich und anerkannt voraus. Die Lösung dieser besondern Aufgabe kann nun versucht werden auf ganz neuen Wegen, oder auf dem alten geschichtlich gewordnen Wege, oder drittens auf einem nur scheinbar neuen Wege, der sich der Entwicklung der alten Kirche und besonders der von Schottland und Amerika in neuerer Zeit anschließt. Jeder dieser drei Wege hat seine besondern Freunde und Vertreter, der zweite, wie erklärlich, die meisten, weil sich hier die Trägheit und Bequemlichkeit und vor allem auch der Büreaukratismus am meisten verstecken kann. Der dritte Weg hat vielleicht die wenigsten Freunde, aber nach meiner festen Überzeugung hat er allein die Zukunft. Zuerst also sagt man, und hier dürften Naumann in Frankfurt einer¬ seits und Stöcker und Weber nud in Verbindung mit ihnen die evange- Grenzbote» I 1U»ü u»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/507>, abgerufen am 28.04.2024.