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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

kauern hierüber, so kommen sie immer wieder ans das Argument zurück, man müsse
sich gegen plötzliche Ausbrüche der Volksthorheit sicher". Genau dasselbe sagen
auch die Russen, nur daß diese sich nicht erst die Mühe geben, das Volk zum
Stimmkasten zu laden, damit es dort seinen Willen kund gebe." Nun. Not kennt
kein Gebot, und so wird sie wohl zu guterletzt auch mit einem Papiernen Tyrannen
fertig werden in einem Lande, wo Geist, Thatkraft, natürliche und künstliche Hilfs¬
mittel reichlich vorhanden sind. Auch an der Einsicht in die Ursachen'der Übel
fehlt es nicht. "Ein mörderischer Wettbewerb, heißt es in dem Programm des
einen der Coxeyitenfnhnlein, der Ersatz der Handfertigkeit durch Maschinen, das
übermäßige Anwachsen der mongolischen und der mittellosen Einwanderung, die
unheilvolle Thatsache, daß Ausländer so ausgedehntes Grundeigentum in den Ver¬
einigten Staaten besitzen, die Ausbeutung der Arbeiter durch Grundrente, Gc-
schäftsgewinn und Kapitalzins, das sind die Ursachen, die zusammengewirkt haben,
den Reichtum der Nation in den Händen weniger zusammenfließen zu lassen und die
Massen in einen Zustand hoffnungsloser Armut zu versetzen. Wir haben auf unserm
Wege zum Abgrunde den Punkt erreicht, w.i? -3 Prozent' der Bevölkerung 7" Pro¬
zent des Nationalvermögens besitzen." Demnach wird gefordert: Beschäftigung aller
Arbeitslosen durch die Regierung, Verbot der fremden Einwanderung auf zehn Jahre,
und daß kein Ausländer im Gebiete der Vereinigten Staaten Grundeigentum be¬
sitzen dürfe. Coxehs "gestiefelte Petition," die von ihm angeregte Organisation
von Zügen Arbeitsloser, die nach Washington pilgern und ihre Beschwerden und
Vorschläge im Kapitol niederlegen sollten, ist in unsern Zeitungen lächerlich gemacht
worden; in Amerika haben, wie die Darstellung Steads beweist, viele Behörden
dem Unternehmen großes Gewicht beigelegt. Außerdem berichtet Stead, der sich,
wie es scheint, drüben sehr genau unterrichtet hat, besonders über die Verhältnisse
von Pullmanstadt, über den Aufstand der Pullmanleute und die Boykottirnng
der Pnllmanwagen, und über den großen Kohlengräberstreik.




Litteratur

Plaudereien und Vorträge. Von W. Marshall. Zwei Bände. Leipzig, A, Twiet-
ineyer, 1895

Diese beiden Sammlungen aus der Feder des Leipziger Professors William
Marshall werden jedem, der die Natur mit offnen Angen betrachtet und zu ver¬
stehen sucht, und der ein warmes Herz hat, sich an ihren Wundern zu erfreuen,
eine willkommne Gabe sein. Neben zwei biographischen Skizzen (über Konrad
Gesner und van Leeuwenhoek) sind es ja vor allem freundliche Plaudereien über
unsre Vogelwelt (Deutschlands Bogelwelt im Wechsel der Zeiten, Freund Spatz,
Starmätze u. s. w.) und anziehende Schilderungen über merkwürdige Erscheinungen
im Tierleben (Maskerade", Selbstmord, Selbstverstiimmlnug n. s. w.). die den
hauptsächlichen Inhalt der beiden Bände ausmachen. Es 'sind keine trocknen Ab-


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kauern hierüber, so kommen sie immer wieder ans das Argument zurück, man müsse
sich gegen plötzliche Ausbrüche der Volksthorheit sicher». Genau dasselbe sagen
auch die Russen, nur daß diese sich nicht erst die Mühe geben, das Volk zum
Stimmkasten zu laden, damit es dort seinen Willen kund gebe." Nun. Not kennt
kein Gebot, und so wird sie wohl zu guterletzt auch mit einem Papiernen Tyrannen
fertig werden in einem Lande, wo Geist, Thatkraft, natürliche und künstliche Hilfs¬
mittel reichlich vorhanden sind. Auch an der Einsicht in die Ursachen'der Übel
fehlt es nicht. „Ein mörderischer Wettbewerb, heißt es in dem Programm des
einen der Coxeyitenfnhnlein, der Ersatz der Handfertigkeit durch Maschinen, das
übermäßige Anwachsen der mongolischen und der mittellosen Einwanderung, die
unheilvolle Thatsache, daß Ausländer so ausgedehntes Grundeigentum in den Ver¬
einigten Staaten besitzen, die Ausbeutung der Arbeiter durch Grundrente, Gc-
schäftsgewinn und Kapitalzins, das sind die Ursachen, die zusammengewirkt haben,
den Reichtum der Nation in den Händen weniger zusammenfließen zu lassen und die
Massen in einen Zustand hoffnungsloser Armut zu versetzen. Wir haben auf unserm
Wege zum Abgrunde den Punkt erreicht, w.i? -3 Prozent' der Bevölkerung 7« Pro¬
zent des Nationalvermögens besitzen." Demnach wird gefordert: Beschäftigung aller
Arbeitslosen durch die Regierung, Verbot der fremden Einwanderung auf zehn Jahre,
und daß kein Ausländer im Gebiete der Vereinigten Staaten Grundeigentum be¬
sitzen dürfe. Coxehs „gestiefelte Petition," die von ihm angeregte Organisation
von Zügen Arbeitsloser, die nach Washington pilgern und ihre Beschwerden und
Vorschläge im Kapitol niederlegen sollten, ist in unsern Zeitungen lächerlich gemacht
worden; in Amerika haben, wie die Darstellung Steads beweist, viele Behörden
dem Unternehmen großes Gewicht beigelegt. Außerdem berichtet Stead, der sich,
wie es scheint, drüben sehr genau unterrichtet hat, besonders über die Verhältnisse
von Pullmanstadt, über den Aufstand der Pullmanleute und die Boykottirnng
der Pnllmanwagen, und über den großen Kohlengräberstreik.




Litteratur

Plaudereien und Vorträge. Von W. Marshall. Zwei Bände. Leipzig, A, Twiet-
ineyer, 1895

Diese beiden Sammlungen aus der Feder des Leipziger Professors William
Marshall werden jedem, der die Natur mit offnen Angen betrachtet und zu ver¬
stehen sucht, und der ein warmes Herz hat, sich an ihren Wundern zu erfreuen,
eine willkommne Gabe sein. Neben zwei biographischen Skizzen (über Konrad
Gesner und van Leeuwenhoek) sind es ja vor allem freundliche Plaudereien über
unsre Vogelwelt (Deutschlands Bogelwelt im Wechsel der Zeiten, Freund Spatz,
Starmätze u. s. w.) und anziehende Schilderungen über merkwürdige Erscheinungen
im Tierleben (Maskerade», Selbstmord, Selbstverstiimmlnug n. s. w.). die den
hauptsächlichen Inhalt der beiden Bände ausmachen. Es 'sind keine trocknen Ab-


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[0553] Litteratur kauern hierüber, so kommen sie immer wieder ans das Argument zurück, man müsse sich gegen plötzliche Ausbrüche der Volksthorheit sicher». Genau dasselbe sagen auch die Russen, nur daß diese sich nicht erst die Mühe geben, das Volk zum Stimmkasten zu laden, damit es dort seinen Willen kund gebe." Nun. Not kennt kein Gebot, und so wird sie wohl zu guterletzt auch mit einem Papiernen Tyrannen fertig werden in einem Lande, wo Geist, Thatkraft, natürliche und künstliche Hilfs¬ mittel reichlich vorhanden sind. Auch an der Einsicht in die Ursachen'der Übel fehlt es nicht. „Ein mörderischer Wettbewerb, heißt es in dem Programm des einen der Coxeyitenfnhnlein, der Ersatz der Handfertigkeit durch Maschinen, das übermäßige Anwachsen der mongolischen und der mittellosen Einwanderung, die unheilvolle Thatsache, daß Ausländer so ausgedehntes Grundeigentum in den Ver¬ einigten Staaten besitzen, die Ausbeutung der Arbeiter durch Grundrente, Gc- schäftsgewinn und Kapitalzins, das sind die Ursachen, die zusammengewirkt haben, den Reichtum der Nation in den Händen weniger zusammenfließen zu lassen und die Massen in einen Zustand hoffnungsloser Armut zu versetzen. Wir haben auf unserm Wege zum Abgrunde den Punkt erreicht, w.i? -3 Prozent' der Bevölkerung 7« Pro¬ zent des Nationalvermögens besitzen." Demnach wird gefordert: Beschäftigung aller Arbeitslosen durch die Regierung, Verbot der fremden Einwanderung auf zehn Jahre, und daß kein Ausländer im Gebiete der Vereinigten Staaten Grundeigentum be¬ sitzen dürfe. Coxehs „gestiefelte Petition," die von ihm angeregte Organisation von Zügen Arbeitsloser, die nach Washington pilgern und ihre Beschwerden und Vorschläge im Kapitol niederlegen sollten, ist in unsern Zeitungen lächerlich gemacht worden; in Amerika haben, wie die Darstellung Steads beweist, viele Behörden dem Unternehmen großes Gewicht beigelegt. Außerdem berichtet Stead, der sich, wie es scheint, drüben sehr genau unterrichtet hat, besonders über die Verhältnisse von Pullmanstadt, über den Aufstand der Pullmanleute und die Boykottirnng der Pnllmanwagen, und über den großen Kohlengräberstreik. Litteratur Plaudereien und Vorträge. Von W. Marshall. Zwei Bände. Leipzig, A, Twiet- ineyer, 1895 Diese beiden Sammlungen aus der Feder des Leipziger Professors William Marshall werden jedem, der die Natur mit offnen Angen betrachtet und zu ver¬ stehen sucht, und der ein warmes Herz hat, sich an ihren Wundern zu erfreuen, eine willkommne Gabe sein. Neben zwei biographischen Skizzen (über Konrad Gesner und van Leeuwenhoek) sind es ja vor allem freundliche Plaudereien über unsre Vogelwelt (Deutschlands Bogelwelt im Wechsel der Zeiten, Freund Spatz, Starmätze u. s. w.) und anziehende Schilderungen über merkwürdige Erscheinungen im Tierleben (Maskerade», Selbstmord, Selbstverstiimmlnug n. s. w.). die den hauptsächlichen Inhalt der beiden Bände ausmachen. Es 'sind keine trocknen Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/553>, abgerufen am 27.04.2024.