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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

Examen war es diesmal nichts, so viel hatten wir durch unser Revolutiönchen
oder besser Pronuneiamento -- waren wir doch von unserm General geführt
worden -- erreicht, aber vom nächsten Semester ab wurde es regelmäßig ab¬
gehalten; auch Stern beugte sich knurrend und brummend der höhern Gewalt.




Der Streit der Fakultäten
4

oktor Utermvhlen machte an den folgenden Tagen seinen regel¬
mäßigen Besuch im Stift; doch die gemütliche Stimmung des
erste" Abends wollte sich nicht wieder einstellen. Lag es nun
an der frühern Stunde seiner Besuche oder daran, daß er bei
fortschreitender Heilung entbehrlicher wurde, kurz von einer Tasse
Thee oder Kaffee, einem ruhigen Plauderstündchen war nicht mehr die Rede.
Vielleicht war er selbst schuld daran, da er jetzt immer fuhr und den
Wagen während seines kurzen Aufenthalts warten ließ. Die Damen konnten
unmöglich wissen, daß er um den Preis einer Unterhaltung über die Heide, die
jetzt gerade blühen mußte, seine sonst so geliebten und geschonten Pferde gern
weit über ihre Zeit hinaus hätte halten lassen, oder daß er sie auch nötigen¬
falls mit dem hungrigen Kutscher vorausgeschickt hätte. Ab und zu traf er
auch bei seiner Patientin die eine oder die andre der übrigen Stiftsdamen, und
dann war er wie auf den Mund geschlagen. Er glaubte baun sein weiber¬
feindliches Unbehagen am besten hinter Kürze und knapper Sachlichkeit ver¬
bergen zu können und suchte möglichst schnell die Thürklinke wieder in die
Hand zu bekommen, zumal wenn die vernünftige Nichte, wie er sie bei sich
nannte, einmal nicht zugegen war.

Als er eines schönen Nachmittags, um, wie er sich einredete, doch auch
einmal einen Spaziergang zu machen, zu Fuße gekommen war, in der unaus-
gednchten Absicht, seinen Besuch auszudehnen, wurde er besonders unangenehm
enttäuscht. Er fand bei den Damen schon einen Gast vor, den er gleich bei
der flüchtigen Bekanntmachung unausstehlich fand. Vor der Hand hatte er
nun zwar als Arzt das Wort, aber als er nach ausgedehnter Untersuchung
des gut heilenden Armes zum Bleiben aufgefordert wurde, konnte er bald be¬
merken, daß die Heidestimmung verflogen war, und daß der Tag unter einem
andern Zeichen stand. Der Gast war ein or. Töteberg aus der Hauptstadt,
der den Auftrag hatte, die Kunstdenkmäler der Landschaft aufzunehmen und


Der Streit der Fakultäten

Examen war es diesmal nichts, so viel hatten wir durch unser Revolutiönchen
oder besser Pronuneiamento — waren wir doch von unserm General geführt
worden — erreicht, aber vom nächsten Semester ab wurde es regelmäßig ab¬
gehalten; auch Stern beugte sich knurrend und brummend der höhern Gewalt.




Der Streit der Fakultäten
4

oktor Utermvhlen machte an den folgenden Tagen seinen regel¬
mäßigen Besuch im Stift; doch die gemütliche Stimmung des
erste» Abends wollte sich nicht wieder einstellen. Lag es nun
an der frühern Stunde seiner Besuche oder daran, daß er bei
fortschreitender Heilung entbehrlicher wurde, kurz von einer Tasse
Thee oder Kaffee, einem ruhigen Plauderstündchen war nicht mehr die Rede.
Vielleicht war er selbst schuld daran, da er jetzt immer fuhr und den
Wagen während seines kurzen Aufenthalts warten ließ. Die Damen konnten
unmöglich wissen, daß er um den Preis einer Unterhaltung über die Heide, die
jetzt gerade blühen mußte, seine sonst so geliebten und geschonten Pferde gern
weit über ihre Zeit hinaus hätte halten lassen, oder daß er sie auch nötigen¬
falls mit dem hungrigen Kutscher vorausgeschickt hätte. Ab und zu traf er
auch bei seiner Patientin die eine oder die andre der übrigen Stiftsdamen, und
dann war er wie auf den Mund geschlagen. Er glaubte baun sein weiber¬
feindliches Unbehagen am besten hinter Kürze und knapper Sachlichkeit ver¬
bergen zu können und suchte möglichst schnell die Thürklinke wieder in die
Hand zu bekommen, zumal wenn die vernünftige Nichte, wie er sie bei sich
nannte, einmal nicht zugegen war.

Als er eines schönen Nachmittags, um, wie er sich einredete, doch auch
einmal einen Spaziergang zu machen, zu Fuße gekommen war, in der unaus-
gednchten Absicht, seinen Besuch auszudehnen, wurde er besonders unangenehm
enttäuscht. Er fand bei den Damen schon einen Gast vor, den er gleich bei
der flüchtigen Bekanntmachung unausstehlich fand. Vor der Hand hatte er
nun zwar als Arzt das Wort, aber als er nach ausgedehnter Untersuchung
des gut heilenden Armes zum Bleiben aufgefordert wurde, konnte er bald be¬
merken, daß die Heidestimmung verflogen war, und daß der Tag unter einem
andern Zeichen stand. Der Gast war ein or. Töteberg aus der Hauptstadt,
der den Auftrag hatte, die Kunstdenkmäler der Landschaft aufzunehmen und


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[0537] Der Streit der Fakultäten Examen war es diesmal nichts, so viel hatten wir durch unser Revolutiönchen oder besser Pronuneiamento — waren wir doch von unserm General geführt worden — erreicht, aber vom nächsten Semester ab wurde es regelmäßig ab¬ gehalten; auch Stern beugte sich knurrend und brummend der höhern Gewalt. Der Streit der Fakultäten 4 oktor Utermvhlen machte an den folgenden Tagen seinen regel¬ mäßigen Besuch im Stift; doch die gemütliche Stimmung des erste» Abends wollte sich nicht wieder einstellen. Lag es nun an der frühern Stunde seiner Besuche oder daran, daß er bei fortschreitender Heilung entbehrlicher wurde, kurz von einer Tasse Thee oder Kaffee, einem ruhigen Plauderstündchen war nicht mehr die Rede. Vielleicht war er selbst schuld daran, da er jetzt immer fuhr und den Wagen während seines kurzen Aufenthalts warten ließ. Die Damen konnten unmöglich wissen, daß er um den Preis einer Unterhaltung über die Heide, die jetzt gerade blühen mußte, seine sonst so geliebten und geschonten Pferde gern weit über ihre Zeit hinaus hätte halten lassen, oder daß er sie auch nötigen¬ falls mit dem hungrigen Kutscher vorausgeschickt hätte. Ab und zu traf er auch bei seiner Patientin die eine oder die andre der übrigen Stiftsdamen, und dann war er wie auf den Mund geschlagen. Er glaubte baun sein weiber¬ feindliches Unbehagen am besten hinter Kürze und knapper Sachlichkeit ver¬ bergen zu können und suchte möglichst schnell die Thürklinke wieder in die Hand zu bekommen, zumal wenn die vernünftige Nichte, wie er sie bei sich nannte, einmal nicht zugegen war. Als er eines schönen Nachmittags, um, wie er sich einredete, doch auch einmal einen Spaziergang zu machen, zu Fuße gekommen war, in der unaus- gednchten Absicht, seinen Besuch auszudehnen, wurde er besonders unangenehm enttäuscht. Er fand bei den Damen schon einen Gast vor, den er gleich bei der flüchtigen Bekanntmachung unausstehlich fand. Vor der Hand hatte er nun zwar als Arzt das Wort, aber als er nach ausgedehnter Untersuchung des gut heilenden Armes zum Bleiben aufgefordert wurde, konnte er bald be¬ merken, daß die Heidestimmung verflogen war, und daß der Tag unter einem andern Zeichen stand. Der Gast war ein or. Töteberg aus der Hauptstadt, der den Auftrag hatte, die Kunstdenkmäler der Landschaft aufzunehmen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/537>, abgerufen am 28.04.2024.