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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Da traf ich meine Frau wieder. Die Kleinen hatten sich voll Pfannkuchen
gefressen und hatten die Taschen voll Automatenschvkolade. Meine Frau sah
etwas schüchtern aus. Wir wollen doch jetzt gehen, sagte sie.

Ich erwiderte, daß ich die Weihnachtsfeier allerdings für erledigt hielte.
Dann gab ich der in meiner Reihe stehenden kleinen Emma Wichmann die
Hand. Das Kind hatte sich etwas beruhigt, weil es mehreren ihrer Mit¬
schülerinnen nicht viel besser gegangen war als ihr. Ehe wir den Saal ver¬
ließen, sah ich noch, wie sich ein gemieteter Klavierspieler und ein Geiger auf
der Bühne niederließen, und hörte den Anfang einer Polonaise. Der Tanz
hatte uicht auf dem Programm gestanden. Wie lange er gedauert hat, weiß
ich nicht.

In der am ersten Feiertag erscheinenden Nummer des Bimmelhagcner
Kreisblattes aber hieß es: "Das heilige Christfest wird ja auch durch den
Kriegerverein, den Ortsvcrein, die höhere Knabenschule und die hiesigen Gesang¬
vereine besonders gefeiert werden. Die Spitzlersche Schule aber hat den Anfang
gemacht und uns in der würdigsten und weihevollsten Weise eine Weihnachts¬
feier bereitet, deren poetischer Duft auf die Feier in der Familie am heiligen
Ab A. wieneke end gewiß seine Einwirkung nicht verfehlen wird."




Litteratur
Geistliche Gedanken eines Nationalökonomen. Bon Wilhelm Röscher, Dresden, V.Zahn
und Jaensch, 1395

Dieses Buch ist ein Vermächtnis Nvschers an unsre "Gebildeten." Seine
nationalökonomischen Werke sind für Fachmänner der Theorie und der Praxis ge¬
schrieben, diese geistlichen Gedanken sind Grundgedanken christlicher Bildung. Röscher
ist unbedingtes Vorbild und erziehendes Muster van höchster Anziehungskraft dafür,
wie jeder von uns seine innerste Charakterbildung, seine gesamte Lebenshaltung
und seine Thätigkeit auf religiösem Grunde bannen kann und soll, wie alle wissen¬
schaftliche Arbeit, jeder praktische Berief erst dadurch etwas ist, daß er dem Reiche
Gottes dient.

Unsre "gelassenen" Geister glauben sich heute so gern ans dem erhabnen
Gipfel der allein seligmachenden Objektivität, wenn sie von reiner Kunst, von ab¬
soluter Wissenschaft reden, und was dergleichen schöne Adjektiva mehr sind. Röscher
gehörte nicht zu ihnen. Er wußte, daß alle strenge Teilung der Arbeitsgebiete
Wohl technisch vollkommnere Leistungen erwarten läßt, aber er war sich auch darüber
klar, daß der ganze Mensch wichtiger ist als die Summen seiner Leistungen und
Genüsse. "Wehe dem Volke, wo nur die Juristen ausgebildetes Rechtsgefühl, nur
die Beamten politischen Sinn, d. h. ausgebildeten Patriotismus, nur das stehende


Litteratur

Da traf ich meine Frau wieder. Die Kleinen hatten sich voll Pfannkuchen
gefressen und hatten die Taschen voll Automatenschvkolade. Meine Frau sah
etwas schüchtern aus. Wir wollen doch jetzt gehen, sagte sie.

Ich erwiderte, daß ich die Weihnachtsfeier allerdings für erledigt hielte.
Dann gab ich der in meiner Reihe stehenden kleinen Emma Wichmann die
Hand. Das Kind hatte sich etwas beruhigt, weil es mehreren ihrer Mit¬
schülerinnen nicht viel besser gegangen war als ihr. Ehe wir den Saal ver¬
ließen, sah ich noch, wie sich ein gemieteter Klavierspieler und ein Geiger auf
der Bühne niederließen, und hörte den Anfang einer Polonaise. Der Tanz
hatte uicht auf dem Programm gestanden. Wie lange er gedauert hat, weiß
ich nicht.

In der am ersten Feiertag erscheinenden Nummer des Bimmelhagcner
Kreisblattes aber hieß es: „Das heilige Christfest wird ja auch durch den
Kriegerverein, den Ortsvcrein, die höhere Knabenschule und die hiesigen Gesang¬
vereine besonders gefeiert werden. Die Spitzlersche Schule aber hat den Anfang
gemacht und uns in der würdigsten und weihevollsten Weise eine Weihnachts¬
feier bereitet, deren poetischer Duft auf die Feier in der Familie am heiligen
Ab A. wieneke end gewiß seine Einwirkung nicht verfehlen wird."




Litteratur
Geistliche Gedanken eines Nationalökonomen. Bon Wilhelm Röscher, Dresden, V.Zahn
und Jaensch, 1395

Dieses Buch ist ein Vermächtnis Nvschers an unsre „Gebildeten." Seine
nationalökonomischen Werke sind für Fachmänner der Theorie und der Praxis ge¬
schrieben, diese geistlichen Gedanken sind Grundgedanken christlicher Bildung. Röscher
ist unbedingtes Vorbild und erziehendes Muster van höchster Anziehungskraft dafür,
wie jeder von uns seine innerste Charakterbildung, seine gesamte Lebenshaltung
und seine Thätigkeit auf religiösem Grunde bannen kann und soll, wie alle wissen¬
schaftliche Arbeit, jeder praktische Berief erst dadurch etwas ist, daß er dem Reiche
Gottes dient.

Unsre „gelassenen" Geister glauben sich heute so gern ans dem erhabnen
Gipfel der allein seligmachenden Objektivität, wenn sie von reiner Kunst, von ab¬
soluter Wissenschaft reden, und was dergleichen schöne Adjektiva mehr sind. Röscher
gehörte nicht zu ihnen. Er wußte, daß alle strenge Teilung der Arbeitsgebiete
Wohl technisch vollkommnere Leistungen erwarten läßt, aber er war sich auch darüber
klar, daß der ganze Mensch wichtiger ist als die Summen seiner Leistungen und
Genüsse. „Wehe dem Volke, wo nur die Juristen ausgebildetes Rechtsgefühl, nur
die Beamten politischen Sinn, d. h. ausgebildeten Patriotismus, nur das stehende


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[0053] Litteratur Da traf ich meine Frau wieder. Die Kleinen hatten sich voll Pfannkuchen gefressen und hatten die Taschen voll Automatenschvkolade. Meine Frau sah etwas schüchtern aus. Wir wollen doch jetzt gehen, sagte sie. Ich erwiderte, daß ich die Weihnachtsfeier allerdings für erledigt hielte. Dann gab ich der in meiner Reihe stehenden kleinen Emma Wichmann die Hand. Das Kind hatte sich etwas beruhigt, weil es mehreren ihrer Mit¬ schülerinnen nicht viel besser gegangen war als ihr. Ehe wir den Saal ver¬ ließen, sah ich noch, wie sich ein gemieteter Klavierspieler und ein Geiger auf der Bühne niederließen, und hörte den Anfang einer Polonaise. Der Tanz hatte uicht auf dem Programm gestanden. Wie lange er gedauert hat, weiß ich nicht. In der am ersten Feiertag erscheinenden Nummer des Bimmelhagcner Kreisblattes aber hieß es: „Das heilige Christfest wird ja auch durch den Kriegerverein, den Ortsvcrein, die höhere Knabenschule und die hiesigen Gesang¬ vereine besonders gefeiert werden. Die Spitzlersche Schule aber hat den Anfang gemacht und uns in der würdigsten und weihevollsten Weise eine Weihnachts¬ feier bereitet, deren poetischer Duft auf die Feier in der Familie am heiligen Ab A. wieneke end gewiß seine Einwirkung nicht verfehlen wird." Litteratur Geistliche Gedanken eines Nationalökonomen. Bon Wilhelm Röscher, Dresden, V.Zahn und Jaensch, 1395 Dieses Buch ist ein Vermächtnis Nvschers an unsre „Gebildeten." Seine nationalökonomischen Werke sind für Fachmänner der Theorie und der Praxis ge¬ schrieben, diese geistlichen Gedanken sind Grundgedanken christlicher Bildung. Röscher ist unbedingtes Vorbild und erziehendes Muster van höchster Anziehungskraft dafür, wie jeder von uns seine innerste Charakterbildung, seine gesamte Lebenshaltung und seine Thätigkeit auf religiösem Grunde bannen kann und soll, wie alle wissen¬ schaftliche Arbeit, jeder praktische Berief erst dadurch etwas ist, daß er dem Reiche Gottes dient. Unsre „gelassenen" Geister glauben sich heute so gern ans dem erhabnen Gipfel der allein seligmachenden Objektivität, wenn sie von reiner Kunst, von ab¬ soluter Wissenschaft reden, und was dergleichen schöne Adjektiva mehr sind. Röscher gehörte nicht zu ihnen. Er wußte, daß alle strenge Teilung der Arbeitsgebiete Wohl technisch vollkommnere Leistungen erwarten läßt, aber er war sich auch darüber klar, daß der ganze Mensch wichtiger ist als die Summen seiner Leistungen und Genüsse. „Wehe dem Volke, wo nur die Juristen ausgebildetes Rechtsgefühl, nur die Beamten politischen Sinn, d. h. ausgebildeten Patriotismus, nur das stehende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/53>, abgerufen am 27.04.2024.