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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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etymologischen Erklärung des Worts, einer vorsichtigen Feststellung seines Gebrauchs
und einer saubern Scheidung von verwandten Begriffen, wie Verband, Genossen¬
schaft, Verein. Die Betrachtung endlich des Verhältnisses zwischen der Gesellschaft
und ihren einzelnen Gliedern sührt ihn auf das Gebiet der Psychologie: that¬
sächlich ist ja die Gesellschaftslehre nichts andres als die Lehre von den Massen-
und Wechselwirkungen von einzelnen Kräften einer zusammenlebenden und im Verkehr
stehenden Menschenmenge.

Es war Rümelins psychologische Grundüberzeugung, daß die Urkräfte des
menschlichen Seelenlebens die Triebe seien, erst in zweiter Linie stehe der "In¬
tellekt"; die geringste Wichtigkeit für den ganzen Menschen räumt er dem Tem¬
perament ein. Die Triebe ordnet er auf seine Weise am Schluß der erwähnten
Rede von 1838, 1331 hat er über die Temperamente, 1885 über die Arten und
Stufen der Intelligenz gesprochen. In die nächsten beiden Jahre fällt die Aus¬
arbeitung der bekannten Fremdwörterrede und eines auf statistischen Aufzählungen
beruhenden Vortrags über die neuere deutsche Prosa, einer verhältnismäßig schwächern,
aber für die Geschichte der deutschen Sprache im neunzehnten Jahrhundert nicht
unwichtigen Arbeit. Beiläufig gesagt ist der Verteidiger berechtigter Fremdwörter
weit davon entfernt, auch nur diese zu häufen: wer das vorliegende Buch un¬
befangen liest, wird seltener auf ein überflüssiges Fremdwort stoßen, als mit einiger
Verwunderung und Anerkennung beobachten, daß Rümelin zwar das einemal von
Revolutionskriegen, das andremal aber von den Anfängen der französischen Staats¬
umwälzung redet, daß er die Lehre von der Jdeenassoziatiou nicht erwähnt, ohne
hinzuzufügen "oder der natürlichen Reihenfolge unsrer Vorstellungen," ja daß er
sich nicht scheut, von einem "Unterscheidungszeichen der monotheistischen und der
viclgvtterischen Religionen" zu sprechen.

Der Schwabe und der Psycholag Rümelin kommen zu Worte in dem sorg¬
fältigen, bescheidnen und doch nicht ohne Stolz geschriebnen Versuch über den
württembergischen Volkscharakter, der Schwabe und der Historiker in den beiden
Reden von 1882 und 1833: König Friedrich vou Württemberg und seine Be¬
ziehungen zur Landesuniversität, und: Die Entstehungsgeschichte der Tübinger Uni¬
versitätsverfassung, und der Schwabe und der Poetisch empfindende Literarhistoriker
in dem Prächtigen Aufsatz über Justinus Kerner, den wir für die Perle der Samm¬
lung halten.







Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
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etymologischen Erklärung des Worts, einer vorsichtigen Feststellung seines Gebrauchs
und einer saubern Scheidung von verwandten Begriffen, wie Verband, Genossen¬
schaft, Verein. Die Betrachtung endlich des Verhältnisses zwischen der Gesellschaft
und ihren einzelnen Gliedern sührt ihn auf das Gebiet der Psychologie: that¬
sächlich ist ja die Gesellschaftslehre nichts andres als die Lehre von den Massen-
und Wechselwirkungen von einzelnen Kräften einer zusammenlebenden und im Verkehr
stehenden Menschenmenge.

Es war Rümelins psychologische Grundüberzeugung, daß die Urkräfte des
menschlichen Seelenlebens die Triebe seien, erst in zweiter Linie stehe der „In¬
tellekt"; die geringste Wichtigkeit für den ganzen Menschen räumt er dem Tem¬
perament ein. Die Triebe ordnet er auf seine Weise am Schluß der erwähnten
Rede von 1838, 1331 hat er über die Temperamente, 1885 über die Arten und
Stufen der Intelligenz gesprochen. In die nächsten beiden Jahre fällt die Aus¬
arbeitung der bekannten Fremdwörterrede und eines auf statistischen Aufzählungen
beruhenden Vortrags über die neuere deutsche Prosa, einer verhältnismäßig schwächern,
aber für die Geschichte der deutschen Sprache im neunzehnten Jahrhundert nicht
unwichtigen Arbeit. Beiläufig gesagt ist der Verteidiger berechtigter Fremdwörter
weit davon entfernt, auch nur diese zu häufen: wer das vorliegende Buch un¬
befangen liest, wird seltener auf ein überflüssiges Fremdwort stoßen, als mit einiger
Verwunderung und Anerkennung beobachten, daß Rümelin zwar das einemal von
Revolutionskriegen, das andremal aber von den Anfängen der französischen Staats¬
umwälzung redet, daß er die Lehre von der Jdeenassoziatiou nicht erwähnt, ohne
hinzuzufügen „oder der natürlichen Reihenfolge unsrer Vorstellungen," ja daß er
sich nicht scheut, von einem „Unterscheidungszeichen der monotheistischen und der
viclgvtterischen Religionen" zu sprechen.

Der Schwabe und der Psycholag Rümelin kommen zu Worte in dem sorg¬
fältigen, bescheidnen und doch nicht ohne Stolz geschriebnen Versuch über den
württembergischen Volkscharakter, der Schwabe und der Historiker in den beiden
Reden von 1882 und 1833: König Friedrich vou Württemberg und seine Be¬
ziehungen zur Landesuniversität, und: Die Entstehungsgeschichte der Tübinger Uni¬
versitätsverfassung, und der Schwabe und der Poetisch empfindende Literarhistoriker
in dem Prächtigen Aufsatz über Justinus Kerner, den wir für die Perle der Samm¬
lung halten.







Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0614] Litteratur etymologischen Erklärung des Worts, einer vorsichtigen Feststellung seines Gebrauchs und einer saubern Scheidung von verwandten Begriffen, wie Verband, Genossen¬ schaft, Verein. Die Betrachtung endlich des Verhältnisses zwischen der Gesellschaft und ihren einzelnen Gliedern sührt ihn auf das Gebiet der Psychologie: that¬ sächlich ist ja die Gesellschaftslehre nichts andres als die Lehre von den Massen- und Wechselwirkungen von einzelnen Kräften einer zusammenlebenden und im Verkehr stehenden Menschenmenge. Es war Rümelins psychologische Grundüberzeugung, daß die Urkräfte des menschlichen Seelenlebens die Triebe seien, erst in zweiter Linie stehe der „In¬ tellekt"; die geringste Wichtigkeit für den ganzen Menschen räumt er dem Tem¬ perament ein. Die Triebe ordnet er auf seine Weise am Schluß der erwähnten Rede von 1838, 1331 hat er über die Temperamente, 1885 über die Arten und Stufen der Intelligenz gesprochen. In die nächsten beiden Jahre fällt die Aus¬ arbeitung der bekannten Fremdwörterrede und eines auf statistischen Aufzählungen beruhenden Vortrags über die neuere deutsche Prosa, einer verhältnismäßig schwächern, aber für die Geschichte der deutschen Sprache im neunzehnten Jahrhundert nicht unwichtigen Arbeit. Beiläufig gesagt ist der Verteidiger berechtigter Fremdwörter weit davon entfernt, auch nur diese zu häufen: wer das vorliegende Buch un¬ befangen liest, wird seltener auf ein überflüssiges Fremdwort stoßen, als mit einiger Verwunderung und Anerkennung beobachten, daß Rümelin zwar das einemal von Revolutionskriegen, das andremal aber von den Anfängen der französischen Staats¬ umwälzung redet, daß er die Lehre von der Jdeenassoziatiou nicht erwähnt, ohne hinzuzufügen „oder der natürlichen Reihenfolge unsrer Vorstellungen," ja daß er sich nicht scheut, von einem „Unterscheidungszeichen der monotheistischen und der viclgvtterischen Religionen" zu sprechen. Der Schwabe und der Psycholag Rümelin kommen zu Worte in dem sorg¬ fältigen, bescheidnen und doch nicht ohne Stolz geschriebnen Versuch über den württembergischen Volkscharakter, der Schwabe und der Historiker in den beiden Reden von 1882 und 1833: König Friedrich vou Württemberg und seine Be¬ ziehungen zur Landesuniversität, und: Die Entstehungsgeschichte der Tübinger Uni¬ versitätsverfassung, und der Schwabe und der Poetisch empfindende Literarhistoriker in dem Prächtigen Aufsatz über Justinus Kerner, den wir für die Perle der Samm¬ lung halten. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/614>, abgerufen am 27.04.2024.