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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Aenntnis ver englischen Iveltpolitik

in Deutschland leider nun schon seit vier Jahren beinahe völlige Windstille
herrscht. Ja es sollte uns nicht wundern, wenn gerade diese Vorschläge den
Verfasser des Entwurfs, trotz seines Artikel 93, bei den Hamburger Nachrichten
oder bei dem Freiherrn von Stumm in den Geruch brächten, ein verkappter
Sozialdemokrat zu sein.

Wir sind weit davon entfernt, für Deutschland schon heute einer Reform
unsers Strafgesetzbuchs das Wort zu reden. Unser Strafgesetzbuch ist uicht
so schlecht, daß, eine vernünftige Handhabung vorausgesetzt, eine große Nation
unter ihm nicht im Schutze eines vollkommen gesicherten Rechtsfriedens und
zugleich eines leidlichen Maßes von bürgerlicher Freiheit leben könnte. Ganz
gewiß sind gerade die neuesten gesetzgeberischen Versuche auf strafrechtlichen
Gebiete nichts weniger als einladend, schon jetzt zu einer Reform im großen
Stile zu schreiten. Wenn aber einst die Zeit gekommen sein wird -- und der
unselige Hang der deutschen Strafrechtsprechung zu der von der Wissenschaft
des Strafrechts einmütig verpöntem extensiven Gesetzesauslegung wird das
Herannahen dieser Zeit beschleunigen --, so wird der Schweizer Entwurf, als
Ganzes betrachtet, das Verdienst behaupten, neuen und doch zugleich uralten,
wahrhaft gesunden und gerechten Anschauungen auf einem so wichtigen Gebiete
in mustergiltiger Weise Bahn gebrochen zu haben.




Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik
6. England in Südafrika

üdafrika hat nicht die Größe und Selbständigkeit Australiens und
Kanadas. Man kann es höchstens mit einer politischen Halb¬
insel vergleichen, die im Westen von deutschem und im Osten
von kaphollündischem Gebiet umfaßt ist. Aber diese Halbinsel
ist ein kleiner Teil eines größern Ganzen, in dem sie eine durch
ausgeschlossene Lage an der See, durch Ackerboden, Erzreichtum und gemäßigtes
Klima ausgezeichnete Stellung einnimmt. Solange das geschichtliche Gesetz in
Geltung bleibt, und tief begründet ist es, daß die Tropenländer von den
^Andern der gemäßigten Zonen aus wirtschaftlich ausgebeutet, in der Kultur
beeinflußt und politisch geleitet werden, wird Südafrika gegenüber dem übrigen
Afrika die Stellung beanspruchen, die Nordamerika gegen Mittel- und Süd¬
amerika, allerdings unter viel günstigern Verhältnissen, und das südliche gegen


Zur Aenntnis ver englischen Iveltpolitik

in Deutschland leider nun schon seit vier Jahren beinahe völlige Windstille
herrscht. Ja es sollte uns nicht wundern, wenn gerade diese Vorschläge den
Verfasser des Entwurfs, trotz seines Artikel 93, bei den Hamburger Nachrichten
oder bei dem Freiherrn von Stumm in den Geruch brächten, ein verkappter
Sozialdemokrat zu sein.

Wir sind weit davon entfernt, für Deutschland schon heute einer Reform
unsers Strafgesetzbuchs das Wort zu reden. Unser Strafgesetzbuch ist uicht
so schlecht, daß, eine vernünftige Handhabung vorausgesetzt, eine große Nation
unter ihm nicht im Schutze eines vollkommen gesicherten Rechtsfriedens und
zugleich eines leidlichen Maßes von bürgerlicher Freiheit leben könnte. Ganz
gewiß sind gerade die neuesten gesetzgeberischen Versuche auf strafrechtlichen
Gebiete nichts weniger als einladend, schon jetzt zu einer Reform im großen
Stile zu schreiten. Wenn aber einst die Zeit gekommen sein wird — und der
unselige Hang der deutschen Strafrechtsprechung zu der von der Wissenschaft
des Strafrechts einmütig verpöntem extensiven Gesetzesauslegung wird das
Herannahen dieser Zeit beschleunigen —, so wird der Schweizer Entwurf, als
Ganzes betrachtet, das Verdienst behaupten, neuen und doch zugleich uralten,
wahrhaft gesunden und gerechten Anschauungen auf einem so wichtigen Gebiete
in mustergiltiger Weise Bahn gebrochen zu haben.




Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik
6. England in Südafrika

üdafrika hat nicht die Größe und Selbständigkeit Australiens und
Kanadas. Man kann es höchstens mit einer politischen Halb¬
insel vergleichen, die im Westen von deutschem und im Osten
von kaphollündischem Gebiet umfaßt ist. Aber diese Halbinsel
ist ein kleiner Teil eines größern Ganzen, in dem sie eine durch
ausgeschlossene Lage an der See, durch Ackerboden, Erzreichtum und gemäßigtes
Klima ausgezeichnete Stellung einnimmt. Solange das geschichtliche Gesetz in
Geltung bleibt, und tief begründet ist es, daß die Tropenländer von den
^Andern der gemäßigten Zonen aus wirtschaftlich ausgebeutet, in der Kultur
beeinflußt und politisch geleitet werden, wird Südafrika gegenüber dem übrigen
Afrika die Stellung beanspruchen, die Nordamerika gegen Mittel- und Süd¬
amerika, allerdings unter viel günstigern Verhältnissen, und das südliche gegen


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[0015] Zur Aenntnis ver englischen Iveltpolitik in Deutschland leider nun schon seit vier Jahren beinahe völlige Windstille herrscht. Ja es sollte uns nicht wundern, wenn gerade diese Vorschläge den Verfasser des Entwurfs, trotz seines Artikel 93, bei den Hamburger Nachrichten oder bei dem Freiherrn von Stumm in den Geruch brächten, ein verkappter Sozialdemokrat zu sein. Wir sind weit davon entfernt, für Deutschland schon heute einer Reform unsers Strafgesetzbuchs das Wort zu reden. Unser Strafgesetzbuch ist uicht so schlecht, daß, eine vernünftige Handhabung vorausgesetzt, eine große Nation unter ihm nicht im Schutze eines vollkommen gesicherten Rechtsfriedens und zugleich eines leidlichen Maßes von bürgerlicher Freiheit leben könnte. Ganz gewiß sind gerade die neuesten gesetzgeberischen Versuche auf strafrechtlichen Gebiete nichts weniger als einladend, schon jetzt zu einer Reform im großen Stile zu schreiten. Wenn aber einst die Zeit gekommen sein wird — und der unselige Hang der deutschen Strafrechtsprechung zu der von der Wissenschaft des Strafrechts einmütig verpöntem extensiven Gesetzesauslegung wird das Herannahen dieser Zeit beschleunigen —, so wird der Schweizer Entwurf, als Ganzes betrachtet, das Verdienst behaupten, neuen und doch zugleich uralten, wahrhaft gesunden und gerechten Anschauungen auf einem so wichtigen Gebiete in mustergiltiger Weise Bahn gebrochen zu haben. Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik 6. England in Südafrika üdafrika hat nicht die Größe und Selbständigkeit Australiens und Kanadas. Man kann es höchstens mit einer politischen Halb¬ insel vergleichen, die im Westen von deutschem und im Osten von kaphollündischem Gebiet umfaßt ist. Aber diese Halbinsel ist ein kleiner Teil eines größern Ganzen, in dem sie eine durch ausgeschlossene Lage an der See, durch Ackerboden, Erzreichtum und gemäßigtes Klima ausgezeichnete Stellung einnimmt. Solange das geschichtliche Gesetz in Geltung bleibt, und tief begründet ist es, daß die Tropenländer von den ^Andern der gemäßigten Zonen aus wirtschaftlich ausgebeutet, in der Kultur beeinflußt und politisch geleitet werden, wird Südafrika gegenüber dem übrigen Afrika die Stellung beanspruchen, die Nordamerika gegen Mittel- und Süd¬ amerika, allerdings unter viel günstigern Verhältnissen, und das südliche gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/15>, abgerufen am 28.04.2024.