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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

Geschäftsbetrieb. Es muß einen erhebenden Eindruck auf die wohlthätige Mensch¬
heit machen, auf diese Weise als Ware aufgeführt zu werden; die natürliche Folge
davon kann nur die sein, daß alle jene Gesuche wie Cigarrencmpreisungcn behandelt
werden.

Wir haben das Vertrauen zu dem Schicklichkeitsgefühl der Pfarrer und der
Kirchengemeindevorstände, daß sie sich auf Herrn serbes "feines Geschäft" nicht
einlassen werden. Der gute Wille und die offene Hand von Leuten, die sich ihren
wohlthätigen Sinn noch bewahrt haben, darf nicht geschäftlich ausgebeutet und mi߬
braucht werden.


Für Examinatoren.

Wer sich um das Leben an unsern Hochschulen
kümmert, der wird wissen, eine wie seltne Pflanze die Kunst ist, gut zu prüfen.
Als Vorbild könnte dienen, was Viktor von Unruh in seinen kürzlich erschienenen
Erinnerungen über die Art und Weise des genialen Schinkel erzählt: "Zunächst
ging er meine als Probearbeiten ausgearbeiteten Bauentwürfe speziell durch und
forschte augenscheinlich darnach, ob ich mir etwa habe helfen lassen oder selbst gut
orientirt sei; gesprächsweise veranlaßte er mich, meine Motive bei den einzelnen
Anordnungen zu entwickeln, und flocht dabei sehr interessante, lehrreiche Bemer¬
kungen ein.... Das Bewußtsein: jetzt wirst du examinirt, und die Befangenheit
schwand in der ersten halben Stunde. Die Prüfung verwandelte sich in eine lehr¬
reiche Konversation. Ich bedauerte wirklich, als Schinkel aufstand und das Examen
für beendigt erklärte."




Litteratur
Die eigenhändigen Briefe König Karls XII. Gesammelt und herausgegeben von
Professor Dr. Ernst Carlson. Antorisirte deutsche Übersetzung von F. Mevius. Berlin,
Georg Reimer, 1894

Diese lebendigen Zeugnisse einer der rätselvollen Persönlichkeiten, die das
Weltgeschick ans Throne zu setzen liebt, wie um zu beweisen, daß der Mensch den
König mache und nicht umgekehrt, werden nicht bloß beim fachmäßigen Historiker
Neugier und Interesse wachrufen. Beim flüchtigen Durchblättern wird sich der
gekrönte Starrkopf zwar auch hier nur so darstellen, wie man ihn aus der Ge¬
schichte kennt. Es ist nichts aus ihm herauszubringen. Er setzt Entschließungen,
Thaten und Erfolge nur so hin, als wären sie die Ergebnisse einer objektiven,
elementaren Macht, einer Naturkrnft im exakten Sinne, und nicht die organischen
Früchte eines leidenschaftlichen, in Haß und Liebe ins Maßlose treibenden, leben¬
digen Menschenherzens. Selbst da, wo er persönlichen und persönlichsten Fragen
nicht ausweichen kann, versteckt er sich unwillkürlich, sogar im Scherz, hinter "ab¬
solute Notwendigkeiten," gleich als wäre uicht er selbst ihr alleiniger, sehr subjek¬
tiver Urheber. So erklärt er der unablässig darauf zurückkommenden Schwester sein
bekanntes ablehnendes Verhalten gegen das weibliche Geschlecht: "Einer Mariage
suchen wir alle, die wir hier bei der Armee sind, zu entgehen. Denn das ist bei
der ganzen Armee verboten (!), sowohl zur Zeit als sie in Polen war, als auch


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Geschäftsbetrieb. Es muß einen erhebenden Eindruck auf die wohlthätige Mensch¬
heit machen, auf diese Weise als Ware aufgeführt zu werden; die natürliche Folge
davon kann nur die sein, daß alle jene Gesuche wie Cigarrencmpreisungcn behandelt
werden.

Wir haben das Vertrauen zu dem Schicklichkeitsgefühl der Pfarrer und der
Kirchengemeindevorstände, daß sie sich auf Herrn serbes „feines Geschäft" nicht
einlassen werden. Der gute Wille und die offene Hand von Leuten, die sich ihren
wohlthätigen Sinn noch bewahrt haben, darf nicht geschäftlich ausgebeutet und mi߬
braucht werden.


Für Examinatoren.

Wer sich um das Leben an unsern Hochschulen
kümmert, der wird wissen, eine wie seltne Pflanze die Kunst ist, gut zu prüfen.
Als Vorbild könnte dienen, was Viktor von Unruh in seinen kürzlich erschienenen
Erinnerungen über die Art und Weise des genialen Schinkel erzählt: „Zunächst
ging er meine als Probearbeiten ausgearbeiteten Bauentwürfe speziell durch und
forschte augenscheinlich darnach, ob ich mir etwa habe helfen lassen oder selbst gut
orientirt sei; gesprächsweise veranlaßte er mich, meine Motive bei den einzelnen
Anordnungen zu entwickeln, und flocht dabei sehr interessante, lehrreiche Bemer¬
kungen ein.... Das Bewußtsein: jetzt wirst du examinirt, und die Befangenheit
schwand in der ersten halben Stunde. Die Prüfung verwandelte sich in eine lehr¬
reiche Konversation. Ich bedauerte wirklich, als Schinkel aufstand und das Examen
für beendigt erklärte."




Litteratur
Die eigenhändigen Briefe König Karls XII. Gesammelt und herausgegeben von
Professor Dr. Ernst Carlson. Antorisirte deutsche Übersetzung von F. Mevius. Berlin,
Georg Reimer, 1894

Diese lebendigen Zeugnisse einer der rätselvollen Persönlichkeiten, die das
Weltgeschick ans Throne zu setzen liebt, wie um zu beweisen, daß der Mensch den
König mache und nicht umgekehrt, werden nicht bloß beim fachmäßigen Historiker
Neugier und Interesse wachrufen. Beim flüchtigen Durchblättern wird sich der
gekrönte Starrkopf zwar auch hier nur so darstellen, wie man ihn aus der Ge¬
schichte kennt. Es ist nichts aus ihm herauszubringen. Er setzt Entschließungen,
Thaten und Erfolge nur so hin, als wären sie die Ergebnisse einer objektiven,
elementaren Macht, einer Naturkrnft im exakten Sinne, und nicht die organischen
Früchte eines leidenschaftlichen, in Haß und Liebe ins Maßlose treibenden, leben¬
digen Menschenherzens. Selbst da, wo er persönlichen und persönlichsten Fragen
nicht ausweichen kann, versteckt er sich unwillkürlich, sogar im Scherz, hinter „ab¬
solute Notwendigkeiten," gleich als wäre uicht er selbst ihr alleiniger, sehr subjek¬
tiver Urheber. So erklärt er der unablässig darauf zurückkommenden Schwester sein
bekanntes ablehnendes Verhalten gegen das weibliche Geschlecht: „Einer Mariage
suchen wir alle, die wir hier bei der Armee sind, zu entgehen. Denn das ist bei
der ganzen Armee verboten (!), sowohl zur Zeit als sie in Polen war, als auch


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[0642] Litteratur Geschäftsbetrieb. Es muß einen erhebenden Eindruck auf die wohlthätige Mensch¬ heit machen, auf diese Weise als Ware aufgeführt zu werden; die natürliche Folge davon kann nur die sein, daß alle jene Gesuche wie Cigarrencmpreisungcn behandelt werden. Wir haben das Vertrauen zu dem Schicklichkeitsgefühl der Pfarrer und der Kirchengemeindevorstände, daß sie sich auf Herrn serbes „feines Geschäft" nicht einlassen werden. Der gute Wille und die offene Hand von Leuten, die sich ihren wohlthätigen Sinn noch bewahrt haben, darf nicht geschäftlich ausgebeutet und mi߬ braucht werden. Für Examinatoren. Wer sich um das Leben an unsern Hochschulen kümmert, der wird wissen, eine wie seltne Pflanze die Kunst ist, gut zu prüfen. Als Vorbild könnte dienen, was Viktor von Unruh in seinen kürzlich erschienenen Erinnerungen über die Art und Weise des genialen Schinkel erzählt: „Zunächst ging er meine als Probearbeiten ausgearbeiteten Bauentwürfe speziell durch und forschte augenscheinlich darnach, ob ich mir etwa habe helfen lassen oder selbst gut orientirt sei; gesprächsweise veranlaßte er mich, meine Motive bei den einzelnen Anordnungen zu entwickeln, und flocht dabei sehr interessante, lehrreiche Bemer¬ kungen ein.... Das Bewußtsein: jetzt wirst du examinirt, und die Befangenheit schwand in der ersten halben Stunde. Die Prüfung verwandelte sich in eine lehr¬ reiche Konversation. Ich bedauerte wirklich, als Schinkel aufstand und das Examen für beendigt erklärte." Litteratur Die eigenhändigen Briefe König Karls XII. Gesammelt und herausgegeben von Professor Dr. Ernst Carlson. Antorisirte deutsche Übersetzung von F. Mevius. Berlin, Georg Reimer, 1894 Diese lebendigen Zeugnisse einer der rätselvollen Persönlichkeiten, die das Weltgeschick ans Throne zu setzen liebt, wie um zu beweisen, daß der Mensch den König mache und nicht umgekehrt, werden nicht bloß beim fachmäßigen Historiker Neugier und Interesse wachrufen. Beim flüchtigen Durchblättern wird sich der gekrönte Starrkopf zwar auch hier nur so darstellen, wie man ihn aus der Ge¬ schichte kennt. Es ist nichts aus ihm herauszubringen. Er setzt Entschließungen, Thaten und Erfolge nur so hin, als wären sie die Ergebnisse einer objektiven, elementaren Macht, einer Naturkrnft im exakten Sinne, und nicht die organischen Früchte eines leidenschaftlichen, in Haß und Liebe ins Maßlose treibenden, leben¬ digen Menschenherzens. Selbst da, wo er persönlichen und persönlichsten Fragen nicht ausweichen kann, versteckt er sich unwillkürlich, sogar im Scherz, hinter „ab¬ solute Notwendigkeiten," gleich als wäre uicht er selbst ihr alleiniger, sehr subjek¬ tiver Urheber. So erklärt er der unablässig darauf zurückkommenden Schwester sein bekanntes ablehnendes Verhalten gegen das weibliche Geschlecht: „Einer Mariage suchen wir alle, die wir hier bei der Armee sind, zu entgehen. Denn das ist bei der ganzen Armee verboten (!), sowohl zur Zeit als sie in Polen war, als auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/642>, abgerufen am 04.05.2024.