Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wald und Wasser

Organisation, und dazu ist sie inwendig so zerklüftet, daß einem aufrichtigen,
begeisterten Protestanten oft angst und bange um die Zukunft werden kann.
Dazu kommt dann, daß die mit Fleiß genährte falsche Vorstellung des Vor¬
handenseins eines christlichen Staats und einer christlichen Obrigkeit diese neue
Entwicklung geradezu hindern muß. Deal in dieser falschen Vorstellung hat
das Staatskirchentnm und das Landeskirchentum seine Wurzeln, und es sieht
sein Ende vor Augen, sobald diese Verblendung der Erkenntnis der Wahrheit
gewichen ist. Am Staatskirchentnm hängen aber fast alle protestantischen Par¬
teien, fast mit alleiniger Ausnahme der sozialdemokratischen, die wir aber hier,
weil sie von ganz andern Ideen getrieben wird, außer Acht lassen können.
Man fürchtet, das protestantische Christentum werde einen zu gewaltigen Stoß
bekommen durch Abdeckung dieses Notdaches, und die Diener der Kirche sehen
voller Sorge in die Zukunft und fragen, wer ihnen dann den Lebensunterhalt
verbürgen solle, wenn dieses Notdach abgetragen wäre. Diese Sorge ist ver¬
ständlich, aber sie ist doch nur ein Verzweifeln an dem echten Protestantischen
Glauben, eine Verzagtheit, die des Menschen Arm für stärker hält als
Gottes Arm.

Es handelt sich doch darum, ob das Staatslirchentum den Grundsätzen
des Protestantismus noch entspricht. Ist diese Frage zu verneinen, dann er¬
geben sich die Folgen ganz von selbst: das Staatskirchentnm hält die gesunde
Entwicklung wie mit eisernen Ketten gefangen und macht die Kirche zu einer
Abteilung des religionslosen Staats, zu einer Dienerin der Mächte, die in
dem gegenwärtigen Klassenstaate die Macht in den Händen haben.

Trotz aller Hindernisse aber muß die gestellte Aufgabe gelöst werden.
Unser Volk bedarf einer sittlichen Wiedergeburt, wenn es nicht zu Grunde
gehen soll. An dieser sittlichen Wiedergeburt mitzuarbeiten haben aber alle
protestantischen Christen einen heiligen Beruf.


L. Schall


Wald und Wasser
Beobachtungen eines Laien inund

as Aufblühen der Industrie und die Zunahme der Bevölkerung
einer Gegeud hängen mit einander zusammen. Auch der Land¬
wirtschaft erwachsen Vorteile daraus. Der Wert des Grund und
Bodens steigt; die landwirtschaftlichen Erzeugnisse finden an den
Jndustriemittelpuukten bequemen und lohnenden Absatz; Milch¬
wirtschaft und Gemüseban werden einträglich. Der Landwirt verdient und wird


Wald und Wasser

Organisation, und dazu ist sie inwendig so zerklüftet, daß einem aufrichtigen,
begeisterten Protestanten oft angst und bange um die Zukunft werden kann.
Dazu kommt dann, daß die mit Fleiß genährte falsche Vorstellung des Vor¬
handenseins eines christlichen Staats und einer christlichen Obrigkeit diese neue
Entwicklung geradezu hindern muß. Deal in dieser falschen Vorstellung hat
das Staatskirchentnm und das Landeskirchentum seine Wurzeln, und es sieht
sein Ende vor Augen, sobald diese Verblendung der Erkenntnis der Wahrheit
gewichen ist. Am Staatskirchentnm hängen aber fast alle protestantischen Par¬
teien, fast mit alleiniger Ausnahme der sozialdemokratischen, die wir aber hier,
weil sie von ganz andern Ideen getrieben wird, außer Acht lassen können.
Man fürchtet, das protestantische Christentum werde einen zu gewaltigen Stoß
bekommen durch Abdeckung dieses Notdaches, und die Diener der Kirche sehen
voller Sorge in die Zukunft und fragen, wer ihnen dann den Lebensunterhalt
verbürgen solle, wenn dieses Notdach abgetragen wäre. Diese Sorge ist ver¬
ständlich, aber sie ist doch nur ein Verzweifeln an dem echten Protestantischen
Glauben, eine Verzagtheit, die des Menschen Arm für stärker hält als
Gottes Arm.

Es handelt sich doch darum, ob das Staatslirchentum den Grundsätzen
des Protestantismus noch entspricht. Ist diese Frage zu verneinen, dann er¬
geben sich die Folgen ganz von selbst: das Staatskirchentnm hält die gesunde
Entwicklung wie mit eisernen Ketten gefangen und macht die Kirche zu einer
Abteilung des religionslosen Staats, zu einer Dienerin der Mächte, die in
dem gegenwärtigen Klassenstaate die Macht in den Händen haben.

Trotz aller Hindernisse aber muß die gestellte Aufgabe gelöst werden.
Unser Volk bedarf einer sittlichen Wiedergeburt, wenn es nicht zu Grunde
gehen soll. An dieser sittlichen Wiedergeburt mitzuarbeiten haben aber alle
protestantischen Christen einen heiligen Beruf.


L. Schall


Wald und Wasser
Beobachtungen eines Laien inund

as Aufblühen der Industrie und die Zunahme der Bevölkerung
einer Gegeud hängen mit einander zusammen. Auch der Land¬
wirtschaft erwachsen Vorteile daraus. Der Wert des Grund und
Bodens steigt; die landwirtschaftlichen Erzeugnisse finden an den
Jndustriemittelpuukten bequemen und lohnenden Absatz; Milch¬
wirtschaft und Gemüseban werden einträglich. Der Landwirt verdient und wird


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219522"/>
          <fw type="header" place="top"> Wald und Wasser</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1536" prev="#ID_1535"> Organisation, und dazu ist sie inwendig so zerklüftet, daß einem aufrichtigen,<lb/>
begeisterten Protestanten oft angst und bange um die Zukunft werden kann.<lb/>
Dazu kommt dann, daß die mit Fleiß genährte falsche Vorstellung des Vor¬<lb/>
handenseins eines christlichen Staats und einer christlichen Obrigkeit diese neue<lb/>
Entwicklung geradezu hindern muß. Deal in dieser falschen Vorstellung hat<lb/>
das Staatskirchentnm und das Landeskirchentum seine Wurzeln, und es sieht<lb/>
sein Ende vor Augen, sobald diese Verblendung der Erkenntnis der Wahrheit<lb/>
gewichen ist. Am Staatskirchentnm hängen aber fast alle protestantischen Par¬<lb/>
teien, fast mit alleiniger Ausnahme der sozialdemokratischen, die wir aber hier,<lb/>
weil sie von ganz andern Ideen getrieben wird, außer Acht lassen können.<lb/>
Man fürchtet, das protestantische Christentum werde einen zu gewaltigen Stoß<lb/>
bekommen durch Abdeckung dieses Notdaches, und die Diener der Kirche sehen<lb/>
voller Sorge in die Zukunft und fragen, wer ihnen dann den Lebensunterhalt<lb/>
verbürgen solle, wenn dieses Notdach abgetragen wäre. Diese Sorge ist ver¬<lb/>
ständlich, aber sie ist doch nur ein Verzweifeln an dem echten Protestantischen<lb/>
Glauben, eine Verzagtheit, die des Menschen Arm für stärker hält als<lb/>
Gottes Arm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1537"> Es handelt sich doch darum, ob das Staatslirchentum den Grundsätzen<lb/>
des Protestantismus noch entspricht. Ist diese Frage zu verneinen, dann er¬<lb/>
geben sich die Folgen ganz von selbst: das Staatskirchentnm hält die gesunde<lb/>
Entwicklung wie mit eisernen Ketten gefangen und macht die Kirche zu einer<lb/>
Abteilung des religionslosen Staats, zu einer Dienerin der Mächte, die in<lb/>
dem gegenwärtigen Klassenstaate die Macht in den Händen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1538"> Trotz aller Hindernisse aber muß die gestellte Aufgabe gelöst werden.<lb/>
Unser Volk bedarf einer sittlichen Wiedergeburt, wenn es nicht zu Grunde<lb/>
gehen soll. An dieser sittlichen Wiedergeburt mitzuarbeiten haben aber alle<lb/>
protestantischen Christen einen heiligen Beruf.</p><lb/>
          <note type="byline"> L. Schall</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wald und Wasser<lb/><note type="byline"> Beobachtungen eines Laien </note> inund</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1539" next="#ID_1540"> as Aufblühen der Industrie und die Zunahme der Bevölkerung<lb/>
einer Gegeud hängen mit einander zusammen. Auch der Land¬<lb/>
wirtschaft erwachsen Vorteile daraus. Der Wert des Grund und<lb/>
Bodens steigt; die landwirtschaftlichen Erzeugnisse finden an den<lb/>
Jndustriemittelpuukten bequemen und lohnenden Absatz; Milch¬<lb/>
wirtschaft und Gemüseban werden einträglich. Der Landwirt verdient und wird</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Wald und Wasser Organisation, und dazu ist sie inwendig so zerklüftet, daß einem aufrichtigen, begeisterten Protestanten oft angst und bange um die Zukunft werden kann. Dazu kommt dann, daß die mit Fleiß genährte falsche Vorstellung des Vor¬ handenseins eines christlichen Staats und einer christlichen Obrigkeit diese neue Entwicklung geradezu hindern muß. Deal in dieser falschen Vorstellung hat das Staatskirchentnm und das Landeskirchentum seine Wurzeln, und es sieht sein Ende vor Augen, sobald diese Verblendung der Erkenntnis der Wahrheit gewichen ist. Am Staatskirchentnm hängen aber fast alle protestantischen Par¬ teien, fast mit alleiniger Ausnahme der sozialdemokratischen, die wir aber hier, weil sie von ganz andern Ideen getrieben wird, außer Acht lassen können. Man fürchtet, das protestantische Christentum werde einen zu gewaltigen Stoß bekommen durch Abdeckung dieses Notdaches, und die Diener der Kirche sehen voller Sorge in die Zukunft und fragen, wer ihnen dann den Lebensunterhalt verbürgen solle, wenn dieses Notdach abgetragen wäre. Diese Sorge ist ver¬ ständlich, aber sie ist doch nur ein Verzweifeln an dem echten Protestantischen Glauben, eine Verzagtheit, die des Menschen Arm für stärker hält als Gottes Arm. Es handelt sich doch darum, ob das Staatslirchentum den Grundsätzen des Protestantismus noch entspricht. Ist diese Frage zu verneinen, dann er¬ geben sich die Folgen ganz von selbst: das Staatskirchentnm hält die gesunde Entwicklung wie mit eisernen Ketten gefangen und macht die Kirche zu einer Abteilung des religionslosen Staats, zu einer Dienerin der Mächte, die in dem gegenwärtigen Klassenstaate die Macht in den Händen haben. Trotz aller Hindernisse aber muß die gestellte Aufgabe gelöst werden. Unser Volk bedarf einer sittlichen Wiedergeburt, wenn es nicht zu Grunde gehen soll. An dieser sittlichen Wiedergeburt mitzuarbeiten haben aber alle protestantischen Christen einen heiligen Beruf. L. Schall Wald und Wasser Beobachtungen eines Laien inund as Aufblühen der Industrie und die Zunahme der Bevölkerung einer Gegeud hängen mit einander zusammen. Auch der Land¬ wirtschaft erwachsen Vorteile daraus. Der Wert des Grund und Bodens steigt; die landwirtschaftlichen Erzeugnisse finden an den Jndustriemittelpuukten bequemen und lohnenden Absatz; Milch¬ wirtschaft und Gemüseban werden einträglich. Der Landwirt verdient und wird

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/520>, abgerufen am 28.04.2024.