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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Verkehrte Politik

er den erbitterten sozialen Kämpfen der Gegenwart fernsteht und
weder durch wesentliche eigne Interessen, noch durch unmittelbare
Beteiligung an den Staatsgeschäften in sie verwickelt ist, dem
drängt sich immer und immer wieder die eine betrübende Wahr¬
nehmung auf: die Sozialdemokratie wächst und gedeiht allein
durch die Fehler ihrer Gegner. Ja so weit geht die Richtigkeit dieses Satzes,
daß man sogar sagen kaun: selbst die offenbaren Fehler der sozialdemokratischen
Partei, selbst Streitigkeiten und Mißgriffe, die für andre Parteien unbedingt
verhängnisvoll werden würden, gereichen ihr dank der verkehrten Politik ihrer
Gegner nicht zum Nachteil, fondern werden unschädlich gemacht, zum Teil
sogar in ihr Gegenteil verwandelt durch den politischen Unverstand ihrer
Gegner.

Uuter den vielen bedenklichen Anzeichen, die dafür sprechen, daß es uns
möglicherweise nicht gelingen wird, uns auf friedlichem Wege mit dieser mehr
und mehr unsre ganze innere Politik beeinflussenden Bewegung abzufinden,
scheint uns doch das das bedenklichste Anzeichen zu sein, daß alles, was ge¬
schieht, schließlich nur dazu dient, die Sozialdemokratie immer mehr in einen
Gegensatz zu der bestehenden Ordnung der Dinge zu bringen und ihr neue
Waffen und neue Siege zu verschaffen.

Niemals ist die Lage der sozialdemokratischen Partei so schwierig gewesen
wie nach dem Frankfurter Parteitage, nie hatte die gemäßigtere, durch Vollmar
vertretene Richtung einen zweifelloser" moralischen Sieg errungen. Die Erbit¬
terung Bebels, der die Zügel mehr und mehr seinen Händen entgleiten sah,
kannte keine Grenzen, und aus der Fülle der gegenseitigen Vorwürfe ließ sich
mit Sicherheit die eine Thatsache erkennen, daß es in absehbarer Zeit mit
der notdürftig aufrecht erhaltenen Einigkeit auch nach außen hin zu Eude sein


Grenzboten I 18Ä5 1


Verkehrte Politik

er den erbitterten sozialen Kämpfen der Gegenwart fernsteht und
weder durch wesentliche eigne Interessen, noch durch unmittelbare
Beteiligung an den Staatsgeschäften in sie verwickelt ist, dem
drängt sich immer und immer wieder die eine betrübende Wahr¬
nehmung auf: die Sozialdemokratie wächst und gedeiht allein
durch die Fehler ihrer Gegner. Ja so weit geht die Richtigkeit dieses Satzes,
daß man sogar sagen kaun: selbst die offenbaren Fehler der sozialdemokratischen
Partei, selbst Streitigkeiten und Mißgriffe, die für andre Parteien unbedingt
verhängnisvoll werden würden, gereichen ihr dank der verkehrten Politik ihrer
Gegner nicht zum Nachteil, fondern werden unschädlich gemacht, zum Teil
sogar in ihr Gegenteil verwandelt durch den politischen Unverstand ihrer
Gegner.

Uuter den vielen bedenklichen Anzeichen, die dafür sprechen, daß es uns
möglicherweise nicht gelingen wird, uns auf friedlichem Wege mit dieser mehr
und mehr unsre ganze innere Politik beeinflussenden Bewegung abzufinden,
scheint uns doch das das bedenklichste Anzeichen zu sein, daß alles, was ge¬
schieht, schließlich nur dazu dient, die Sozialdemokratie immer mehr in einen
Gegensatz zu der bestehenden Ordnung der Dinge zu bringen und ihr neue
Waffen und neue Siege zu verschaffen.

Niemals ist die Lage der sozialdemokratischen Partei so schwierig gewesen
wie nach dem Frankfurter Parteitage, nie hatte die gemäßigtere, durch Vollmar
vertretene Richtung einen zweifelloser» moralischen Sieg errungen. Die Erbit¬
terung Bebels, der die Zügel mehr und mehr seinen Händen entgleiten sah,
kannte keine Grenzen, und aus der Fülle der gegenseitigen Vorwürfe ließ sich
mit Sicherheit die eine Thatsache erkennen, daß es in absehbarer Zeit mit
der notdürftig aufrecht erhaltenen Einigkeit auch nach außen hin zu Eude sein


Grenzboten I 18Ä5 1
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[0009] [Abbildung] Verkehrte Politik er den erbitterten sozialen Kämpfen der Gegenwart fernsteht und weder durch wesentliche eigne Interessen, noch durch unmittelbare Beteiligung an den Staatsgeschäften in sie verwickelt ist, dem drängt sich immer und immer wieder die eine betrübende Wahr¬ nehmung auf: die Sozialdemokratie wächst und gedeiht allein durch die Fehler ihrer Gegner. Ja so weit geht die Richtigkeit dieses Satzes, daß man sogar sagen kaun: selbst die offenbaren Fehler der sozialdemokratischen Partei, selbst Streitigkeiten und Mißgriffe, die für andre Parteien unbedingt verhängnisvoll werden würden, gereichen ihr dank der verkehrten Politik ihrer Gegner nicht zum Nachteil, fondern werden unschädlich gemacht, zum Teil sogar in ihr Gegenteil verwandelt durch den politischen Unverstand ihrer Gegner. Uuter den vielen bedenklichen Anzeichen, die dafür sprechen, daß es uns möglicherweise nicht gelingen wird, uns auf friedlichem Wege mit dieser mehr und mehr unsre ganze innere Politik beeinflussenden Bewegung abzufinden, scheint uns doch das das bedenklichste Anzeichen zu sein, daß alles, was ge¬ schieht, schließlich nur dazu dient, die Sozialdemokratie immer mehr in einen Gegensatz zu der bestehenden Ordnung der Dinge zu bringen und ihr neue Waffen und neue Siege zu verschaffen. Niemals ist die Lage der sozialdemokratischen Partei so schwierig gewesen wie nach dem Frankfurter Parteitage, nie hatte die gemäßigtere, durch Vollmar vertretene Richtung einen zweifelloser» moralischen Sieg errungen. Die Erbit¬ terung Bebels, der die Zügel mehr und mehr seinen Händen entgleiten sah, kannte keine Grenzen, und aus der Fülle der gegenseitigen Vorwürfe ließ sich mit Sicherheit die eine Thatsache erkennen, daß es in absehbarer Zeit mit der notdürftig aufrecht erhaltenen Einigkeit auch nach außen hin zu Eude sein Grenzboten I 18Ä5 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/9>, abgerufen am 27.04.2024.