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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Hauptstraße des Städtchens mit vielen Bogen geschmückt, die zahllose
halte Jlluminationslümpchen trugen; auf der Piazza ragte das weiße Marmor¬
standbild des Dichters in derselben Umrahmung, und die Flaggen, darunter
auch viele in den deutschen Farben, wehten von den Häusern, alles überspannt
von dem tiefblauen Himmel des Südens. Am Nachmittag erfüllte buntes,
fröhliches Gewimmel die Straßen, denn es gab Eselwettrennen, Sackhüpfen
und Wettlaufen mit gefüllten Wassergefäßen, die auf dem Kopfe, ohne zu
verschütten, bis ans Ziel gelangen mußten, alles inmitten der Stadt und ohne
andre Absperrungsmaßregeln, als daß man einen Draht längs des Trottoirs
zog. Schon das Erscheinen der einzelnen Eselreiter rief große Heiterkeit hervor,
und der Jubel, das Lachen und Händeklatschen erreichte den Gipfel, als einer
nach dem andern in kurzem Trabe dem Ziele zustrebte. Nicht geringeres Ver¬
gnügen erregten die Sackhüpfer und die Wasferträgerinnen. Alles verriet die
kindlichste, harmloseste Genügsamkeit und vollzog sich ohne jedes Gedränge,
obwohl die Leute Kopf an Kopf standen. Die hohe Polizei war nur durch
zwei Carabinieri vertreten, die würdig auf- und abwandelten, aber gar nichts
zu thun fanden.

(Fortsetzung folgt)




Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
7. In Pfarrhäusern
(Fortsetzung)

är war ein Original, aber zugleich stellte er doch auch zwei
Typen dar: den verbauerten und den rationalistischen katholischen
Geistlichen. Fast gleichzeitig mit mir waren zwei katholische
Honoratiorenfamilien angezogen, die ich zuweilen besuchte; meine
Frage aber, ob er nicht einmal mitgehen wolle, wies er mit der
Bemerkung zurück: ich gehe in keine Stube, wo ich nicht auf die Diele spucken
kann. Er ging in Begleitung zweier ganz unmöglichen Spießbürger wöchentlich
einmal in ein Bauernwirtshans Kegel schieben, und jeden Freitag besuchte er
zu Wagen eine etwas entferntere Kneipe, wo die von einem großen Wochen¬
märkte heimkehrenden Bauern und Getreidehändler ihre Markterlebnisse aus¬
tauschten. Einmal habe ich ihn auf jeder der beiden Partien begleitet, aber
nur einmal; für die Unterhaltung dieses Kreises war ich doch noch nicht ab¬
gehärtet genug. Man darf nicht glauben, daß ihm sein bäurisches Wesen,


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Hauptstraße des Städtchens mit vielen Bogen geschmückt, die zahllose
halte Jlluminationslümpchen trugen; auf der Piazza ragte das weiße Marmor¬
standbild des Dichters in derselben Umrahmung, und die Flaggen, darunter
auch viele in den deutschen Farben, wehten von den Häusern, alles überspannt
von dem tiefblauen Himmel des Südens. Am Nachmittag erfüllte buntes,
fröhliches Gewimmel die Straßen, denn es gab Eselwettrennen, Sackhüpfen
und Wettlaufen mit gefüllten Wassergefäßen, die auf dem Kopfe, ohne zu
verschütten, bis ans Ziel gelangen mußten, alles inmitten der Stadt und ohne
andre Absperrungsmaßregeln, als daß man einen Draht längs des Trottoirs
zog. Schon das Erscheinen der einzelnen Eselreiter rief große Heiterkeit hervor,
und der Jubel, das Lachen und Händeklatschen erreichte den Gipfel, als einer
nach dem andern in kurzem Trabe dem Ziele zustrebte. Nicht geringeres Ver¬
gnügen erregten die Sackhüpfer und die Wasferträgerinnen. Alles verriet die
kindlichste, harmloseste Genügsamkeit und vollzog sich ohne jedes Gedränge,
obwohl die Leute Kopf an Kopf standen. Die hohe Polizei war nur durch
zwei Carabinieri vertreten, die würdig auf- und abwandelten, aber gar nichts
zu thun fanden.

(Fortsetzung folgt)




Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
7. In Pfarrhäusern
(Fortsetzung)

är war ein Original, aber zugleich stellte er doch auch zwei
Typen dar: den verbauerten und den rationalistischen katholischen
Geistlichen. Fast gleichzeitig mit mir waren zwei katholische
Honoratiorenfamilien angezogen, die ich zuweilen besuchte; meine
Frage aber, ob er nicht einmal mitgehen wolle, wies er mit der
Bemerkung zurück: ich gehe in keine Stube, wo ich nicht auf die Diele spucken
kann. Er ging in Begleitung zweier ganz unmöglichen Spießbürger wöchentlich
einmal in ein Bauernwirtshans Kegel schieben, und jeden Freitag besuchte er
zu Wagen eine etwas entferntere Kneipe, wo die von einem großen Wochen¬
märkte heimkehrenden Bauern und Getreidehändler ihre Markterlebnisse aus¬
tauschten. Einmal habe ich ihn auf jeder der beiden Partien begleitet, aber
nur einmal; für die Unterhaltung dieses Kreises war ich doch noch nicht ab¬
gehärtet genug. Man darf nicht glauben, daß ihm sein bäurisches Wesen,


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[0526] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Hauptstraße des Städtchens mit vielen Bogen geschmückt, die zahllose halte Jlluminationslümpchen trugen; auf der Piazza ragte das weiße Marmor¬ standbild des Dichters in derselben Umrahmung, und die Flaggen, darunter auch viele in den deutschen Farben, wehten von den Häusern, alles überspannt von dem tiefblauen Himmel des Südens. Am Nachmittag erfüllte buntes, fröhliches Gewimmel die Straßen, denn es gab Eselwettrennen, Sackhüpfen und Wettlaufen mit gefüllten Wassergefäßen, die auf dem Kopfe, ohne zu verschütten, bis ans Ziel gelangen mußten, alles inmitten der Stadt und ohne andre Absperrungsmaßregeln, als daß man einen Draht längs des Trottoirs zog. Schon das Erscheinen der einzelnen Eselreiter rief große Heiterkeit hervor, und der Jubel, das Lachen und Händeklatschen erreichte den Gipfel, als einer nach dem andern in kurzem Trabe dem Ziele zustrebte. Nicht geringeres Ver¬ gnügen erregten die Sackhüpfer und die Wasferträgerinnen. Alles verriet die kindlichste, harmloseste Genügsamkeit und vollzog sich ohne jedes Gedränge, obwohl die Leute Kopf an Kopf standen. Die hohe Polizei war nur durch zwei Carabinieri vertreten, die würdig auf- und abwandelten, aber gar nichts zu thun fanden. (Fortsetzung folgt) Wandlungen des Ich im Zeitenstrome 7. In Pfarrhäusern (Fortsetzung) är war ein Original, aber zugleich stellte er doch auch zwei Typen dar: den verbauerten und den rationalistischen katholischen Geistlichen. Fast gleichzeitig mit mir waren zwei katholische Honoratiorenfamilien angezogen, die ich zuweilen besuchte; meine Frage aber, ob er nicht einmal mitgehen wolle, wies er mit der Bemerkung zurück: ich gehe in keine Stube, wo ich nicht auf die Diele spucken kann. Er ging in Begleitung zweier ganz unmöglichen Spießbürger wöchentlich einmal in ein Bauernwirtshans Kegel schieben, und jeden Freitag besuchte er zu Wagen eine etwas entferntere Kneipe, wo die von einem großen Wochen¬ märkte heimkehrenden Bauern und Getreidehändler ihre Markterlebnisse aus¬ tauschten. Einmal habe ich ihn auf jeder der beiden Partien begleitet, aber nur einmal; für die Unterhaltung dieses Kreises war ich doch noch nicht ab¬ gehärtet genug. Man darf nicht glauben, daß ihm sein bäurisches Wesen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/526>, abgerufen am 03.05.2024.