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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik
i

nur der große Zeiger seinen Weg durch die Stunde fast voll¬
endet hat, dann "mahnt" die Uhr, wie unsre Großväter sagten;
heute sagt mau: sie hebt aus. Fünf Minuten darauf schlägt
die Stunde. So "mahnen" auch die weltgeschichtlichen Stunden,
aber freilich, nicht jeder hört es. Es giebt mehr Leute, die es
zu früh und zu oft hören, besonders in unsrer hochgebildeten und daher ner¬
vösen Zeit, die an den Selbst- und Sinnestäuschungen der Überkultur leidet,
als solche, die es zur rechten Zeit hören. Natürlich wird es dadurch immer
möglicher und sogar wahrscheinlicher, daß die wahre Mahnung gar nicht mehr
vernommen wird. Und wenn man verschiedne Uhren zugleich ticken hört, wird
diese Gefahr noch größer.

Aus England drang neulich die Kunde zu uus, es werde nächstens eine
große Stunde in der Weltgeschichte schlagen. Ohne sichtlichen Grund entstand
dort ein Wallei, und Wogen der öffentlichen Meinung. Die Minister, die
aufregende politische Reden für Pflicht halten, und nun gar die Zeitungs¬
schreiber machten wichtige Mienen. In der äußern Politik des Inselreichs
schien sich eine große Wandlung vorzubereiten. Sie, die seit Jahren, besonders
durch das Bemühen Rußlands und Frankreichs, denen sich neuerdings das
"unbegreifliche" Japan angeschlossen hat, in die Enge gedrängt ist und vom
Kongo bis Siam und Peking Mißerfolge erlitt, schien sich emporraffen zu
wollen. Wenigstens die Absicht oder Aussicht wurde nun der ganzen Welt cm-
maßlich geheimnisvoll verkündet. Das alles drehte sich aber nur um die welt¬
geschichtliche Thatsache, daß der neue Premierminister Roseberry, der den Karren
der innern Politik durch deu leichtsinnigen Sturm auf das Oberhaus festgefahren
hat, sich bei einer Nachtischrede mit einem um so stärkern "Schläger" in der


Grenzboten I 1895 7


Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik
i

nur der große Zeiger seinen Weg durch die Stunde fast voll¬
endet hat, dann „mahnt" die Uhr, wie unsre Großväter sagten;
heute sagt mau: sie hebt aus. Fünf Minuten darauf schlägt
die Stunde. So „mahnen" auch die weltgeschichtlichen Stunden,
aber freilich, nicht jeder hört es. Es giebt mehr Leute, die es
zu früh und zu oft hören, besonders in unsrer hochgebildeten und daher ner¬
vösen Zeit, die an den Selbst- und Sinnestäuschungen der Überkultur leidet,
als solche, die es zur rechten Zeit hören. Natürlich wird es dadurch immer
möglicher und sogar wahrscheinlicher, daß die wahre Mahnung gar nicht mehr
vernommen wird. Und wenn man verschiedne Uhren zugleich ticken hört, wird
diese Gefahr noch größer.

Aus England drang neulich die Kunde zu uus, es werde nächstens eine
große Stunde in der Weltgeschichte schlagen. Ohne sichtlichen Grund entstand
dort ein Wallei, und Wogen der öffentlichen Meinung. Die Minister, die
aufregende politische Reden für Pflicht halten, und nun gar die Zeitungs¬
schreiber machten wichtige Mienen. In der äußern Politik des Inselreichs
schien sich eine große Wandlung vorzubereiten. Sie, die seit Jahren, besonders
durch das Bemühen Rußlands und Frankreichs, denen sich neuerdings das
„unbegreifliche" Japan angeschlossen hat, in die Enge gedrängt ist und vom
Kongo bis Siam und Peking Mißerfolge erlitt, schien sich emporraffen zu
wollen. Wenigstens die Absicht oder Aussicht wurde nun der ganzen Welt cm-
maßlich geheimnisvoll verkündet. Das alles drehte sich aber nur um die welt¬
geschichtliche Thatsache, daß der neue Premierminister Roseberry, der den Karren
der innern Politik durch deu leichtsinnigen Sturm auf das Oberhaus festgefahren
hat, sich bei einer Nachtischrede mit einem um so stärkern „Schläger" in der


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[0057] [Abbildung] Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik i nur der große Zeiger seinen Weg durch die Stunde fast voll¬ endet hat, dann „mahnt" die Uhr, wie unsre Großväter sagten; heute sagt mau: sie hebt aus. Fünf Minuten darauf schlägt die Stunde. So „mahnen" auch die weltgeschichtlichen Stunden, aber freilich, nicht jeder hört es. Es giebt mehr Leute, die es zu früh und zu oft hören, besonders in unsrer hochgebildeten und daher ner¬ vösen Zeit, die an den Selbst- und Sinnestäuschungen der Überkultur leidet, als solche, die es zur rechten Zeit hören. Natürlich wird es dadurch immer möglicher und sogar wahrscheinlicher, daß die wahre Mahnung gar nicht mehr vernommen wird. Und wenn man verschiedne Uhren zugleich ticken hört, wird diese Gefahr noch größer. Aus England drang neulich die Kunde zu uus, es werde nächstens eine große Stunde in der Weltgeschichte schlagen. Ohne sichtlichen Grund entstand dort ein Wallei, und Wogen der öffentlichen Meinung. Die Minister, die aufregende politische Reden für Pflicht halten, und nun gar die Zeitungs¬ schreiber machten wichtige Mienen. In der äußern Politik des Inselreichs schien sich eine große Wandlung vorzubereiten. Sie, die seit Jahren, besonders durch das Bemühen Rußlands und Frankreichs, denen sich neuerdings das „unbegreifliche" Japan angeschlossen hat, in die Enge gedrängt ist und vom Kongo bis Siam und Peking Mißerfolge erlitt, schien sich emporraffen zu wollen. Wenigstens die Absicht oder Aussicht wurde nun der ganzen Welt cm- maßlich geheimnisvoll verkündet. Das alles drehte sich aber nur um die welt¬ geschichtliche Thatsache, daß der neue Premierminister Roseberry, der den Karren der innern Politik durch deu leichtsinnigen Sturm auf das Oberhaus festgefahren hat, sich bei einer Nachtischrede mit einem um so stärkern „Schläger" in der Grenzboten I 1895 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/57>, abgerufen am 28.04.2024.